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Forscherin über Digitalisierung„Ohne Breitband kein Co-Working“

Vor der Wahl versprechen die Parteien gerne irgendwas in Sachen Digitalisierung. Julia Hess kritisiert die Buzzwordisierung des Diskurses.

Breitbandausbau in Wadersloh, Nordrhein-Westfalen Foto: Achim Duwentäster/imago
Interview von Svenja Bergt

taz: Frau Hess, Sie haben die Wahlprogramme der im Bundestag vertretenen Parteien analysiert und sagen: Deutschland fehle das Fundament für eine erfolgreiche Digitalisierung. Was ist denn das Fundament?

Julia Hess: Das sind zwei Dinge, die die Grundlage für die gesamte weitere Digitalisierung bilden: Breitbandausbau und digitale Verwaltung.

Warum gerade die?

Weil sie die Voraussetzung sind für digitale Teilhabe. Sie betreffen jede und jeden von uns und das haben wir gerade in der Pandemie wieder gesehen: Der Personalausweis läuft ab, aber das Bürgeramt vergibt keine Termine. Dabei wäre es längst möglich, das Ganze auch ohne Termin vor Ort möglich zu machen – wenn das Fundament stimmt.

Warum tut sich da so wenig?

Es mangelt jedenfalls nicht an der Erkenntnis. Das Bewusstsein, dass sich hier nicht nur ein bisschen, sondern ganz viel tun muss, geht aus den Wahlprogrammen klar hervor.

Das Problem scheint eher beim nächsten Schritt zu liegen, der Frage: Wie kommen wir dahin? Denn damit ein Personalausweis online beantragt werden kann, um mal bei dem Beispiel zu bleiben, reicht es ja nicht, ein bisschen Software zu kaufen. Da müssen langjährige Abläufe und Strukturen in den Verwaltungen verändert werden, Mitarbeitende geschult, Schnittstellen eingerichtet und die Anbindung für die Bür­ge­r:in­nen geschaffen werden.

Dann geht es um Fragen von Datenschutz und IT-Sicherheit, und diese ganzen kleinteiligen Lösungsansätze lesen sich natürlich nicht so schick in einem Wahlprogramm, sind aber dringend notwendig. Aber immerhin ist im Vergleich zur letzten Bundestagswahl ein deutliches Umdenken zu sehen.

Inwiefern?

Nahezu alle Parteien geben dem Thema digitale Verwaltung viel Raum, das war 2017 noch nicht so. Und es sind zumindest vereinzelt auch konkrete Maßnahmen drin. Das ist sonst bei Digitalthemen sehr selten.

Wie prominent kommen die Themen digitale Verwaltung und Breitbandausbau bei den einzelnen Parteien vor?

Sowohl CDU/CSU als auch die Grünen behandeln das Thema im Vergleich zur vergangenen Wahl deutlich prominenter. Open-Source-Software in der Verwaltung oder Open Data, das sind alles Themen, die waren 2017 bei CDU und CSU nicht so drin. Bei den Grünen finde ich spannend, dass sie den Staat als lernende Organisation begreifen wollen und digitale Infrastruktur im Zusammenhang mit Teilhabe und Gleichberechtigung verstehen.

Bei SPD und FDP fällt auf, dass sie nicht mit vielen neuen Vorschlägen kommen, bei beiden ist das Thema etwas weniger prominent. Die Linke konzentriert sich sehr stark auf den Breitbandausbau und ist auch die einzige Partei, die konkrete Ziele dazu formuliert, wie viel in Zukunft investiert werden soll. Und die wenigen Äußerungen der AfD haben mit Blick auf die beiden Themen zu wenig Substanz.

Armin Laschet sagte kürzlich, Digitalisierung sei „das Erste und das Wichtigste, was man machen muss“. Deckt sich diese Aussage mit dem, was im Programm steht?

Das gesamte Digitalisierungsthema ist im Wahlprogramm schon mit sehr vielen Buzzwords versehen. Da geht es dann um neue Technologien und Klimawandel, um New Work, also eine Neuorganisation der Arbeit, um Künstliche Intelligenz oder um Smart Cities und Smart Country.

Gibt es diese Buzzwordisierung nur bei der CDU?

Wir finden die auch bei anderen Parteien, wenn auch nicht überall im gleichen Maße. Aber daraus entstehen zwei Probleme. Erstens: Die Programme werden sich in dem Bereich immer ähnlicher. Für Wäh­le­r:in­nen werden sie damit schlechter zu unterscheiden, auch weil sie gar nicht erkennen können: Warum ist dieser Partei denn das Thema wichtig? Und mit welcher Wahrscheinlichkeit wird es umgesetzt?

Das zweite Problem: Niemand hat etwas von KI oder mehr Co-Working-Spaces auf dem Land, wenn es da keine vernünftige Breitbandinfrastruktur gibt. Deshalb ist die so wichtig als Fundament.

Wie framen denn die Parteien das Thema Digitalisierung?

Das wird schon sehr stark als Chance geframt, und zwar parteiübergreifend. Die Parteien betonen die Potenziale. Teilweise kann man auch Rückkopplungen an die Pandemie erkennen, zum Beispiel beim Thema Bildung und Digitalisierung. Aber damit stellen sie nur die eine Seite der Medaille dar.

Die zweite ist: Die Politik handelt in Sachen Digitalisierung immer noch sehr reaktiv. Das ist beispielsweise bei der Regulierung von Künstlicher Intelligenz erkennbar, die nicht so richtig vorankommt. Und damit fehlt der Weg, diese Technologie in Bahnen zu lenken und daraus eine Chance zu machen.

Im Interview: Julia Hess

ist 27 Jahre alt und organisiert das Projekt „Technologie und Geopolitik“ bei der Stiftung neue Verantwortung.

Die FDP möchte unter anderem Virtual Reality in Behörden einsetzen. Abgesehen von der Umsetzbarkeit – macht so eine Forderung Sinn?

Das ist auch eines dieser Buzzwords. Es ist der fünfte Schritt, bevor auch nur der erste ansatzweise abgeschlossen ist. Solange es nicht mal möglich ist, einen hoch standardisierten Prozess wie die Beantragung von Kindergeld online hinzukriegen, brauchen wir über Virtual Reality nicht zu sprechen.

Der Fokus sollte mehr auf konkreten Maßnahmen liegen und weniger auf großen Visionen. Zum Beispiel sprechen die Parteien in ihren Programmen viel von der Gigabit-Gesellschaft. Dabei gibt es noch nicht einmal einen Regulierungsrahmen, der dafür sorgt, dass alle wirklich einen schnellen Internetzugang haben. Und dass dieser Zugang diskriminierungsfrei ist, Stichwort Netzneutralität.

Das heißt, dass die Netzprovider alle Inhalte, die sie transportieren, gleich behandeln müssen und nicht einige bevorzugen und andere benachteiligen.

Genau. Das war 2017 noch ein großes Thema in den Programmen, weil damals alle darüber sprachen. Heute ist es nicht mehr als ein Bekenntnis am Rande. Es gibt noch sehr viele ungeklärte Fragen mit Blick auf Breitbandinfrastruktur. Auch klare Zielvorgaben dazu, bis wann ein Internetzugang wie schnell sein soll, fehlen.

Brauchen wir ein extra Ministerium für Digitales, wie es Union und FDP fordern?

Momentan sieht man, dass es ein Problem ist, wenn die Zuständigkeiten für Digitalthemen so diffus verstreut sind. Das muss aber nicht heißen, dass es unbedingt ein eigenes Ministerium dafür braucht. Das Wichtigste ist, die alten Strukturen aufzubrechen und die Verantwortlichkeiten neu zu verteilen. Damit wirklich klar ist, dass all diese Themen auch angegangen werden.

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