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Volksentscheid EnteignungDie Angst regiert schon zu lange

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter

Wohnungen müssen Schutz bieten, nicht Aktionäre reicher machen. Ein Ja zum Enteignen-Volksentscheid ist deshalb die richtige Wahl.

DW-enteignen-Aktivist*innen bei der Mietenwahnsinndemo im September in Berlin Foto: Stefan Boness/Ipon

I st die Vergesellschaftung nicht viel zu teuer, rechtlich unsicher und kommt letztlich eh nicht? Wir Wäh­le­r*in­nen werden es nur erfahren, wenn wir dem Volksentscheid zu einer Mehrheit verhelfen. Es gibt keinen Grund, es dem nächsten Senat leicht zu machen, indem wir uns von gefühlten Bedenken leiten lassen oder der Angstmacherei der Immobilienlobby und ihrer politisch Verbündeten auf den Leim gehen. Stattdessen gilt es zu sagen, was wir erwarten: bezahlbare Mieten, Schutz vor Verdrängung, Wohnraum, der kein Spekulationsobjekt ist. Genau darum geht es bei diesem Volksentscheid.

Mit Nein zu stimmen, hieße, die gegenwärtigen Zustände zu legitimieren. Konsequenterweise müsste man dann auch die Privatisierung der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften oder Genossenschaften befürworten. Mehr Profit aus unseren Wohnungen! Genau das hat die Politik in den vergangenen Jahrzehnten ermöglicht – ohne, dass wir je gefragt wurden. Selbstverständlich nicht: Ein solches Programm hätte in der Mieterstadt Berlin niemals eine Mehrheit gefunden. Auch anderswo nicht. Nun dürfen wir endlich einmal mitreden: Vermasseln wir es nicht.

Und nein, es geht bei dieser Wahl nicht um Symbolik, sondern darum, die Verhältnisse vom Kopf auf die Füße zu stellen. Wohnungen müssen Schutz bieten, nicht Aktionäre reicher machen. Sie müssen für alle Menschen in jedem Teil der Stadt verfügbar sein, statt eine räumlich geteilte Gesellschaft zu produzieren. Nur ein großflächiger Eigentümerwechsel, also die Ablösung profitgetriebener durch gemeinwohlorientierte Akteure, wird den Wohnungsmarkt dauerhaft entspannen. Wenn das gelingt, muss es auch gar nicht mehr Markt heißen.

Vereinbarungen mit den Konzernen, damit die ihre Maximalinteressen für ein paar Jahre zurückstellen, werden dagegen die Probleme nicht beheben, sondern aufschieben. Das Volksbegehren fordert zurecht keine schärfere Mietpreisbremse oder Reduzierung der Modernisierungsumlage, sondern ein anderes, menschenwürdiges Modell. Der Weg dahin ist die Vergesellschaftung nach Artikel 15 des Grundgesetzes. Nur weil dieser Weg noch nie gegangen wurde, hat er nicht an Gültigkeit eingebüßt.

Bei einem Erfolg muss die nächste Regierung diesen Weg einschlagen, das ist ihr demokratischer Auftrag, an dessen Erfüllung auch ihre Legitimität gebunden ist

Bei einem Erfolg muss die nächste Regierung diesen Weg einschlagen, das ist ihr demokratischer Auftrag, an dessen Erfüllung auch ihre Legitimität gebunden ist. Sie muss sich jede notwendige Expertise besorgen, um ein wasserdichtes Vergesellschaftungsgesetz zu erlassen, die Angemessenheit der Maßnahme klug begründen und bei der Höhe der Entschädigungszahlungen eine Anforderung des Grundgesetzes nicht aus den Augen verlieren: das Interesse der Allgemeinheit.

Womöglich dauert das alles Jahre, aber die Zeit haben wir jetzt auch noch. Die Angst regiert diese Stadt schon viel zu lange.

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Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
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6 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Nicht die Angst regiert schon viel zu lange, sondern eine Koalition, die nicht den Neubau forciert, sondern ihn eher blockiert.

    Warum ist das ihrer Meinung nach so? Warum folgt man nicht dem superklugen Spruch "bauen, bauen, bauen"????? Wer hat Interesse am Blockierung und warum?

    "....asozial gegenüber Leuten, die Wohnungen suchen." Eine sehr steile These!



    Asozial sind erstmal alle Multimillionäre und Milliardäre.



    Ein milliardenschwerer Konzern wie Vonovia, der rücksichtslos mit dem Leben der Mieter spielt und sie aus der Stadt drängt, um den möglichst größten Profit einzuheimsen, gehört enteignet, was denn sonst (ohne Gewalt auszuüben).

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Ein Ja zum Enteignen-Volksentscheid ist deshalb die richtige Wahl."

    Absolut!



    Alle Villenbesitzer, bitte zeigt euch solidarisch. Niemand will euch euer Haus wegnehmen und der Kühlschrank wird auch nicht verstaatlicht.

    Es muss endlich aufhören, dass man mit Wohneigentum spekulieren kann.

    Vermögensverteilung



    Studie: Reichste zehn Prozent besitzen gut zwei Drittel des Vermögens (Wirtschaftswoche 2000).



    Die Reichen sind ja unter Merkel noch einmal ein Stück reicher geworden.



    DAS IST EMPÖREND UND MUSS SICH ÄNDERN_!

  • @SCHMOLLO:

    Also... wenn ich mir die Wahlprogramme der Parteien so anschaue, dann schneiden Linke (und Grüne) noch am besten ab.

    Das Geschwafel der CDU ist ganz weit hinten.

    OK. AfD läuft ausser Konkurrenz. Das guckt mensch sich lieber erst gar nicht an.

  • Habe in den letzten Wochen jeden Artikel zum Thema Enteignen gelesen hier bei TAZ Online. Was ich herraussagend finde, ist die Menge an genannten Fakten oder gar Risiken. Es soll ein Zigmilliarden Kredit Haushaltsneutral aufgenommen werden. Abbezahlt durch den Profit mit den Mieten. Es muss Infrastruktur geschaffen und erweitert werden um die Wohnungen zu verwalten. Es gibt soetwas wie Ausgaben auf Vermieterseite. Der Kredit soll wie lange laufen? 20, 50, 100 oder gar 200 Jahre? Nirgends auch nur ein Hauch von Informationen hier. Thema Kredit. Alles kalkuliert mit fast 0 Zins heutzutage. LWas passiert bei Zinssteigerung und, Gott bewahre, sinken der Immobilienpreise. Was passiert wenn der Kredit nicht mehr duch Mieteinnahmen gedeckt werden kann. Wo wird als erstes geürzt? Bildung, Kultur? Oder werden die Wohnungen wieder verscherbelt, fast verschenkt um den Haushalt auszugleichen??? Ich wähle morgen die Partei die Linke und hoffentlich viele andere auch. ...ps: irgendwie ist es traurig, dass mir die Fantasie fehlt, für solch ein Luftschloss. Mit 14 hätt ich wohl auch mit JA gestimmt.

  • TAZ:



    Womöglich dauert das alles Jahre, aber die Zeit haben wir jetzt auch noch. Die Angst regiert diese Stadt schon viel zu lange.

    Nicht die Angst regiert schon vile zu lange, sondern eine Koalition, die nicht den Neubau forciert, sondern ihn eher blockiert.

    Wenn Berlin jedes Jahr um 30.000 Menschen anwächst, braucht es ein entschlossenes Neubaubündnis wie in Hamburg.

    Das Volksbegehren löst dieses Problem nicht und ist asozial gegenüber Leuten, die Wohnungen suchen.

    DW & Co vermieten im Schnitt für 7,14 EUR/qm.

  • 8G
    86548 (Profil gelöscht)

    Schöner Artikel. Aber: RRG und Expertise, RRG und wasserdichte Gesetzgebung. Das sind Widersprüche in sich.