Virtual Reality in der JSC Berlin: Bilderritt in den Zwischenzustand
Bei einer VR-Installation in der Julia Stoschek Collection werden Schamanismus und Hochtechnologie zusammengedacht. Geht das gut?
Medienkunst hat an sich schon eine spirituelle Komponente. Denn bei ihr breitet sich Licht aus, halb Teilchen, halb Welle. Und das Empfängerorgan, das menschliche Auge, das verknüpft ist mit dem Kognitionsapparat von Gehirn und Nervenzellen, kreiert daraus Wissen, Information und Handlungsanleitung. Mit genau diesen Zusammenhängen spielt „Piña, Why is the Sky Blue?“ des Duos Stephanie Comilang und Simon Speiser.
Es empfiehlt sich, bei dieser hybriden Installation aus VR-Elementen, Videodokumentation und grafischen Arbeiten zuerst die VR-Brille überzustreifen und in den spekulativen dreidimensionalen Raum einzudringen – und später erst das Video zu sehen. Im VR empfängt eine weibliche Gestalt die Eintreffenden. Sie präsentiert sich in einem Zwischenzustand zwischen Schlaf und Wachheit, zwischen Ertrinken in einem nicht näher benannten Ozean und einem Treiben in einem Medium, das mal flüssig, mal gasförmig erscheint.
Mit dieser Figur Piña durchstreift man Landschaften, betritt Häuser und Hütten. Thema ist gespeicherte Information. Speicherquellen können Bücher sein, ganze Bibliotheken, durch die man schwebt, aber auch Ornamente, die eingewebt sind in Textilien oder ausgelegt als Mosaike oder auch abgeschritten werden können in Ritualen. Auch mündliche Überlieferungen sind eine Aufbewahrungspraxis, allerdings nicht an Objekte gebunden, sondern den Prozess des Erzählens und Zuhörens.
Zuweilen, wenn die Drohne im VR über Gebirgslandschaften dahingleitet, mag man sogar in den Höhenzügen Informationsmuster erkennen. Der nächste Schritt, sich vorzustellen, in schamanistischen Praktiken und durch Kommunikation mit längst toten Ahnen Wissen zu genieren, fällt dann gar nicht mehr schwer. Ja, er erscheint logisch.
Stephanie Comilang, eine Wandernde zwischen den Philippinen und Kanada, und Simon Speiser, zwischen Ecuador und Deutschland pendelnd, beschreiten in ihrer Arbeit einen so naheliegenden wie erstaunlich selten begangenen Weg. Sie verknüpfen spirituelle Praktiken mit den immateriellen Prozessen digitaler Kommunikation. Sie docken zugleich an ewigen Sehnsuchtsorten an: An Träumen von Gerechtigkeit, von Frieden, von Zusammenleben und Austausch und vor allem von Bedürfnissen, die nicht immer an Wachstum, an ein Immer-mehr, Immer-besser gebunden sind.
Den eigenen Zustand gespiegelt
Das berührt eine Saite, die gerade jetzt besonders schwingt, in Zeiten, in denen Europa Krieg als verhältnismäßig nahe Bedrohung erlebt, in der die Klimaveränderungen bereits spürbar sind und die Energiekrise an steigenden Preisen ablesbar ist. Und so lässt man sich ein auf die Wanderungen, erst im virtuellen Raum, später im Video. Man sieht auf den Kissen im Raum der Julia Stoschek Collection auch andere Menschen lungern, die beglückt, beseligt, ein bisschen betäubt vielleicht auch, in die Installation eintauchen. In ihren Gesichtern sieht man den eigenen Zustand gespiegelt.
Diesen Zustand allerdings kann man nur schwer beschreiben. Ist man jetzt tatsächlich in ein Meer von Wissen eingetaucht? Oder ist alles nur Illusion? Die Wissensträgerinnen, denen man begegnet, es handelt sich dabei ausschließlich um Frauen, sind Aktivistinnen, die sich teils ganz konkreten sozialen und politischen Problemen zuwenden, die dabei aber auch auf spirituelle Praktiken und schamanistische Rituale zurückgreifen.
Das bezaubert einerseits. Denn jahrhundertelange Verbindung von Mensch, Tier und Pflanze wird beschworen, zeitliche Distanz zwischen entfernten Generationen und Lebenszyklen überwunden und das Ideal eines ewigen Gleichgewichts suggeriert. So recht begehbar, von Ostberlin aus, der Leipziger Straße mit ihrem herben DDR-Charme, wo sich die Ausstellung befindet, scheint dieser Weg dann aber doch nicht zu sein.
Dystopische Grundtönung
Wenn man dies nämlich skaliert, sich allein die Bewohnerschaft eines dieser Plattenbauten ringsum vorstellt, die jetzt allesamt VR-Brillen überstreifen und mit Piña wandern oder gar die Ciberamazonas in Peru und die Black Power Schamaninnen auf den Philippinen aufsuchen, dort also in Scharen einfallen wie gewöhnliche Tourist*innen, dann erfährt dieses Bild eine schwer dystopische Grundtönung. Piña, gedacht als künstliche Intelligenz, spricht den und die Einzelne*n an. Das mag man als egalitär ansehen. Es ist aber vor allem elitär.
Als Faszinosum freilich bleibt, dass man im Video Schamaninnen sieht, die VR-Brillen aufhaben wie man selbst. Der technologisch induzierte Bilderritt wirkt dann verwandt mit ritualbasierten und auf Substanzenkonsum beruhenden Bewusstseinstrips. Comilang & Speiser stellen hochinteressante Verknüpfungen her. Sie gestalten allerdings nur eine Oberfläche.