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Solar- und WindkraftDie Energiewende läuft an

Immer mehr Solar- und Windkraftwerke finanzieren sich am Markt. Das liegt unter anderm daran, dass der CO2-Preis zuletzt stark gestiegen ist.

Die Zeichen stehen auf Wachstum Foto: Jochen Tack/imago

FREIBURG taz | Meldungen wie diese werden immer mehr zur Normalität: Der Energiekonzern Vattenfall teilte unlängst mit, er habe mit der Errichtung „des größten und ersten subventionsfreien Offshore-Windparks der Welt“ begonnen. Vor der niederländischen Küste entsteht in den nächsten zwei Jahren das Projekt Hollandse Kust Zuid mit 140 Anlagen – frei am Markt finanziert.

Möglich wird das durch gestiegene Preise von Erdgas und Kohle auf dem Weltmarkt, aber vor allem durch den gestiegenen und nach Einschätzungen von Branchenkennern weiter steigenden CO2-Preis. Der nämlich verteuert den fossil erzeugten Strom inzwischen spürbar – und macht so Erneuerbare auch ohne gesetzlich garantierte Einspeisevergütungen konkurrenzfähig.

Auf diese Weise ist der europäische Emissionshandel nach einer langen Anlaufphase erstmals zu einem wichtigen Treiber der Energiewende geworden. Die Tonne CO2, die im Jahr 2020 noch durchschnittlich 24,52 Euro kostete, steht aktuell bei rund 60 Euro. Macht die EU Ernst mit ihrem „Green Deal“, werden die CO2-Preise abermals deutlich steigen.

Da die fossilen Energien noch immer die Strompreise an den Terminmärkten prägen, schlagen die Kosten der Emissionszertifikate und auch die gestiegenen Gas- und Kohlepreise direkt auf die Notierungen im Stromhandel durch. So wurde am Montag dieser Woche erstmals in der Geschichte der Strombörse EEX ein Jahreskontrakt zur Stromlieferung (Baseload 2022 genannt) für mehr als 100 Euro je Megawattstunde gehandelt. Das ist mehr als eine Verdopplung binnen eines Jahres. Am gestrigen Mittwoch wurden zeitweise sogar 108 Euro bezahlt.

Für Produzenten von CO2-freiem Strom sind das gute Nachrichten, denn ihre Erlöse steigen entsprechend. Damit nähert sich die Energiewelt einem Punkt, den die Urväter der Energiewende stets als Langfristziel im Blick hatten: weg von der Förderung von Solar- und Windstrom, hin zu auskömmlichen Marktkonditionen.

In der Energiewirtschaft tragen solche marktbasierten Lieferverträge heute das Kürzel PPA (Power Purchase Agree­ment). Dabei schließt ein Stromabnehmer – das kann ein (grüner) Energieversorger sein oder ein gewerblicher Energieverbraucher – einen langfristigen Liefervertrag mit einem Solar- oder Windstromerzeuger. Der Abnehmer sichert sich auf diese Weise Stromkontingente, die keinem CO2-Preis-Risiko mehr unterliegen.

Zudem hat das Konzept für die Firmen den angenehmen Nebeneffekt, dass sie sich das Image des Klimaschützers anheften können. Das nutzen auch große Unternehmen: Beim jüngsten Offshore-Windpark von Vattenfall zum Beispiel ist der Chemiekonzern BASF mit im Boot.

Die Zeichen stehen auf Wachstum

Seit Anfang 2019 seien in der EU förderfreie Erneuerbaren-Projekte mit einem Volumen von rund 37 Gigawatt gebaut oder mit PPA-Abschlüssen angekündigt worden, rechnete die Beratungsgesellschaft Enervis Energy Advisors vor. „In Deutschland sehen wir derzeit eine solide Entwicklung bei Photovoltaik-Neubauprojekten“, sagt deren Marktanalyst Nicolai Herrmann. Im laufenden Jahr würden wohl an die 500 Megawatt PPAs neu abgeschlossen. Auch für den Weiterbetrieb von Windkraftanlagen, die nach 20 Jahren aus der Förderung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) herausfallen, stünden „die Zeichen auf Wachstum“. Für solche Altanlagen würden „PPAs zur wesentlichen Rückfalloption“.

Michael Claußner von der Beratungsgesellschaft Energy Brainpool sieht das ähnlich: „Das aktuelle Strom- und CO2-Preisniveau dürfte sich beschleunigend auf den PPA-Markt auswirken.“ Da das Konzept nicht an eine nationale Förderung gebunden ist, setzt es sich europaweit durch. Auswertungen von Energy Brainpool zeigen, dass in Spanien 90 Prozent der Projekte die Solarenergie betreffen, in Großbritannien 70 Prozent die Offshore-Windkraft, in Skandinavien 90 Prozent die Onshore-Windkraft. In Deutschland ist es ein Mix: 45 Prozent Onshore-Wind, 35 Prozent Solar, 20 Prozent Offshore-Wind.

Fast täglich gibt es nun Meldungen über neue Projekte. Vor Kurzem verkündete Greenpeace Energy einen bis Ende 2026 laufenden Vertrag über den Bezug von jährlich 11 Gigawattstunden Sonnenstrom aus Mecklenburg-Vorpommern. Dafür wurden die beiden betreffenden Anlagen aus der EEG-Förderung genommen. Der Schweizer Energiekonzern Axpo berichtete, er habe in Spanien ein PPA für ein Solarkraftwerk abgeschlossen, beliefert werde ein Hersteller von Kunststoffverpackungen. Das Handelsblatt schrieb, ein „Wettrennen um grünen Strom“ habe begonnen.

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