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Zwangsräumung in Pandemiezeiten

In der Hochphase der Pandemie durfte MieterInnen, die mit der Miete in Verzug waren, nicht gekündigt werden. Bislang ist die Zahl der Zwangsräumungen laut den großen Wohnungsgesellschaften in Städten wie Hamburg und Bremen nicht gestiegen. Dennoch fordert die Wohnungslosenhilfe den vollständigen Erlass von Corona-Mietschulden

Schreckensbild jeder Mieterin und jeden Mieters: die Zwangsräumung – hier nun ausgerechnet in Bethlehem in den USA Foto: Erik S. Lesser/dpa

Von Joachim Göres

In Deutschland durfte zwischen April und Juni des vergangenen Jahres MieterInnen nicht gekündigt werden, die als Folge der Pandemie ihre Miete nicht vollständig zahlen konnten. Normalerweise reichen zwei Monate Zahlungsverzug für einen fristlosen Rauswurf. Durch diesen Beschluss des Bundestages sollte Menschen geholfen werden, die zum Beispiel wegen plötzlicher Kurzarbeit in finanzielle Not geraten waren.

In Hamburg hat nach Angaben des Senats die größte städtische Wohnungsgesellschaft Saga seit Beginn der Pandemie mit rund 3.200 von Corona betroffenen Mietparteien Ratenzahlungen vereinbart oder die Miete gestundet sowie für ­April bis Juni 2020 geplante Miet­erhöhungen verschoben, wodurch Mindereinnahmen von 270.000 Euro entstanden seien. Die Zahl der Zwangsräumungen in der Hansestadt ist von 1.239 im Jahr 2019 auf 977 im vergangenen Jahr gesunken.

Die Gewoba, mit mehr als 40.000 Wohnungen in Bremen und Bremerhaven der größte Vermieter im Bundesland Bremen, spricht von 1.400 Mietparteien, mit denen im vergangenen Jahr individuelle Absprachen getroffen wurden, wenn aus Pandemiegründen die Miete nicht pünktlich gezahlt werden konnte. Die Gewoba versichert, dass von den Corona-Auswirkungen betroffene MieterInnen weiterhin keine Kündigungen befürchten müssen.

Dass die Probleme nicht geringer werden, zeigt die Entwicklung beim größten deutschen Wohnungsunternehmen Vonovia. Dort haben sich in diesem Jahr bisher etwa 7.000 MieterInnen gemeldet und um Zahlungsaufschub gebeten – im Vorjahr waren es nur halb so viele.

Für Niedersachsen fehlen aktuelle landesweite Erhebungen. Fernab der Metropolen fallen die Zahlen deutlich geringer aus, wie das Beispiel Celle zeigt. „Wir hatten wegen der Pandemie acht Stundungsanfragen. Alle haben inzwischen die Restsummen bei uns bezahlt“, sagt Viktor Jäger, bei der Allerland Immobilien GmbH für die Vermietung zuständig. Monatlich verschickt die städtische Wohnungsgesellschaft, mit 2.000 Wohnungen der größte Vermieter in Celle, rund ein Dutzend Kündigungen, vor allem wegen nicht fristgerecht überwiesener Miete. „Meistens kommt es aber nicht zur Kündigung, weil das Geld doch noch gezahlt wird“, sagt Jäger. „Die Verzögerung hat oft damit zu tun, dass Empfänger von Transferleistungen Anträge nicht rechtzeitig stellen und die Ämter dann erst später zahlen.“ Jeweils ein halbes Dutzend Zwangsräumungen gab es bei Allerland-Immobilien 2019 und 2020, in diesem Jahr wurde bisher viermal die Wohnung durch einen Gerichtsvollzieher geräumt. „Dabei geht es meist um Fälle, in denen die Wohnung verwüstet wurde oder die Mieter zu laut waren“, sagt Jäger.

Ein etwas anderes Bild liefern die Zahlen des Amtsgerichts Celle, das für den Landkreis Celle zuständig ist. Dort wurden im vergangenen Jahr 95 Räumungsanträge eingereicht. 58 Zwangsräumungen wurden tatsächlich durchgeführt, davon 56 in Wohnungen. Ähnliche Zahlen erwartet Amtsgerichtsdirektor Dieter-Philipp Klaas auch für 2021. Zu 80 bis 90 Prozent sei der Grund nicht gezahlte Miete. „Der Hauptgrund für fristlose Kündigungen liegt im Zahlungsverhalten“, bestätigt Daniel Kirchhoff, Leiter der Kundenberatung bei der Celler Wohnungsgenossenschaft Südheide.

Bundesweit haben 2019 rund 50.000 Menschen nach einer Zwangsräumung ihre Wohnung verloren, so die wohnungspolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, Caren Lay. Nach Schätzungen dürfte diese Zahl im vergangenen Jahr etwas niedriger ausgefallen sein, aber immer noch bei rund 40.000 Zwangsräumungen liegen.

„Zwangsräumungen in die Wohnungslosigkeit darf es nicht geben, schon gar nicht in Zeiten der Pandemie“, fordert Sabine Bösing, stellvertretende Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Ihr zufolge war Berlin das einzige Bundesland, in dem zu Beginn der Pandemie die Zwangsräumungen bis Ende Juni 2020 ausgesetzt wurden. Bösing bereitet Sorgen, dass MieterInnen ihre Corona-Mietschulden laut Bundestagsbeschluss bis spätestens Ende Juni 2022 zurückzahlen müssen.

„Räumungen in die Wohnungslosigkeit darf es hicht geben“

Sabine Bösing, Bundesarbeitsmeinschaft Wohnungslosenhilfe

„Das könnte für viele die Kündigung des Mietverhältnisses bedeuten und damit zum Wohnungsverlust führen“, sagt sie und ergänzt: „Es wäre für Menschen in Not ein sehr wichtiges Zeichen gewesen, wenn ihnen diese Mietschulden mit Hilfe eines entsprechenden Fonds erlassen worden wären.“ Auch mehr als 150 Wissenschaftler hatten einen Erlass der Mietschulden, die auf die Corona­krise zurückgehen, sowie einen Verzicht auf Mieterhöhungen gefordert. Vermieter, die dadurch in finanzielle Schwierigkeiten geraten, sollten durch einen staatlichen Hilfsfonds unterstützt werden.

Bei der Wohnungsgenossenschaft Celler Bau- und Sparverein (CBS) ist man gegenüber einem Schuldenerlass skeptisch. „Unser Ziel ist nicht Gewinnmaximierung, sondern sozialverträgliche Mieten. Die gesetzlichen Anforderungen an uns nehmen zu, wir müssen in den Bestand investieren“, sagt CBS-Geschäftsführer Fritz Stünkel. „Deswegen ist es wichtig, dass die Miete in voller Höhe gezahlt wird.“ Bei der CBS gab es in den letzten Jahren weder Zwangsräumungen noch Mietausfälle wegen Corona.

Der Deutsche Mieterbund (DMB) spricht von einer deutlichen Verunsicherung seiner Mitglieder durch Corona, die 2020 zu einem Anstieg auf 138.000 Beratungen geführt habe. Dabei sei es neben Möglichkeiten zur Mietminderung auch um Fragen wie Sporttreiben in der Wohnung, Nutzung der Wohnung als Homeoffice sowie darum gegangen, ob man Handwerker angesichts hoher Inzidenzzahlen in die Wohnung lassen müsse. Laut DMB gibt es jedes Jahr über 200. 000 Mietrechtsprozesse in Deutschland – der Anteil, bei dem es um fristlose Kündigungen geht, ist mit je 5,7 Prozent in den vergangenen beiden Jahren stabil.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe verlangt dennoch Konsequenzen aus den Erfahrungen der Pandemie. „Der Kündigungsschutz muss verbessert werden“, sagt die stellvertretende Geschäftsführerin Sabine Bösing. Die Pandemie habe gezeigt, wie schnell es zu Mietrückständen kommen könne, da viele Haushalte mehr als 30 Prozent des Einkommens für Miete ausgeben müssten. „Wenn dann ein Einkommen plötzlich wegfällt, entsteht die Gefahr eines Wohnungsverlustes.“

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