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Wahlverhalten von Se­nio­r:in­nenDie unberechenbaren Alten

Wählt man im Alter konservativer? Oder doch linker als in jungen Jahren? Kommt drauf an, sagen ältere Wäh­le­r:in­nen und Sozialforscher.

Was wurde hier angekreuzt? Auch ältere Wäh­le­r:in­nen entscheiden sich noch um Foto: Michael Schick/imago

Berlin taz | 20 Jahre lang war Anna Ohnweiler CDU-Mitglied, aber vor drei Jahren reichte es ihr. Die ehemalige Lehrerin aus dem baden-württembergischen Altensteig war in der Kommunalpolitik aktiv, sie setzte sich für mehr Sozialarbeit an Schulen ein, für bezahlbaren Wohnraum, für gebührenfreie Kitas. Ein CDU-Parteikollege rügte sie: „Das sind doch die Themen der Sozis.“ Im November 2018 kündigte Ohnweiler ihre CDU-Mitgliedschaft. „Auch dass sich innerhalb der CDU die Werte-Union gegründet hatte, hat mich gestört“, sagt die 71-Jährige heute.

Ohnweiler initiierte die Gruppe „Omas gegen Rechts in Deutschland“ und trat wenig später in die SPD ein. „Viele sagen, ich sei eigentlich eine Humanistin“, berichtet Ohnweiler. Die „Omas gegen Rechts“ stünden dafür, „entschlossen die Demokratie zu verteidigen“. Die Gruppe hat den Kampf gegen Rechtsextremismus, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus sowie für den Klimaschutz auf der Agenda. „Klimaschutz ist Enkelschutz“, sagt die dreifache Großmutter.

Ohnweiler ist in späteren Jahren nach links geschwenkt. Generell wird die Gruppe der Wech­sel­wäh­le­r:in­nen in Deutschland größer. Und: Die Gruppe der Wech­sel­wäh­le­r:in­nen wachse „allmählich auch in die Altersgruppe 60plus hinein“, sagt Achim Goerres, Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen. Vorbei sind die Zeiten, in denen Wäh­le­r:in­nen den Parteien, denen sie sich in jungen Jahren verbunden fühlten, unbedingt die Treue hielten. „Der Anteil der Stamm­wäh­le­rinnen und -wähler sinkt“, so Goerres.

Es gibt allerdings generationale Zuordnungen. Laut einer Studie des Parteienforschers Dominik Hirndorf von der Konrad-Adenauer-Stiftung rekrutierten Unionsparteien und SPD ihre Wählerschaft bei der Bundestagswahl 2017 überproportional aus den Altersgruppen ab 60 Jahren. Im Zeitverlauf werde deutlich, dass dieser hohe Wähleranteil unter den Älteren „für die CDU/CSU auch bei allen vorherigen Wahlen zutraf, wohingegen die SPD noch in den 70ern und 80ern überdurchschnittlich gut bei jungen Wählerinnen und Wählern abschnitt“, schreibt Hirndorf.

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Unter den heute älteren Wäh­­le­r:in­nen gibt es eine Konrad-Adenauer- und eine Willy-Brandt-Generation. Doch für die Jüngeren lassen sich solch klare Zuordnungen seit dem Aufstieg von kleineren Parteien wie den Grünen und zuletzt der AfD nicht mehr ausmachen. Die Grünen sammelten zuletzt die meisten Stimmen bei den heute 45- bis 59-Jährigen, so Hirndorf. Es ist abzuwarten, ob mit der Alterung der Grünen-WählerInnen deren Anteil auch unter den Rent­ne­r:in­nen zunimmt.

Signifikante Unterschiede bezüglich grundlegender Werteeinstellungen zwischen den Altersgruppen zeigten sich nicht, stellte Hirndorf fest. Vielmehr seien weitere soziodemografische Faktoren wie Bildung und Einkommen sowie individuelle Einstellungen wichtiger für die Wahlentscheidung als das Alter.

Die mitunter verbreitete These, dass Menschen mit dem Älterwerden eher konservativer wählen, ist „einfach falsch“ sagt Politikwissenschaftler Goerres, „das Alter war noch nie so unwichtig für das Wahlverhalten wie heute“.

Dabei können sich individuelle Einstellungen im Leben sowohl in die eine als auch in die andere Richtung ändern. Jan Kutscher zum Beispiel, 57 Jahre alt, Unternehmensberater in Berlin, hat in seinen jungen Jahren mehrfach die Grünen gewählt und wäre einmal sogar fast in die SPD eingetreten. Später wandte er sich von den Grünen und anderen Parteien des linken Spektrums ab und machte seine Kreuze bei der CDU oder FDP.

Viel wichtiger als das Alter: Geld

„Das hat auch mit meiner Berufstätigkeit zu tun“, sagt der Unternehmensberater, „in meiner Arbeit mit den Betrieben habe ich erlebt, dass das Klischee der Linken von den gierigen Unternehmern, die nur Geld abschöpfen wollen, einfach nicht zutrifft. Unter den Mittelständlern sind durchaus soziale Leute, die selbst eigenes Geld einsetzen, Risiken eingehen, sozial Benachteiligte fördern.“ CDU und FDP habe er nicht aus glühender Anhängerschaft gewählt, es ginge ihm eher darum, „das kleinere Übel zu wählen“, erklärt er. Dieses Jahr wird er gar nicht an die Urne gehen.

Es gebe eine Tendenz, dass diejenigen, die sich wirtschaftlich nicht so gut fühlten, eher links wählen, sagt Goerres. Diejenigen, die finanziell besser aufgestellt sind, seien hingegen eher auf der rechten Seite zu finden. Diese Regel gelte für die sozioökonomische Dimension des Wahlverhaltens. Hinzu komme eine kulturelle Dimension. „Da lassen sich unter den materiell gut Aufgestellten auch viele mit kosmopolitischen Werten finden, die ein diverses, buntes Miteinander über Grenzen hinweg anstreben“, erklärt Goerres.

Eins allerdings hat sich gezeigt: Ältere Menschen wollen auf keinen Fall als „Senioren“ angesprochen werden. Parteien wie „Die Grauen“ und andere Seniorenparteien kommen nicht auf nennenswerte Stimmenanteile, obwohl der Anteil der Wäh­le­r:in­nen im Rentenalter inzwischen mehr als ein Drittel beträgt.

Claus Bernhold, Bundesgeschäftsführer der Senioren-Union, der Alten-Organisation von CDU/CSU, kann von diesem Identifikationsproblem ein Liedchen singen. Die Senioren-Union leide unter „Nachwuchsmangel“, erzählt er, „wer heute 60, 65 ist und etwa angeschrieben wird, ob er oder sie sich nicht in der Senioren-Union engagieren will, der sagt: Um Himmels willen, so alt bin ich doch noch gar nicht!“ Vom Streit über die Zukunft der Rente seien die Mitglieder der Senioren-Union mit einem Durchschnittsalter von 78 Jahren nicht mehr so betroffen, so Bernhold, „die sind ja in der Regel abgesichert“.

Ältere vor allem mit vermeintlichen „Alten-Themen“ ansprechen zu wollen funktioniert nicht unbedingt. Die Gruppe der Älteren ist sehr heterogen. Ein 55-Jähriger sieht eine kommende Anhebung des Renteneintrittsalters dramatischer als ein 75-Jähriger, der davon nicht mehr tangiert wird.

Bei den Wahlen spielen die Personen der Kandidierendeneine zunehmend wichtige Rolle, erklärt Goer­res. Das gelte auch für die älteren Wähler:innen, die politisch nicht so informiert sind. „Sie bevorzugen Kandidaten und Kandidatinnen, die auch älter sind, die ihnen ähnlich sind, die sympathisch rüberkommen“, so der Politikwissenschaftler.

Einfacher wird es also nicht, um die Gunst der heterogenen alternden Wählerschaft zu ­werben.

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10 Kommentare

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  • In BaWü hat die Altersgruppe 60-69 anteilsmäßig am häufigsten Grün gewählt, bei den 18-24-Jährigen war die FDP am beliebtesten. Man sollte also wirklich nicht pauschal Alte als ewig gestrige diffamieren. FFF ist eben wirklich nur eine extrem kleine Minderheit.

  • Ich glaube das viel mehr als das Alter der Unterschied zwischen Stadt und Land in Zukunft die Politik prägen wird.



    Die gegenwärtige Politik wird mehr als früher von Personen geprägt die aus einem urbanen Umfeld kommen.



    Wenn das Krankenhaus, der Arzt, die Schule, das Schwimmbad, der Musik Unterricht, der Sportverein nur wenige Kilometer entfernt sind, dann kann man zum Beispiel einfach fordern dass Fahrräder in Zukunft eine größere Bedeutung bekommen sollen.

    Wenn der nächste Arzt aber 15 km, der Musikunterricht 20 km, und die Arbeitsstelle 50 km entfernt sind, dann sieht die Sache schon anders aus, hier ergeben sich politische Unterschiede die nicht so einfach aufzulösen sind.

    • @Paul Rabe:

      Klar, dafür ist man auf den Land dann aber viel mehr mit Dürre und so Klimakram konfrontiert.

    • 3G
      32533 (Profil gelöscht)
      @Paul Rabe:

      Kulante Nachlässigkeit - oder die Ignoranz eines früheren Geburtsjahrgangs???

      Wie sieht es im HIER UND JETZT aus? Das zählt. Für Ältere: VOR ALLEM das.

      Ohne Gegenwart keine Zukunft - sondern nur Vergangenheit.

  • Das Denken über das politische Verhalten von älteren Menschen ist weiterhin von dem unsäglichen Satz "Wer mit 20 kein Kommunist ist ..." geprägt. Wahrscheinlich war der Satz immer schon falsch, in der Gegenwart ist er es auf jeden Fall.



    So oder so können Ältere altruistischer sein und sind es auch häufig. Sie können sich auch viel mehr Gedanken um die Zukunft machen, es ist nicht mehr ihre Zukunft, damit auch weniger angstbesetzt, gleichzeitig aber von Sorge um ihre Enkelkinder geprägt. Ältere werden oft auch radikaler, gerade weil sie sehen, wie wenig Zeit manchmal bleibt. Und natürlich passen sie ihre Präferenzen an. Mein Vater dürfte im Laufe seines Lebens ungefähr so gewählt haben: CDU, SPD, FDP, Grüne, CDU, Grüne, Linke, Grüne. Jedesmal aus konkreten Gründen. Ich finde das vorbildlich. Sehr viel zweifelhafter ist die Rolle der 45- bis 60- jährigen. Gerade der Männer. Die sind doch sehr eingegraben in ihrer Konsumwelt, in ihren Bedürfnissen und vermeintlichen Zwängen. Diese Gruppe spielt ja zum Beispiel auch eine fragwürdige Rolle beim Umgang mit der Pandemie, da sieht man viel Selbstüberschätzung und wenig Solidarität. Es mag ja sein, dass in dieser Altergruppe viel Grün gewählt wird, aber erstens wahrscheinlich deutlich mehr von den Frauen und zweitens sagt die Wahlentscheidung nicht immer sehr viel aus über die tatsächliche Geisteshaltung. Es gibt ohne Ende grün- wählende konservative Ingenieurstypen, ebenso natürlich SPD- wählende wohlhabende Lehrerehepaare und es gibt natürlich mehr CDU- Wähler die AFD- Positionen vertreten, als solche, die sich für Flüchtlinge oder Arme engagieren. Manchmal kommen die tatsächlichen Präferenzen durch, das läuft dann gerne unter Protest , meistens scheut man aber doch die Veränderung, beziehungsweise, man erwartet, dass sich die Partei der eigenen Meinung anpasst. Es gibt aber natürlich auch immer regionale Faktoren, es gibt 90- jährige, die nach 70 Jahren CDU die unabhängige Bürgermeisterkandidatin wählen.

  • Aha. Die Leute wählen also egoistisch und wollen nicht alt genannt werden. Was für Erkenntnisse...

    • @Samvim:

      Das ist auch mein Fazit. Dazu lässt sich aber noch sagen, dass die die sich über den Egoismus erheben können, dann doch eher links wählen. Nicht wie im Text behauptet, dass dem eher eine Homogenität der persönlichen Benachteiligung zugrunde liegt.

  • 3G
    32533 (Profil gelöscht)

    Welch unerwartete Differenziertheit an dieser Stätte der Beliebigkeit.

    Der Alte, das unbekannte Wesen. Doch: wo zeigt sich, dass Ältere - wie im Text behauptet - nicht als Senioren angesprochen werden wollen. Mir ist dies jedenfalls zehnmal lieber als mir zum 1001. Mal "Junger Mann" an einer Supermarktkasse anzuhören.

    Angemessenheit, eines der großen - vernachlässigten - Themen der Gegenwart.

    Post scriptum: Wer sagte noch mal: Im Alter wird man immer jünger? Ich werde nächstes Jahr 70 - wenn es das Universum will.

    • @32533 (Profil gelöscht):

      „Junger Mann“ - Rheinland?

      • 3G
        32533 (Profil gelöscht)
        @sachmah:

        Nein. In Marburg und Gießen.



        Im Rheinland sagen die doch "Jung", wenn er noch auf den eigenen Beinen stehen kann.



        Zugegeben: es ist schon fünf Jahre her.



        °:°