Nachruf auf Mikis Theodorakis: Genauigkeit gegen Gespenster
Hierzulande war Mikis Theodorakis für den Sirtaki-Song im Filmklassiker „Alexis Sorbas“ bekannt, nicht für seine Politik. Nun ist er 96-jährig gestorben.
Man hat Mikis Theodorakis in seinem Leben für vieles vereinnahmt. Als Nationalikone, Politiker und anständigen Linken, als Freiheitskämpfer, Antifaschisten und problematischen Ideologen. Er hat sich dafür zwar vereinnahmen lassen, blieb aber trotzdem bewundernswert stur ein Volksmusiker, der einen selbstständigen Weg gegangen ist. Bis zum Schluss beschäftigte er sich in seiner Athener Wohnung mit neuen Kompositionen und der Frage, was Kunst leistet in politisch instabilen Zeiten.
Sein Tod erinnert daran, dass der Schmerz politischer Erfahrungen, eine seiner Lieblingsformulierungen, nicht allein rational aufgelöst werden darf. Seine zutiefst poetische Antwort auf den Ungeist jedweder Diktaturen wird sicher eines der bleibenden Vermächtnisse dieses Jahrhundertlebens sein.
Es gibt eine Fotografie von Mikis Theodorakis, die ihn während der Probe vor einem Konzert 1972 im Amphitheater von Caesarea in Israel zeigt. In Griechenland regierte damals eine faschistische Junta, die ihn gefoltert und mit Auftrittsverbot belegt hatte. Theodorakis, auf internationalen Druck ins französische Exil entlassen, hält auf dem Foto die Arme ausgebreitet, hoch konzentriert, die Augen fast geschlossen. Es ging ihm als Künstler immer um sorgfältige Arbeit.
Vertrieben und gefoltert von der Junta
Während der Junta-Zeit 1967–74 gab er als Exilierter mehr als 500 Konzerte im Ausland. Meist umjubelt und gefeiert, wurde er zum Gesicht des Widerstands, nicht nur gegen die Obristen in Athen, sondern auch gegen wachsende totalitäre Tendenzen auf der Welt. Künstlerisch machte er dabei keine Kompromisse. Er wollte dem Ungeist so etwas wie Genauigkeit und Poesie entgegensetzen. Dafür wurde er bewundert und von denen, die mit ihm zusammengearbeitet haben, geliebt.
Werke wie der „Mauthausen-Zyklus“, benannt nach einem KZ in Österreich, der „Canto General“ nach Gedichten von Pablo Neruda oder sein Liederzyklus „Sonne und Zeit“ werden bis heute aufgeführt, weil sie Antworten auf aktuelle Fragen geben. Zum Beispiel, wie man eine Widerstandshaltung populär macht, ohne populistisch zu sein. „Wir haben mittags Durst / Aber das Wasser ist ohne Geschmack“, wie es in einem seiner Lieder heißt.
Widerstand gegen die Nazis
1925 auf der Insel Chios geboren, begann sich Mikis Theodorakis früh für Musik zu interessieren. Während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg schloss er sich dem Widerstand an und lernte die Theorien des Marxismus kennen, ohne einem Nachplappern von Axiomen zu verfallen. Anders als viele „engagierte Linke“ seiner Generation hatte er keine Berührungsängste mit Volkskultur. Er studierte die Geschichte der Rembetiko-Lieder, von Musik der Flüchtlinge der kleinasiatischen Katastrophe in Smyrna, aber auch der byzantinischen Musik.
Zugleich interessierte sich Theodorakis für zeitgenössische Lyrik, etwa für das Werk des Literaturnobelpreisträgers Odysseas Elytis. Als er in den frühen 1950er Jahren nach Paris ging, gehörte er zu den Studenten des Komponisten Olivier Messiaen. Er komponierte zunächst im Stil der Zeit, spürte bald, dass dies eine „Musik nur für die Auserwählten“ sei, wie er notierte. Nach der Premiere seines Antigone-Ballets 1959 im Londoner Convent Garden Theater, getanzt von Rudolf Nurejew und Margot Fonteyn, erinnerte er einen folgenreichen Ekel: „Ich … sah das Publikum applaudieren und begriff, dass mich mit diesen Menschen nichts verband. Also packte ich meine Siebensachen … und ging zurück nach Griechenland.“
Zurück in Athen, begann er seinen Stil radikal zu ändern. Fortan setzte er Instrumente wie die Bouzouki ein. Die Resonanz war überwältigend. Bis heute kann man bei Konzerten seiner Musik in Griechenland erleben, dass auch junge Menschen die komplexen Texte seiner Vertonungen anspruchsvoller Lyrik mitsingen. Etwa der sehr vielschichtige Text von Odysseas Elytis in dem Oratorium „Axion Esti“ (Gepriesen sei).
Bekannt wurde er im Westen vor allem durch seine Lieder. Dabei wurde er zuweilen als „Liedermacher“ eingeordnet, was vollkommen an seinen Intentionen vorbeiging. Er selbst sah sich als Schöpfer des „Neuen Griechischen Liedes“. Ein Versuch, die Musik anschlussfähig zu machen an die mitteleuropäischen Kunstlieder, wie sie im 19. Jahrhundert geschaffen wurden. Dass sie in Griechenland im Radio gespielt und auf den Straßen aufgeführt wurden, machte sie der westlichen Rezeption verdächtig. Es gab aber auch Stimmen wie die des Journalisten Ron Hall, der das spannende Wechselspiel zwischen Pop und Anspruch verstand.
Jenseits von billigem Pathos
Etwas, was sich Bertolt Brecht zeitlebens gewünscht hatte, nämlich, dass sein Werk vom „Volk“ aufgenommen werde, jenseits von billigem Pathos, erfüllte sich in seinem Schaffen. Dass er dabei auch ein Popkünstler war, ist bislang kaum reflektiert. Der seriöse deutsche Orchesterbetrieb tut sich schwer mit Mikis Theodorakis, weil seine Werke zum Teil in haarsträubenden Fassungen von Schlagersängerinnen wie Milva und Vicky Leandros zum Besten gegeben wurden. Theodorakis hatte kein Problem damit. Er glaubte an die Vielschichtigkeit des Wirkens von Kunst.
Nach Ende der Militär-Junta gab er ein legendäres Konzert im Oktober 1974 im Athener Karaiskakis-Stadion. „Dieser Augenblick war für mich der absolute Höhepunkt meines Lebens. Das Publikum war in einer Verfassung, wie ich es nie wieder erlebte: erfüllt von Freude, Glück, Stärke.“ Das Hochgefühl, mit den Mitteln der Musik die Gespenster des Faschismus zu vertreiben, ist etwas, das heute fast wehmütig stimmt, da es kaum mehr denkbar scheint. Dass Mikis Theodorakis in seinem politischen Engagement auch naiv und fahrlässig handelte, ist ein irritierendes Feld seiner Biografie.
Seine antisemitischen Ausfälle während eines TV-Interviews 2011, seine Parteinahmen im Streit um die „richtige“ Benennung Mazedoniens haben viele Fans ungläubig verfolgt. Liest man seine Texte zum Thema, sieht man eine differenziertere Haltung. Besonders in Israel war man in Anbetracht seiner antifaschistischen Lieder enttäuscht von den antisemitischen Äußerungen. Als er sich kurz darauf entschuldigte und von einem „Fehler“ sprach, zeigte er seine Fähigkeit, Positionen zu revidieren. Das Gesamtwerk von Theodorakis ist in keinster Weise antisemitisch konnotiert.
Im Rollstuhl zur Demo
Theodorakis scheute sich nie, Stellung zu beziehen. Etwa, als er während der Wirtschaftskrise in Griechenland 2012 im Rollstuhl sitzend an Demonstrationen gegen die Troika teilnahm und dabei durch Tränengas schwer verletzt wurde. Er blieb ein Linker im Sinne eines widersprüchlichen Skeptikers. Seine politischen Stellungnahmen sind ohne die Bezüge zu seinem Werk nicht zu verstehen.
Wie viele seiner Kritiker:innen im Westen hatten ein tieferes Verständnis der spezifisch griechischen Prägungen und Traumatisierungen, die seinem Werk zugrunde liegen? Bezüge, die eben nicht so einfach einzuordnen sind, indem man halbgare Übersetzungen liest, wie sie leider in CD-Booklets von Theodorakis’ Werken in Deutschland zuhauf zu finden sind.
Empfohlener externer Inhalt
Vor 1989 waren in der DDR Theodorakis’ Auftritte Signale aus einer fernen, südlichen Welt, die in Ostdeutschland unerreichbar schien. In der Bundesrepublik wurden seine Konzerte wiederum als eine sinnlichere Form linken Widerstands gefeiert, freilich mit jener sublimen Ignoranz einer tatsächlichen künstlerischen Auseinandersetzung, da die meisten im Bouzouki-Takt verzückten Zuhörer:innen nicht den Hauch einer Ahnung der komplexen Anspielungen seiner griechischen Originaltexte hatten.
So ist auch einer seiner größten Erfolge im Westen vor diesem Hintergrund zu sehen. Die von ihm komponierte Filmmusik zu der von Michael Cacoyannis 1964 gedrehten Romanverfilmung „Alexis Sorbas“ mit Anthony Quinn in der Hauptrolle. Der weltberühmte „Sirtaki“-Tanz ist eine Illusion des Films und existiert in Griechenland nicht. Die Musik gehört sicherlich zu den schwächeren Werken von Theodorakis, simpel und auf die Erfordernisse einer Szene komponiert. Rückblickend urteilte Theodorakis darüber: „Viele Menschen glauben doch tatsächlich, ich hätte nur ‚Taram-taram-taram‘ geschrieben. Das ist lächerlich.“
Seine Symphonien und Opern, die Rückkehr zur sinfonischen Musik im Alter, sind in der westlichen Rezeption nie auf breites Interesse gestoßen. Er blieb immer der Folklore-Grieche trotz vieler Versuche, wie der großartigen Bildbiografie von Asteris Kutulas im Schott-Velag, die europäischen Dimensionen seines Werkes aufzuzeigen. In einem seiner berühmtesten Lieder, „Alte Straßen“ (Δρόμοι παλιοί), beschreibt er einen Menschen, der in seine Stadt zurückkehrt und nichts mehr wiedererkennt.
Noch kurz vor dem Beginn der Coronapandemie hatte es Maria Farantouri, eine seiner großen griechischen Interpretinnen, in Berlin bei einem Konzert gesungen, gestört von Zwischenrufen krawallsüchtiger Störer. Da wurde die besungene Fremde ebenso greifbar wie die Kraft von Mikis Theodorakis’ Musik. Sie wird wiederentdeckt werden, vielleicht gerade jetzt.
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