Merkels Feminismus-Bekenntnis: Applaus hat sie nicht verdient
Angela Merkel nennt sich öffentlich eine Feministin. Doch angesichts ihrer frauenpolitischen Bilanz ist das kaum mehr als ein Lippenbekenntnis.
Dann bin ich Feministin.“ Da ist er – der Satz, auf den so viele gewartet haben. Sechzehn Jahre lang wollte sich die erste deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht als Feministin bezeichnen. Als sie 2017 bei der W20-Frauenkonferenz direkt darauf angesprochen wurde, antwortete sie zögerlich, dass sie sich nicht mit „der Feder schmücken“ möchte. Ganz im Gegenteil zu den anderen Frauen auf der Bühne, Ivanka Trump und die niederländische Königin Máxima.
Ihre überraschende Kehrtwende legte Merkel nun am Mittwochabend auf einer Theaterbühne in Düsseldorf hin. An der Seite der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie und zwei Moderatorinnen stand Merkel Rede und Antwort zu Gesellschaftlichem und Persönlichem. Auf die Frage, wie sie heute zu Feminismus stehe, sagte sie, Máxima habe ihr damals schon das Tor geöffnet mit dem Hinweis, im Grunde gehe es doch nur darum, dass Frauen und Männer in gleichem Maße am gesellschaftlichen Leben teilnähmen. Und endet ihre Antwort in Anlehnung an Ngozi Adichies Ted Talk mit: „Ja, wir sollten alle Feministen sein.“ Ein Satz, der mit Jubel der Gäst:innen belohnt wird.
Dass Merkel sich erst kurz vor Ende ihrer Kanzlerinnenschaft als Feministin bekennt, ist vermutlich kein Zufall. Denn viele politische Taten, an denen man ihren feministischen Anspruch messen kann, wird es von ihr nicht mehr geben. Im Hinblick auf ihre politische Karriere wirkt Merkels Aussage wie ein Lippenbekenntnis. Denn auch wenn Feminismus nicht klar definiert ist, gehört der Kampf gegen bestehende ökonomische Ungerechtigkeiten, gegen Gewalt gegen Frauen und für mehr körperliche Selbstbestimmung in jedem Fall dazu. Und hier hat sich in Merkels vier Legislaturperioden wenig getan.
Merkel mag als erste Bundeskanzlerin für viele ein Vorbild sein und auch die ein oder andere Tür geöffnet haben. Doch für feministische Politik ist die Kanzlerin nicht bekannt. Im Gegenteil. Die wenigen frauenpolitischen Fortschritte der letzten 16 Jahre gab es meist trotz und nicht wegen Merkel. Applaus hat sie dafür nicht verdient.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autoritäre Auswüchse beim BSW
Lenin lässt grüßen
Prozess zum Messerangriff in England
Schauriger Triumph für Rechte
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott
Tarifverhandlungen bei Volkswagen
VW macht weiterhin Gewinn
Rückgabe von Kulturgütern
Nofretete will zurück nach Hause
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los