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Kleinpartei „Die Urbane“ im WahlkampfHipHop goes Bundestag

Die Kleinpartei „Die Urbane“ setzt sich für Antirassismus und Dekolonialisierung ein. Wer steht dahinter? Ein Treffen im Hamburger Schanzenviertel.

Zwei für „Die Urbane“: Nana Asantewaa Asafu-Adjei und Zandile Amy Ngono im Hamburger Schanzenviertel Foto: Victor Efevberha

Hamburg taz | Ein überrraschend sonniger Septembertag in Hamburg. Cafés, Bistros und Restaurants im Schanzenviertel sind zur Mittagszeit gut besucht. Vor einem Café auf einer schwarzen Bierbank nahe dem besetzten Kulturzentrum „Rote Flora“ sitzen Zandile Amy Ngono und Nana Asafu-Adjei.

Die beiden Frauen, die sich als People of Color identifizieren, sind Aktivistinnen der Partei „Die Urbane“ (DU). Die 44-jährige Asafu-Adjei arbeitet in der Geflüchtetenhilfe. Zandile Ngono, 27, studiert Sozialökonomie, einen Studiengang, der für sie eine besondere Bedeutung hat: „Mir gefällt das Fach, weil es auch Menschen studieren können, die kein Abitur haben“, sagt Ngono.

Die beiden befinden sich mit ihrer Partei mitten im Wahlkampf, für die Bundestagswahl. Keine einfache Aufgabe, denn Wahlplakate kamen mit Verspätung und allgemein bleibt wenig Zeit, um neben den Alltagsverpflichtungen die Partei bekannt zu machen und Wahlkampf zu führen: „Wir sind keine Be­rufs­po­lit­ike­r:in­nen sondern in erster Linie Aktivist:innen“, erklärt auch Paula Bianka Abramik. Die 25-jährige Mutter studiert Politikwissenschaften in Kiel und ist Mitglied in der gleichen Partei wie Asafu-Adjei und Ngono.

Vergesellschaftung privater Konzerne

„Die Urbane“ nennt sich im Untertitel „eine HipHop Partei“. Verorten lässt sie sich links vom politischen Mainstream. Beim Thema Wohnen fordert Die Urbane etwa die Vergesellschaftung privater Immobilienkonzerne. Die Urbane versteht sich als „radikal, dekolonial und machtkritisch“. Gegründet wurde sie 2017 von einer Gruppe Aktivistinnen. Mit 339 Mit­glie­dern zählt DU zu den Kleinparteien in Deutschland. Eine von vielen bei dieser Bundestagswahl.

Laut Bundeswahlleiter sind es diesmal 47 kleine Parteien, die am Sonntag auf den Wahllisten vertreten sind. Die Politikwissenschaftlerin Isabelle Borucki sieht in der Vielzahl der neuen Gruppierungen zwei Trends: „Wir erleben eine Spezialisierung und Differenzierung im Parteiensystem und eine zunehmende Politisierung verschiedener Milieus.

Gleichzeitig können wir eine Abnahme dieser Politisierung in den großen Parteien beobachten“, sagt sie der taz. Das liege auch daran, dass mit dem Ausscheiden von CDU-Bundeskanzlerin Merkel viele Gruppen die Chance für einen Wandel sehen und politische Machtverhältnisse sich neugestalten lassen, erklärt Borucki.

Für Volksparteien relevant

Für den Parteienforscher Ulrich von Alemann haben neue Parteien einen Mehrwehrt: „Sie sind Frühwarnsystem für Themen, die später für große Parteien relevant sein könnten.“ Zudem schätzt von Alemann an ihnen den niedrigschwelligen Einstieg in die Politik, den sie gewähren: „Es sind auch Spielwiesen der Demokratie und eine Kiesgrube für manche radikalen Aktivisten, wo die etablierten Parteien froh sind, dass sie nicht offroad die eigene Basis durcheinanderbringen.“

Als radikal beschreibt sich Die Urbane auch selbst. So lautet eine ihrer Forderungen die Abgabe von 50 Prozent aller individuellen, privaten oder familiären Vermögen, die über 100 Millionen Euro liegen. Das geht weit über das hinaus, was Die Linke oder die SPD in Bezug auf Vermögensteuern in ihren Wahlprogrammen schreiben.

Dekolonialisierung ist ein weiteres Kernthema von DU, dabei geht es um Aufarbeitung von Geschichte und Prävention: „Wenn wir von Reparationszahlungen sprechen und die Aufarbeitung des kolonialen Erbes verlangen, geht es nicht um Schuldzuweisungen“, sagt Ngono. Sie spricht von Fehlerkultur: „Es ist okay, Fehler zu machen, aber wir müssen unsere Fehlerkultur komplett ändern und uns nicht nur entschuldigen, sondern verstehen, was falsch gemacht wurde und wie die Fehler in Zukunft vermieden werden können.“

Aufarbeitung der Kolonialzeit

Um das Unrecht aus der Kolonialzeit umfassend aufzuarbeiten und solche Vorkommnisse für alle Zukunft auszuschließen, setzt man neben Reparationen bei der Urbanen vor allem auf Bildung. So möchte die Partei, dass die Studiengänge „Black Studies“ und „Decolonial Studies“ eingeführt werden. Ein Großteil der Vorstandsmitglieder der Urbanen hat beide oder einen Elternteil aus Afrika. Zandile Ngonos Vater stammt aus Südafrika, die Kielerin Paula Bianka Abramik ist ebenfalls Tochter eines Afrikaners, und beide Eltern von Nana Asafu-Adjei kommen aus Ghana.

Alle drei geben an, aufgrund rassistischer Erfahrungen, die sie hierzulande gemacht haben, politisch aktiv geworden zu sein. Dazu kommen individuelle Beweggründe: „Die Familie meines Vaters hat im Südafrika der Apartheidszeit aktiven Widerstand gegen das Regime geleistet, mir wurde Aktivismus in die Wiege gelegt“, erläutert Ngono.

Abramik kandidiert in Schleswig-Holstein für ein Direktmandat. Sie hat eine weite politische Reise zurückgelegt. In ihrer Jugend in Kiel war sie Mitglied bei den Jungen Liberalen, der FDP-Jugendorganisation: „Das lag vor allem daran, dass ich politisch noch nicht so gebildet war wie heute. Erst später habe ich erkannt, was die Wurzel vieler Probleme ist“, sagt Abramik, die inzwischen Neoliberalismus als Grundübel betrachtet.

Antirassismus kein Thema im Wahlkampf?

Antirassismus, sagen die drei Parteimitglieder übereinstimmend, sei ein wichtiges Thema. Nur: im aktuellen Wahlkampf komme es viel zu kurz, findet Ngono: „Bei den TV-Triellen hat man gesehen, wie Antirassismus und Migration von keiner der Kan­di­da­t:in­nen erwähnt wurden.“ Aber was genau haben Antirassismus, Dekolonialisierung und Überwindung des Kapitalismus mit HipHop zu tun? Einem Genre, dessen Stars hierzulande in jüngster Zeit eher mit Markenfetischismus, frauenfeindlichen und antisemitischen Reimen von sich reden gemacht haben.

Außer der Legalisierung von Graffiti kommt im Parteiprogramm der Urbanen nichts vor, was sich direkt auf die Kulturform HipHop beziehen lässt. Es geht der Partei in der Erinnerung an HipHop eher um die emanzipatorischen Urwerte des Genres und nicht um die kommerzialisierte Form der Musik heute: „Du kannst auch Helene Fischer hören und Mitglied bei uns werden, Hauptsache, du lebst HipHop“, erläutert Abramik. Die besagte Emanzipation findet im Zeitalter von „Ballin“, einer Zurschaustellung von extremem Reichtum und Gebrotze, aber kaum mehr statt.

HipHop und Pop als Inszenierungselemente in der Politik kennzeichnen eine lange Geschichte von Fehlschlägen, Missinterpretationen und frechen Aneignungen. Man erinnere sich nur an die Amtszeit von Donald Trump, der viele Kleinkriege und juristische Auseinandersetzungen mit den Stars der Popwelt führte, weil er unerlaubt ihre Songs für Auftritte nutzte. Für die Inaugurationszeremonie Anfang 2017 fanden sich kaum Bands, die bereit waren, für ihn aufzutreten.

Trumps Aneignungen

Während seiner Amtszeit als Präsident distanzierten sich wiederholt Mu­si­ke­r:in­nen öffentlich von Trump, weil er deren Songs spielte. Zudem unternahm Trump verzweifelte Versuche, sich unter jungen Wäh­le­r:in­nen beliebt zu machen, indem er öffentlich die Nähe zum HipHop-Genre suchte. Superstar Kanye West lud er gar ins Weiße Haus ein. Als eine seiner letzten Amtshandlungen begnadigte Trump den Rapper Kodak Black, der wegen Waffenvergehen inhaftiert war. Das tat der US-Präsident auf Bitten des afroamerikanischen Rappers Lil Wayne.

Die Urbane möchte dagegen die positiven Aspekte von HipHop in die Politik überführen und hat ambitionierte Ziele: „Wir möchten bei der Wahl am Sonntag 0,5 Prozent der Stimmen erreichen, um in die Parteienfinanzierung zu kommen, damit wir uns ganz auf Politik konzentrieren können und zur nächsten Legislaturperiode im Bundestag sitzen“, erklärt Zandile Ngono.

Die Aktivistinnen der Kleinpartei bewegen sich derweil weiter durch das Hamburger Schanzenviertel, vorbei an einem linken Buchladen, in dem Ngono und Asafu-Adjei viel Zeit verbringen. Die beiden treffen zufällig eine befreundete Aktivistin, die sich für Geflüchtete einsetzt. Der Smalltalk entwickelt sich bald zu einer Debatte darüber, was in der Geflüchtetenhilfe in der Hansestadt derzeit falsch läuft.

Öffentliche Debatten

Debatten öffentlich zu führen ist ein weiteres Ziel der Partei: „Wir wollen die Debatten aus den Hinterzimmern wieder auf die Straße holen“, zeigt sich Ngono entschlossen und spielt dabei das Lied „Nachbarschaft“ des Hamburger Rappers Disarstar auf ihrem Smartphone ab. Sein Song beschreibe für sie sehr akkurat, dass viele Pol­iti­ke­r:in­nen den Bezug zu ihrer Wählerschaft verloren haben.

In einer Zeile des Songs heißt es: „Und die Bonzenpolitik scheißt auf uns / Und Seehofer hab ich nie in mei’m Viertel gesehn“. Das klingt machtkritischer und passt besser zu einer Partei, die mithilfe von HipHop das System von unten umkrempeln möchte.

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4 Kommentare

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  • "Es geht der Partei in der Erinnerung an HipHop eher um die emanzipatorischen Urwerte des Genres und nicht um die kommerzialisierte Form der Musik heute"



    Aber auch in den Anfängen des Genres war das primäre Narrativ des Genres das von indviduellem Aufstieg der im Konkurrenzkampf auf der Straße und im Biz erkämpft werden musste. Ein Konzept also das auf kompletter Linie systemkonform ist und Emanzipation nur als individualistisches Projekt im Bestehen gegen Andere denkt, nicht aber als kollektives Handeln das nicht nur auf den eigenen Kontostand zielt, sondern auf eine Überwindung der Verhältnisse.

    • @Ingo Bernable:

      Na da mag aber jemand keinen Hip-Hop. Alle in einen Sack und fertig.

      • @Andreas J:

        Ich lasse mich gern widerlegen, sehe Gegenbeispiele aber, damals wie heute, allenfalls in der Nische.

        • @Ingo Bernable:

          Schauen sie mal auf England. Sehr engagierte Szene. Und vor dem blöden P Diddy wahren auch in den USA Gruppen wie Puplic Enemy oder Beastie Boys die was zu sagen hatten, am Start. Ich kenne auch Rap und Hip-Hop-Workshops in dem junge Leute lernen mit ihren Texten ihre Situation zu reflektieren. Empowerment! Von ihnen kommen nur Vorurteile.