Berliner Fußballrivalität: Vorstadt schlägt Hauptstadt
Union Berlin mausert sich von der tiefen Berliner Provinz aus zum Kultklub. Hertha BSC formuliert derweil große Ziele und scheitert daran.
Mehr ländliche Idylle geht in einer Millionenstadt nicht. Im Stadion an der Alten Försterei entsteht sie Heimspiel für Heimspiel zumindest in den Köpfen, wenn die Fans aus ihrem Repertoire das Loblied auf ihren Berliner Kiez anstimmen: „Hey, FC Union, stürme hinaus, in Berlins Südosten bist du zu Haus, zwischen Wiesen und Wäldern, Tälern und Seen. Oh, Köpenick, du bist wunderschön… la la la…“ Beileibe singen das nicht nur Köpenicker:innen auf den Rängen, wie auch Christian Arbeit, der Stadion- und Pressesprecher vom 1. FC Union Berlin, dazu bemerkt.
Der Hype um den Klub, der vor noch nicht allzu langer Zeit in der Regionalliga kickte, ist mit dem Aufstieg in die 1. Bundesliga vor zwei Jahren noch einmal deutlich größer geworden und reicht über den Bezirk und die Stadt hinaus. Aber um zu dem Verein dazuzugehören, der diese Saison gar im internationalen Geschäft mitmischt, werden alle gern zu Köpenick-Anbeter:innen. Arbeit sagt: „Bei uns ist klar, wo wir zu Hause sind. Daraus schöpfen wir unsere Kraft. Das ist auch der Ort, für den wir uns besonders verantwortlich fühlen.“
Während bei Union die Fans zuletzt wie von selbst vom Köpenicker Kosmos angezogen werden, sinnt man beim Stadtrivalen Hertha BSC seit Jahrzehnten darüber nach, wie man expandieren kann, um die Menschen in der ganzen Stadt zu erreichen. Das Streben speist sich aus einem bestimmten Selbstverständnis. In Hertha-Mitteilungen stößt man häufiger auf das Wort „Hauptstadtverein“. Anders als bei Union gibt es bei Hertha Fanklubs namens „Hauptstadt Support“, „Hauptstadt-Wikinger“ oder „Hauptstadtkommando 2019“.
Und natürlich denkt der Verein über Berlin hinaus. Nach nur drei Jahren Bundesligazugehörigkeit erklärte im Dezember 2000 der damalige Hertha-Präsident Bernd Schiphorst im Sinne des zu der Zeit allmächtigen Managers Dieter Hoeneß: „Wir sind der Erstligist der deutschen Hauptstadt, daran wird die G14 mittelfristig nicht vorbeikommen.“ Gemeint war der Zusammenschluss der 14 mächtigsten europäischen Fußballvereine.
Hohn und Spott für Hertha
Investor Lars Windhorst, der dem Verein seit 2019 mit Überweisungen von insgesamt 375 Millionen Euro beträchtliche Kontobewegungen bei zugleich beständigem sportlichem Stillstand bescherte, denkt in derselben Traditionslinie. Die Worte von Schiphorst hat Windhorst ins Business-Englisch übertragen. Er prägte zu Beginn seines Engagements, als der Verein sich wieder mal in der unteren Tabellenhälfte abmühte, den Begriff des „Big City Club“. So ist Hertha zum leicht zu treffenden Spottziel der Liga geworden.
Hertha-Fan Tommy Kempert-Gmuer, der für eine Werbeagentur tätig ist, sicherte sich im Internet die Domain „Big City Club“, um sie selbstironisch als Spielwiese für einen Blog und einen Twitter-Account zu nutzen. Weil seine „Big City Club“-Tassen bei den Gewinnspielen so begehrt waren, verkauft er sie mittlerweile online. Obwohl er die Vereinsinsignien nicht verwendet, fragte er sicherheitshalber bei Hertha nach, ob sie ihn verklagen würden. So richtig sei das nicht ihre Marke, habe der Verein geantwortet. Der Vorgang zeigt: man kann nie sicher sein, wo der Spaß genau aufhört für den Weltklub Hertha.
„Es ist natürlich Quatsch, den Begriff einfach in die Welt zu setzen“, sagt Werbefachmann Kempert-Gmuer. So etwas müsse aus sich heraus entstehen. Grundsätzlich hätte Windhorst recht, dass eine Stadt wie Berlin mit solch einer internationalen Strahlkraft einen ebensolchen Verein verdient hätte. Die Marke könne man aber nicht etablieren, bevor der Erfolg einsetzt. Damit hätte der Verein eine große Angriffsfläche geschaffen. Wobei er einräumt, dass Windhorst einen Nerv bei den Anhängern getroffen hat. „Der Hertha-Fan fühlt sich qua Naturell des Berliners zu Höherem berufen.“
Unioner Kiezidylle
Andererseits gefalle man sich auch im Scheitern an der Großmannssucht. „Wir sind Berlin. Hier klappt ja gar nichts.“ Das gehöre zum Selbstverständnis vieler in der Stadt. Es sei schon ungewöhnlich in der Branche, dass der Verein einst mit seiner Kampagne „ We try, we fail, we win“ das Scheitern eingepreist habe. Das Warten auf den letzten Teil des Versprechens hält bis heute an.
Beim 1. FC Union Berlin dagegen verkauft sich das kleinteilig Kiezige gut. Im Fanshop gibt es Kleidungsstücke mit einer Berliner Postleitzahl, unionrote Oberteile mit der Aufschrift „12555 Köpenick“. Und auch die Marketingaktionen lesen sich wie Kontrastprogramme zum weltstädtischen Führungsanspruch der Hertha. „Waldmeister“ heißt das jüngste Projekt bei Union. „Grüne Farbakzente“ hat der Verein auf sein aktuelles weißes Ausweichtrikot platziert. Fünf Euro pro Hemd sollen für die Pflanzung neuer Bäume in den Wäldern von Köpenick dienen.
„Das ist ein typischer Fall, wie die Dinge bei uns laufen“, findet Pressesprecher Christian Arbeit. „Wir beschäftigen uns mit dem, was uns unmittelbar berührt.“ Die bewaldete Wuhlheide grenze direkt an das Stadion und man habe in den letzten Jahren gesehen, welchen Schaden die letzten trockenen Jahre am Wald angerichtet hätten.
In ein paar Jahren sollen die von Union gepflanzten Obstbäume in den Klubfarben Rot und Weiß erblühen. „Unsere Verwurzelung im Bezirk, in unserer direkten Umgebung ist sehr intensiv“, sagt Arbeit zum Vereinsengagement in Köpenick. Da könnte man fast auf die Idee kommen, der 1. FC Union selbst sei so etwas wie ein lokales Naturprodukt. Aber ähnlich wie bei Hertha gibt es auch bei Union Brüche. Arbeit selbst erinnert daran, dass die eigenen Fans den gegnerischen gern einmal lautstark erklären: „Wir sind eure Hauptstadt, ihr Bauern!“
So wie das Möchtegern-Weltstädtische der Hertha mitunter doch zu sehr von seiner Provinzialität und Horstigkeit konterkariert wird, beißt sich bei Union zuweilen das nischige Kiezkultige mit der Berliner Großkotzigkeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Fans angegriffen
Gewalt in Amsterdam
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
+++ Nach dem Ende der Ampel +++
Habeck hat Bock
Auflösung der Ampel-Regierung
Drängel-Merz
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball
Elon Musk, Jeff Bezos & Co.
Trump-Wahl macht reichste Menschen noch reicher