„Frankenstein“ am Schauspiel Hannover: Das gemachte Monster
Clara Weydes freie Bearbeitung von Mary Shelleys „Frankenstein“ verlängert den Stoff ins Heute. Herausgekommen ist ein Funken sprühender Abend.
Es wundere ihn nicht, dass es zurzeit so viele „Frankenstein“-Inszenierungen gebe, so Ulrich Khuon dieser Tage zur Süddeutschen Zeitung. Nun hat das Deutsche Theater Berlin im späten September selbst so eine Adaption zur Premiere gebracht, da könnte es sich um clevere PR handeln – Khuon ist Intendant jenes Theaters. Gleichwohl: Ein „Symbol für den Menschen, der über sich hinauswachsen will“, erkennt er in dem etwas über 200 Jahre alten Grusel-Stoff, was freilich schon der originale Untertitel von Mary Shelleys Roman vorweggenommen hatte: „der moderne Prometheus“.
Aber klar: Sie passt doch so gut in unsere Zeit, diese Geschichte vom Wissenschaftler, der es Gott gleich tun will, nämlich Leben erschaffen. Das Ergebnis ist eine Kreatur, jenes Monster, das nach zahllosen Adaptionen, vor allem aber den Filmen mit Boris Karloff, seinen menschlichen Schöpfer ikonografisch längst in den Schatten stellt; das aber gar nicht von vornherein böse oder mordlüstern ist, sondern dorthin erst getrieben wird durch die ach so viel bess’ren Menschen.
„Man wird nicht als Monster geboren“: Diesen Akzent betont der „Frankenstein“, der jetzt in Hannover auf die Bühne kam. „Frankenstein oder Eine Frischzellenkur“ haben die Autorinnen Clara Weyde und Barbara Kantel das Stück überschrieben, „Frei nach Mary Shelley“; apropos: Auch als Überschreibung „des Frankenstein-Mythos“ bezeichnen die Verantwortlichen diese Fassung, was ja eine ganz anderer Kategorie ist, einen ganz anderen Anspruch formuliert als einfach nur einen hellsichtigen Roman, ja: die Mutter der Science-Fiction für die Bühne aufbereitet zu haben.
Eine Frischzellenkur ist der knapp anderthalbstündige Abend insofern, als er den einst so zukunftsweisenden Stoff ins Heute verlängert – von einem „Kaleidoskop gegenwärtiger Debatten“ ist im Programm die Rede, und in den Text sind allerlei jüngere bis junge Autor_innen gesampelt: Stephen Hawking und Donna Haraway etwa, Yuval Noah Harari und Karl Kardinal Lehmann.
„Frankenstein oder Eine Frischzellenkur“. Weitere Vorstellungen: 27. 10.; 4., 11. + 22. 11.; 26. 12., Hannover, Ballhof Eins
Das ist vielleicht der Kern der anhaltenden Faszination am Frankenstein-Stoff: Dass er sich immer wieder hat heranziehen lassen als Erklärung, Kommentierung, auch zum Protest gegen jeweils sehr reale Entwicklungsschübe von Wissenschaft und Technik. Hat nicht der Mensch mit der Atomenergie ein Monster erschaffen, das er nicht kontrollieren kann? Und das genmanipulierte Getreide? Was ist mit dieser künstlichen Intelligenz?
Prominent Eingang gefunden hat bei Weyde – die auch Regie führt – und Kantel der Klimawandel, auch so ein über unsere Köpfe Gewachsenes. Womit sich ein Kreis schließt zur Entstehungsgeschichte des Frankenstein im „Jahr ohne Sommer“ 1816, dessen apokalyptischer Grundton Mary Shelleys Schreiben beeinflusst haben soll. Wie ein weit entfernt, im heutigen Indonesien, ausbrechender Vulkan in der westlichen Welt Ernten verhagelt und Menschen in Hunger stürzte: Das ist aber auch zu lesen als die Art von Erlebnis mit der Natur, mit einem unbarmherzigen Gott, gegen die ein entsprechend brennender Wissenschaftler sich dann auflehnen könnte, wie es, eben, dieser beinahe sprichwörtlich geworden anmaßende Viktor Frankenstein tut.
Vom Pathos der Vorlage entfernt sich das Geschehen nun in Hannover ganz schön weit: Fünf „Maryzellen“– Frischzellenkur, ne? – treten auf, androgyn, weiß geschminkte Gesichter, weinrote Gewänder mit den Initialen „M.S.“ auf der Brust: Nina Sarita Balthasar, Stella Hilb, Torben Kessler, Nils Rovira-Muñoz und Katherina Sattler. Sie tauschen sich aus über die Frau im antiken Mythos – „Rache für Prometheus!“ – rangeln um Pandoras Fass, ja auch so eine Ausprägung der Idee von des Menschen mäßigem Talent, die Folgen irgendwelchen Tuns abzuschätzen.
Die insbesondere aus den Verfilmungen bekannten Elemente kommen vor, auch wenn hier keine Gewitternacht ins Szene gesetzt wird und kein nächtlicher Leichendiebstahl: Creepy Arme und Beine werden auf der Bühne angeordnet, später auch -gehäuft. Für den Strom, dessen kontrollierter Einsatz bei Erscheinen des Romans ja noch ganz frische Technik war, stehen nun – Toaster. Ziemlich wenig dramatisch kommt da das Leben in die toten Teile, wie überhaupt der Grusel, das ganze Generationen Entsetzende gern zurücktritt hinter teils enorm komisches Spiel, beinahe Slapstick; das Programm verweist auf den Grotesktanz Valeska Gerts, die gut 100 Jahre später debütierte, als Shelleys Roman erschien.
Ist die aktualisierende Überschreibung, die Frischzellenkur gelungen? Nicht, wenn man stringente Belehrung erwartet, aber es ist der Ballhof ja auch kein paramedizinischer Hörsaal. Sehr wohl aber im Sinne eines vielleicht nicht durchweg, aber immer wieder allerbeste Funken sprühen machenden Abends, der durchaus seine losen Enden hat. Alles andere wäre aber auch – und sei es ganz doll fortschrittsskeptischer – Kitsch.
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