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Geschichte des JazzSchroffes aus der stillen DDR

Jazz blühte im Ostdeutschland vor der Wende in den Nischen. Die Szene war klein, aber renommiert. Ihre Geschichte ist teils vergessen.

Ernst Ludwig Petrowsky am Saxophon und Uschi Brüning bei einem Jazzkonzert 1993 Foto: Imago

„Je abgefahrener, desto besser“ hat auf den Leipziger Jazztagen Tradition. Als sie im Juni 1976 im Kino Wintergarten und im Studentenklub Grafikkeller debütierten, waren Bands und Musiker – in der Tat eine Jungs­runde – dabei, die für den experimentellen Freejazz in der DDR standen, etwa das Quartett Synopsis.

Saxofonist und Flötist Ernst-Ludwig Petrowsky und Pianist Ulrich Gumpert, Klaus Koch am Bass und Günter „Baby“ Sommer an den Drums und der Perkussion. Synopsis waren bereits 1973 beim Warschauer Jazz Jamboree aufgetreten und hatten zwei Alben veröffentlicht, eines auf dem Ostberliner Staatslabel Amiga, eines beim Westberliner Freejazzlabel FMP.

Ihr Sound klang in ihrer Schroffheit in der stillen DDR unerhört, die Alben klingen, als hätten die Musiker Gerhard Schulz, einen der Leipziger Altvorderen, im Sinn gehabt. Er sagte 2018 im Deutschlandfunk: „Das war so abstrus … das war spannend. Du musst Free Jazz wenigstens drei Stunden lang laut hören, bis der Schmerz vorbei ist. Sonst kapierst du das nie, wenn du über diese Schmerzgrenze nicht drüber hinausgehst.“

Erstaunlich eingängig

Nun wurde Jazz in der DDR nicht nur von avantgardistisch geschulten Quälgeistern gespielt, aber auffällig oft. Er lässt sich zurückverfolgen bis auf das im November 1964 aufgenommene Album „Solarius“ vom Rolf Kühn Quintett, darauf enthalten sind Modern-Jazz-Stücke, nie unter sechs Minuten, dabei erstaunlich eingängig und mit „Sie gleicht wohl einem Rosenstock“ die Bearbeitung einer Volksweise. Den freien Umgang mit dem Erbe sollten Synopsis und das aus ihnen hervorgegangene Zentralquartett weiter ausbauen.

Der international renommierte und vernetzte DDR-Jazz spielte in Ostberlin, in Rostock und in Schwerin, in Mittweida und in Freiberg. Dabei war das Prestige des Jazz den Funktionären durchaus willkommen, seine grundsätzliche Unabhängigkeit aber weniger.

Einer der Radikalen der frühen Achtziger war der Saxofonist Dietmar Diesner. Er gehörte zu der multimedial agierenden Szene um Bands wie die Dresdner Musikbrigade oder FINE mit der Tänzerin Fine Kwiatkowski.

Radikales Instrumentarium

Diesner konnte 1988 auf Amiga ein Soloalbum veröffentlichen; im Instrumentarium stehen neben Altsaxofon und Elec­tronics ein blauer Eimer und eine Stahltür. Ihre Musik zählt zum Radikalsten, was in der DDR veröffentlicht wurde. Im Oktober 1988 gehörte Diesner zum Ensemble, das Heiner Goebbels Vertonung von Heiner Müllers „Der Mann im Fahrstuhl“ während der Leipziger Jazztage im Zirkus Busch aufführte.

Ein west-östliches Gipfeltreffen, zwei Jahre, bevor Diesner mit Petrowsky und dem Gitarristen Lothar Fiedler unter dem Titel „Kammerjägerei“ die Reihe „Jazz in der Kammer“ am Deutschen Theater in Berlin am 10. November 1990 mit verabschiedete.

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8 Kommentare

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  • Manfred Krug (1937-2016), der als Sänger zusammen mit Uschi Brüning als Sängerin, Günther Fischer Trompete öffentlich Jazzkonzerte in der DDR gab. Im Westen nach seiner DDR Ausreise 1977 nach Westberlin dann u. a. mit Charlie Brauner, seinem Tatort Kollegen Kommissar Brockmann, Platten aufnahm. Krugs erste Solo Platte entstand 1964, zum universalen Jazzerleben meinte er:

    "Zu den schönsten Kulturerfindungen des amerikanischen Brudervolkes gehört für mich der Jazz", sagte Manfred Krug einmal. "Dafür braucht man ein gewisses Feeling. Das kann man nicht lernen, man erbt es. Und ich dachte, wenn du es schon hast, dann nutze es." Und so trat der junge Schauspieler bereits ab Ende der 1950er-Jahre auch als Jazz-Interpret in Erscheinung. Doch der Jazz war in jener Zeit, als ein hoher SED-Kulturfunktionär den Gesang von Louis Armstrong noch mit dem Geräusch von Wasser, das aus einer Badewanne abfließt, verglich, nicht eben wohlgelitten im sozialistischen Staat. Dekadentes, amerikanisches Gejaule, so hieß es damals. Krug ließ sich von den Kulturfeldwebeln der Staatspartei freilich nicht im Geringsten beirren – er jazzte unbekümmert und konnte 1964 schließlich eine erste Schallplatte einspielen.

    www.mdr.de/zeitrei...nfred-krug104.html

    • @Joachim Petrick:

      Gesucht für sie.



      Ruth Hohmann&Lukas Natschinski



      www.youtube.com/watch?v=HNPgTcMrkKI



      (Immer der Sand im linken Auge!)

      • @Ringelnatz1:

        Booey. Thnx a lot. Stark •

        • @Lowandorder:

          Ich hatte soo gehofft!;-)



          Ruth Hohmann ist im Link von@JOACHIM PETRICK auf dem Bild v. 1965 ganz rechts.

    • @Joachim Petrick:

      Yes. We know.



      &



      Uschi Brüning hat völlig recht: der beste Jazz-Sänger der DäDäRä & vice versa.

      unterm—— ansonsten—-



      Gäbs viel(e) zu ergänzen & Peitz &&&

  • Natürlich muß ich hier noch JIP-Jazz im Paradies- Jena erwähnen.



    ....Im Dezember 1980 wird JIP von einigen Enthusiasten als Studentenclub der Friedrich-Schiller-Universität gegründet. Erste Musikvorträge mit mühsam beschafften Schallplatten und Tonbandaufnahmen von Miles Davis, Keith Jarrett, dem Art Ensemble of Chicago u. a. werden von JIP-Mitgliedern in der Baracke des Jenapharm-Jugendclubs im „Paradies“ an der Saale gehalten. 1981 gibt es das erste von JIP organisierte internationale Konzert mit Leo Smith, Peter Kowald und Günther Sommer im Planetarium.

    Es folgen bis Ende 1989 knapp 100 Konzerte mit Musikern der Thüringer Jazzszene, mit allen bekannten DDR-Jazzern wie Conrad Bauer, Ulrich Gumpert, Ernst-Ludwig Petrowsky, Uwe Kropinski usw. und mit ausländischen Gästen....



    .. Schon 1967 wurde das Thema „Jazz“ in den Lehrplan der Erweiterten Oberschulen(EOS) aufgenommen....



    www.deutschlandfun...:article_id=102537



    KIXX / GRUPPE FINE. LIVE AT THE HAUS DER JUNGEN TALENTE



    www.youtube.com/watch?v=zTSEtrfjI1c

    • @Ringelnatz1:

      Danke. Schön - wenn nicht nur frisch Durchlauferhitzte über geschichtliches berichten.

  • Liggers. Wat knapp - wa! But anyway.

    “ Der international renommierte und vernetzte DDR-Jazz spielte in Ostberlin, in Rostock und in Schwerin, in Mittweida und in Freiberg. Dabei war das Prestige des Jazz den Funktionären durchaus willkommen, seine grundsätzliche Unabhängigkeit aber weniger.“



    & Paris - z. B. Hörnmer mal rein - Bitte Baby Sommer -



    In der Bockshaut in DA - nachdem er sich erstmal abgerollt & bedient hatte:



    Daß die Havanna-Zigarren “…& noch ne Kiste für die Oma obendrauf“ zu haben seien!



    In Paris - in der Botschaft der DDR & hinterher am Rausgehen:



    “Ach du Scheiße!!! Die Jacke!!“ Ratsch! Zu spät!



    Das Tor zu! Und Verteidiger der sozialistischen Freiheit!



    Nischt zu machen! Tor bleibt zu! Jacke? => Hauptstadt der DDR - Berlin!



    Na Mahlzeit! Allet drin. Paß Geld Schlüssel!



    Ha! Aber die Stöcke!!& “harick ne jute Stunde - wa! Die Metallstäbe rauf & runter bearbeitet! Einen Höllenlärm! Nischt! Augen auf Null! Nischt!



    Jacke => Berlin - Hauptstadt der DDR!“



    Mitfühlend nahmen wir nochn 🍻 oder mehrere!

    ps Wie war das noch mit - “die Mädels auf Fotto?!“ - 🙀 -



    Egal! Uschi & Luten seid gegrüßt - where ever you are - 😎 -