Tagebuch des taz-Wahlcamps: Dieser Kampf ist Bullshit
Die Jungen erzählen von ihrem Leid, die Älteren sehen nur eine weitere Gruppe Aufgebrachter. Warum werden ihre Forderungen nicht ernst genommen?
Das Wahltagebuch beleuchtet die Bundestagswahl aus Sicht des Wahl-Camps der taz Panter-Stiftung.
„Eure Perspektive ist mir kaum wichtiger als das Hühnerauge an meinem linken Fuß, mit dem ich seit langem zum Arzt gehen müsste, es geht aber auch so“, müssten Politiker:innen jungen Menschen auf ihre Forderungen antworten. Das wäre wenigstens ehrlich. So sind sie aber nicht, denn viel einfacher ist es ja zu Schwadronieren.
Da läuft zum Beispiel im Fernsehen eine Sendung mit NamenFür&Wider – Die ZDF-Wahlduelle, besser gesagt im Internet, der Heimat der Jugend. Das Für, ein Schülersprecher aus Erlangen, beschwert sich über die Milliardenhilfen für Lufthansa und Co. im Vergleich zu den Hilfen für seine Generation. „Das zeigt doch, wie sie ihre Politik einordnen“, sagt der Schüler.
Das Wider, ein Unionspolitiker aus Thüringen, antwortet: „Das ist gut, dass du dich engagierst, aber das stimmt doch so nicht“, als wäre er gerade von seiner fürsorglichen Mutter dabei erwischt worden, den vierten Cheeseburger nacheinander zu essen. Nur, dass es eben nicht die Mutter, sondern ein Schüler ist, der den Ertappten so ertappt fühlen lässt.
Mitleid reicht nicht aus
Denn das überzeugendere Argumente hat der Schülersprecher spätestens seit dem 28. März dieses Jahres auf seiner Seite. Da hatte die Bertelsmann Stiftung eine Studie über junge Menschen und ihre Probleme während der Coronapandemie veröffentlicht. Dass sich etwa zwei Drittel der Jungen von der Politik nicht richtig vertreten fühlten, wurde hier und da zitiert und manchmal sogar von den Halbwüchsigen selbst gesagt.
Seit dem Frühjahr haben sie von kalten Klassenzimmern, langsamen oder keinem Internet und Depressionen erzählt. Davon, dass sie damit nicht allein sind. Und sie haben gesagt, dass sie wissen, dass es anderen auch oder noch schlechter geht. Aber für ihre Sorgen Aufmerksamkeit und Unterstützung wollen. Zuletzt so geschehen eben im grau-orangenen ZDF. Auf das „die Jugend wurde vernachlässigt“ folgte, naja, wenig. Von Aufmerksamkeit wird man eben nicht satt.
Dabei hat der mittelalte Unionspolitiker doch immer so mitleidig geguckt. „Super, dass du dich engagierst.“ Aber hat er den Schülersprecher je ernst genommen? Wenigstens als den vermutlich größten „Experten für sein eigenes Leiden“, so nennt es eine Bertelsmann-Expertin?
„Aber ich kenne viele Einzelhändler!“, whataboutismt der Politiker, „Ohne Kurzarbeit hätten die…“, ja die hätten einem jungen Mann vermutlich auch nicht gesagt, dass er sich mit seinem kaputten Bein mal nicht so anstellen soll, weil eine Tante aus dem Westerwald krank ist, die er nie kennengelernt hat. Und hätten ihn ins Krankenhaus gebracht.
Die Diskussion wurde ineffektiv geführt
Man kann die Widers ja verstehen, wenn sie von der Generation Z sprechen, die im größten Wohlstand aller Zeiten aufwächst. Wenn sie das eine Jahr, das durch Corona verloren ging, mit den sieben oder acht in Kriegsgefangenschaft vergleichen. Das „Opa erzählt vom Krieg“ gibt es wirklich.
Jedenfalls: Wo Für und Wider Argumente und noch mehr Emotionen austauschen, kommt es im Gespräch nicht weiter. Weil es keine gemeinsame Ebene des Respekts gibt. Diese über Monate ineffektive Diskussion ist ein Armutszeugnis.
schreibt im Wahlcamp über die Bundestagswahl. Studiert sonst in Köln VWL und an der Kölner Journalistenschule.
Es sollte nicht so sein, dass sich Junge anpassen müssen. Es steht ihnen zu, dass man ihnen zuhört, einfach so. Aber wer weiterkommen will, muss nach Lösungen suchen. Solange das Lüftungsgerät nicht im Klassenraum steht, der Laptop für den Online-Unterricht der Familie nicht gestellt wurde, muss man sich fragen: Warum genau nehmt ihr die Jungen vor euch nie ganz für Voll?
Leerer Blick, leichtes Schütteln des Körperteils, in dem sich die nächste Luschen-Antwort zusammenbraut. Das Wider hat gar keinen Bock auf die vielen Elends-Geschichten der Jungen. Folgerichtig Nicht-Antworten wie „aber früher“ oder „sehen Sie, es gibt auch…“.
Respekt vor Erfahrung in alle Richtungen
Das Problem ist grundsätzlich: Das Wider traut dem Für, also den Jungen, die Vorstellungskraft und Reflexion nicht zu, dass es andere wichtige Themen als sie selbst gibt. Für Nachfragen scheint keine Zeit zu sein. Der Respekt vor Erfahrung und Wissen ist ja wichtig, das gilt aber in alle Richtungen.
Dieser Kampf zwischen Für und Wider ist ohnehin bullshit. Es gibt nicht die Alten und die Jungen. Es gibt Menschen, die alle aus ihrer Lebensrealität heraus berechtigte Ansprüche haben. Das eint sie in der ZDF-Runde. Der mittelalte Mann wird irgendwann von den Steuern der jungen Frau abhängig sein, jetzt ist die Schülerin es von den Entscheidungen der Politik. Dass es möglich ist, dieses „wir sitzen alle in einem Boot“-Gefühl zu erreichen, zeigt Fridays for Future.
Wer gerade 17 ist, wird erst mit 21 zur Erstwähler:in auf Bundesebene. Wenn die Amis erst in diesem Alter saufen dürfen, dann lachen Deutsche gerne. Einen Anspruch auf einen respektvollen Umgang mit den eigenen Forderungen aber kann man sich scheinbar nur durch Altwerden verdienen. Die 17-jährigen müssen sich also gedulden. An die bereits Alten: Falls ihr mal zum Arzt müsst, dann fragt, wie man mit dem Hühnerauge umgehen kann. Die Jungen würden sich freuen.
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