piwik no script img

Tragische Szenen am Flughafen KabulChaos auf dem Rollfeld

Verzweifelte Af­gha­n*in­nen haben am Flughafen von Kabul versucht, das Land in letzter Minute zu verlassen. Internationale Rettungsaktionen stocken.

Die Menschen sind am Montag so verzweifelt, dass sie in Kabul in ein parkendes Flugzeug steigen Foto: Wakil Kohsar/afp

Es sind Fotos und Videos, die in Afghanistans tragische jüngere Geschichte eingehen werden: Am Tag nach der erneuten Machtübernahme der Taliban in Kabul haben sich am internationalen Flughafen der Hauptstadt chaotische Szenen abgespielt. Videos zeigen, dass Hunderte Menschen auf das Rollfeld gestürmt waren. Menschenmassen versuchten, über eine Fluggastbrücke und eine Drehleiter noch einen der letzten Plätze in einer Passagiermaschine zu ergattern.

In einer anderen Szene rennen Dutzende Menschen einem Frachtflugzeug der US-Luftwaffe hinterher, während dieses bereits zum Start beschleunigt. In Verzweiflung klammern sich einige im Bereich der Flugzeugräder an die Maschine. Für Entsetzen sorgte ein Video, auf dem zu sehen sein soll, wie Menschen aus einem fliegenden Militärflugzeug fallen. Ob es sich dabei tatsächlich um Menschen handelte und ob es dieselbe Maschine war, an die sich die Menschen auf dem Rollfeld geklammert hatten, war zunächst unklar.

Der Kabuler Flughafen, benannt nach dem ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai (reg. 2001–2014), ist für viele Af­gha­ni*­in­nen offenbar die letzte Hoffnung, das Land noch verlassen zu können, ohne der Willkür der Taliban ausgeliefert zu sein. Das Flughafengelände wurde am Montagmorgen von rund 3.000 US-Soldat*innen gesichert, die verhindern sollten, dass die Taliban die Kontrolle über den Flugverkehr übernehmen und somit eine Evakuierung von Botschafts- und Militärpersonal sowie von afghanischen Ortskräften verhindern.

Weitere 3.000 Sol­da­t*in­nen sollten nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums noch herangezogen werden. Der kommerzielle Flugverkehr war am Montag eingestellt; der Flughafen diente nur noch der Evakuierung.

Wir haben erreicht, was wir angestrebt haben: Freiheit unseres Landes

Mohammad Naeem, Talibansprecher

Doch auch die internationalen Evakuierungsaktionen mussten aufgrund des Chaos am Montag ausgesetzt werden. Erst am Dienstag sollte es weitergehen, sagte der Vize-Sicherheitsberater des US-Präsidenten, Jon Finer, dem TV-Sender MSNBC. Die Sol­da­t*in­nen würden Zeit brauchen, um die Lage am Flughafen unter Kontrolle zu bringen. Die Taliban machten derweil nur begrenzt Anstalten, die Kontrolle über den Hamid-Karzai-Airport zum jetzigen Zeitpunkt zu übernehmen.

Den Sieg und die Vertreibung ausländischer Truppen kann die Miliz auch ohne ein letztes, möglicherweise verlustreiches Gefecht für sich verbuchen: „Wir haben erreicht, was wir angestrebt haben: Freiheit unseres Landes und die Unabhängigkeit unseres Volkes“, zitierte Al-Dschasira den Talibansprecher Mohammad Naeem am Montag. Berichte über einen großangelegten Angriff auf die US-Truppen am Flughafen blieben aus.

Die Nachrichtenwebsite Business Insider berichtete allerdings unter Berufung auf ein internes Protokoll des Kanzleramts in Berlin von einem Angriff auf den militärischen Teil des Flughafens am Sonntag. Während des Angriffs befanden sich demnach auch etwa 70 Deutsche im Flughafengebäude. Abgewehrt worden sein soll der Vorstoß von US-amerikanischen sowie türkischen Soldaten. Auch die New York Times berichtete unter Berufung auf eine Militärquelle, US-Soldat*innen hätten mindestens zwei bewaffnete Angreifer erschossen. Ob es sich um denselben Vorfall handelte, war unklar.

Die Bundesregierung schloss sich einem Appell von über 60 Staaten an, in dem die Taliban aufgefordert werden, alle jene gewähren zu lassen, die das Land verlassen wollen. „Angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage unterstützen wir die sichere und geordnete Ausreise von Aus­län­de­r*in­nen und Afghan*innen, die das Land verlassen wollen“, heißt es in dem Statement. „Afghan*innen und internationale Bürger*innen, die ausreisen wollen, müssen dies tun können; Straßen, Flughäfen und Grenzübergänge müssen offen bleiben.“

Einige Botschaftsangehörige haben es geschafft

Die Bundeswehr schickte am Montag zwei Militärtransporter vom Typ A400M auf den Weg nach Kabul. Am Nachmittag waren diese jedoch noch nicht gelandet, wie die Nachrichtenagentur dpa meldete. Darüber hinaus startete ein dritter deutscher A400M, der für medizinische Transporte ausgerüstet ist, sowie ein Transportflugzeug vom Typ Airbus-A310 in Richtung der usbekischen Hauptstadt Taschkent, die nur rund 500 Kilometer Luftlinie nördlich von Kabul liegt.

Während die verzweifelten Menschen auf dem Rollfeld wenig Chancen haben dürften, Afghanistan in Bälde zu verlassen, meldeten mehrere Regierungen am Montag erfolgreiche Evakuierungsaktionen. 70 Angehörige der italienischen Botschaft landeten am Montag in Italien. Saudi-Arabiens Außenministerium meldete, dass alle Botschaftsangehörigen wohlauf im Königreich gelandet seien. In der Nacht auf Montag konnten auch bereits rund 40 Mitarbeiter der deutschen Botschaft in einem US-Flugzeug nach Katar ausgeflogen werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!