Regisseur über Frauen in der Politik: „Macht galt als unweiblich“

Regisseur Torsten Körner porträtiert in „Die Unbeugsamen“ Politikerinnen der Bonner Republik. Ein Gespräch über Sexismus und Durchhaltevermögen.

Fraktionssprecherinnen der Grünen im Deutschen Bundestag 1984 Foto: Malte Ossowski/Sven Simon

taz: Herr Körner, Sie beschreiben in Ihrem Dokumentarfilm, wie die frühen Frauen und Ministerinnen der Bonner Republik die Politik revolu­tionierten. Was haben die Frauen reingebracht, was anders war?

Torsten Körner: Die Unionspolitikerin Helene Weber hat 1949 vor dem Bundestag gesagt: „Der reine Männerstaat ist das Verderben der Völker.“ Sie hat nur Gelächter der Männer geerntet, das gibt einem sehr zu denken. In den 50er und 60er Jahren haben die Frauen einen kritischen Blick an diese Männerformation, die Männerrepublik eingebracht.

ist 55 Jahre alt, Dokumentarfilmer und Autor. Sein Film „Die Unbeugsamen“ läuft seit Anfang September im Kino.

Das Parlament war nach dem Krieg das letzte Reservoir übersteigerter Männlichkeit, sagt die FDPlerin Lieselotte Funcke. In allen anderen Gesellschaftsbereichen hatte der Mann ja schon gezeigt, dass er es nicht so draufhat.

Zwölf Frauen kommen in Interviews zu Wort, darunter Ingrid Matthäus-Maier (SPD, früher FDP), Herta Däubler-Gmelin (SPD), Rita Süssmuth (CDU) und Christa Nickels (Grüne). Sie nennen Sie „Die Unbeugsamen“. Warum?

Das steht für Standhaftigkeit und Machtanspruch und für Frauen, die nicht klein beigeben. Politik galt als unweiblich, Macht galt als unweiblich. Aber alle Interviewpartnerinnen des Films haben sich über Parteigrenzen hinweg unerschrocken in diese Männerwelt gestellt.

All diese Pionierinnen begannen von den 50ern bis in die 70er damit, das Parlament neu zu beatmen und Löcher in die Bretter der Männerköpfe zu bohren. Klar mussten sie politisch Kompromisse machen – aber biografisch haben sie sich nicht gebeugt.

Die junge Grüne Waltraud Schoppe hält 1983 eine Rede zu körperlicher Selbstbestimmung, die Männer der Union buhen sie aus und bezeichnen sie als Hexe. Hat Sie erstaunt, wie bleiern diese Zeit in Bezug auf Geschlechterrollen noch war?

Im Rückblick hat mich schon überrascht, wie unreflektiert auch ich selbst zu Zeiten der Bonner Republik auf diese Autosuggestion hereingefallen bin, dass frau Macht nicht kann. Wir hatten uns alle miteinander verabredet, Männer wie Frauen, dass eine Frau keine Kanzlerin sein kann. Mir fiel während der Arbeit am Film wie Schuppen von den Augen, welche Denkblockade das war. In dem Moment kam mir die gesamte Bonner Republik verdächtig und unvollständig vor.

Die frühere FDPlerin Helga Schuchardt erzählt, wie ihr der Bundestagspräsident Richard Stücklen mit dem Daumen über den Rücken fährt, um zu ertasten, ob sie einen BH trägt. Gleichzeitig berichten die Frauen, dass sie den Männern in solchen Situationen das Gefühl geben mussten, dass das schon irgendwie alles okay sei – sonst wäre das auf sie selbst zurückgefallen. Hat sich das geändert?

Frau Schuchardt hat sich später sogar bei Stücklen entschuldigt, weil sie den Vorfall angeblich an die Presse durchgestochen habe, was sie nicht mal getan hat. Das ist ja eigentlich noch bestürzender: dass frau meinte, sich dafür entschuldigen zu müssen.

Ich würde sagen, so ein Verhalten wie das von Stücklen gibt es im Parlament heute nicht mehr, zumindest nicht auf der Vorderbühne. Ich hoffe, dass Frauen solche Sachen sofort anzeigen würden und Kollegen, die sich so verhalten, draußen wären.

Gleichzeitig hat #Metoo gezeigt, wie viele Fälle es gibt, die unter dem Deckel gehalten werden.

Im kulturellen Bereich und anderen Arbeitswelten ist es für Frauen aufgrund wirtschaftlicher Abhängigkeiten von Männern, die immer noch die Schlüsselpositionen besetzen, tatsächlich noch schwerer. In der Politik ist das hoffentlich anders, weil diese Sphäre unter Dauerbeobachtung steht. Gleichzeitig hat sich viel Frauenhass in die digitale Welt verlagert. Politikerinnen müssen drei- bis viermal mehr Hass und Hetze aushalten als Politiker, das sieht man an Renate Künast und anderen.

Wie kamen Sie auf die Idee zum Film?

Ich habe 2013 ein Buch über Willy Brandt geschrieben und mit vielen Politikerinnen und Journalistinnen gesprochen. All diese Frauen hatten umwerfende, atmosphärisch starke Geschichten zu erzählen. Sie hatten einen ganz anderen Blick auf Politik als Männer, eine viel größere Sensibilität für Details und begriffen Politik nicht einseitig als Machtoption. Ich wollte diese anderen Blicke zu einem Chor machen. Deshalb habe ich auch nur Frauen für den Film interviewt. Die Männer sprechen sonst mehr als genug.

Ihre Geschlechtsgenossen kommen nicht gut weg. Sie benehmen sich gönnerhaft, oft hämisch. Wie war das, als Mann so einen Film zu machen?

Für mich war es kein Schock, zu sehen, wie die Männer sich selbst entlarven. Mir hat es sogar gefallen: Ich brauche sie nicht mit einem Kommentar aus dem Hintergrund zu überführen, die erledigen sich selbst. Ich freue mich außerdem, wenn der Typus retroseliger Machtmann, von denen etwa Friedrich Merz eines der letzten Fossilien ist, von der Bildfläche abtritt.

Haben Sie einen feministischen Film gedreht?

Ich würde schon sagen, dass es ein feministischer Film geworden ist. Aber nicht aus der Absicht heraus, einen feministischen Film zu machen, sondern durch die Kraft der Erzählerinnen und durch die Zuschauerinnen. Ich habe mich in eine Reihe von Previews gesetzt, um zu sehen, wie das Publikum reagiert. Der Film emotionalisiert sehr stark, die Zuschauerinnen eignen ihn sich an. Weil er Erfahrungen artikuliert, Demütigungen, die viele Frauen auch in anderen Feldern gemacht haben. Gleichzeitig glaube ich, dass Männer von dem Film am meisten lernen können.

Inwiefern?

Wenn sie offen sind, begeben sie sich auf eine Bildungsreise und betrachten Machtformationen, die durch Männer geprägt sind, mit mehr Fragezeichen als vorher. Und vielleicht entsteht mehr Empathie für das weibliche Gegenüber im Alltag, in Entscheidungs- und Kommunikationssituationen.

Zentrale frauenpolitische Themen wie den Paragrafen 218 oder auch Vergewaltigung in der Ehe streifen Sie nur am Rande. Warum?

Die Kraft der Haupterzählung liegt im Kampf der Frauen um Teilhabe. Auch die Quote kommt kaum vor: weil man dann sofort in eine komplexe, strittige Erzählung abrutschen und den Fokus verlieren würde. Vielleicht hätte ich mich da als Mann auch verhoben. Ich brauchte eine Erzählung, die alle Frauen mitnimmt und stärkt und sich nicht mit unterschiedlichen Positionen zu einzelnen Fragestellungen beschäftigt.

Über manches kann man heute lachen, weil es aus einer anderen Zeit stammt. Manches scheint erschreckend aktuell, zum Beispiel die Frage, wie Politikerinnen Arbeit und Kinder vereinbaren. Was wirkt heute nach?

Mich hat überrascht, dass sich der Film auf mehreren Ebenen aktualisiert. Immer noch haben Frauen es schwerer in der Politik, weil die Care-Arbeit meistens bei ihnen hängen bleibt. JournalistInnen gehen mit Politikerinnen immer noch anders um. Renate Schmidt erzählt im Kapitel über Umweltschutz davon, wie ihre Kinder sie zu Demos mitnehmen, das hat einen Bezug zu Fridays for Future.

Im Kapitel über die Wehrmachtsausstellung schreit der Neonazi „Presse lügt, Presse lügt!“, was auf die AfD und den Rechtsruck verweist. Insgesamt ist der Frauenanteil in den Länderparlamenten und dem Bundestag heute außerdem so niedrig wie lange nicht. Der Film setzt sich selbst auf die Tagesordnung.

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