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Konferenz der Ge­sund­heits­mi­nis­te­r:in­nenImpfangebot ab 12 Jahren

Die Bundesländer beschließen Impfungen für Menschen ab 12. Auch Auffrischungen für Risikogruppen soll es ab September geben.

In anderen europäischen Staaten schon Realität: Impfung einer 13-Jährigen in Estland Foto: Paul Mee/ap

Alle Bundesländer wollen Kindern und Jugendlichen zwischen 12 bis 17 Jahren eine Covid-19-Schutzimpfung auch in Impfzentren oder mit anderen niedrigschwelligen Angeboten anbieten. Wie die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) am Montag Abend mitteilte, sei dabei eine entsprechende ärztliche Aufklärung erforderlich sowie eine gegebenenfalls notwendige Zustimmung der Sorgeberechtigten. Die Entscheidung fiel im Einvernehmen mit dem Bundesgesundheitsminister. Die GMK machte zugleich den Weg frei für Auffrischungsimpfungen ab September.

Die Runde hatte bereits am 6. Mai beschlossen, allen Kindern und Jugendlichen bis Ende August 2021 ein entsprechendes Impfangebot machen zu wollen. Dieses Impfangebot sei von Sorgeberechtigten, Kindern und Jugendlichen gut angenommen worden, hieß es. Mit Stand vom 1. August seien bundesweit bereits 20,5 Prozent der 12- bis 17-Jährigen geimpft worden. 9,9 Prozent dieser Altersgruppe seien bereits voll geimpft.

„Für die Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Universitäten und Berufsschulen machen die Länder strukturierte, niedrigschwellige Angebote oder solche in Kooperation mit den Impfzentren“, hieß es weiter. Dies könne zu einem sichereren Start in den Lehr- und Lernbetrieb nach den Sommerferien beitragen. „Die Angebote sind so auszugestalten, dass die Freiwilligkeit der Annahme dieses Impfangebotes nicht in Frage gestellt wird.“

Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA hatte im Mai den Covid-19-Impfstoff von Biontech/Pfizer für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren zugelassen, vor wenigen Tagen folgte auch die Freigabe für Moderna. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt allerdings eine Corona-Schutzimpfung bisher nur Kindern und Jugendlichen mit bestimmten Vorerkrankungen wie Diabetes oder Adipositas, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben. Nach ärztlicher Beratung ist eine Impfung in individueller Entscheidung von Eltern und Kindern aber möglich. Laut Bundesgesundheitsministerium wurden bis zum Wochenende rund 900.000 Kinder zwischen 12 und 17 geimpft.

Deutsche Po­li­tiker:in­nen halten jedoch die vorsichtige Empfehlung der Stiko nicht mehr für gerechtfertigt. Sie argumentieren, dass es inzwischen genug Belege dafür gebe, dass die Impfungen für Jugendliche unbedenklich sind. So sprach sich etwa der baden-württembergische Gesundheitsminister Manne Lucha von den Grünen dafür aus. Auch die sachsen-anhaltische Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) sagte, eine entsprechende Nachfrage sei gegeben.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sieht die Stiko in einer Außenseiterposition

Der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, der bayerische Ressortchef Klaus Holetschek (CSU), sah in der Beschlussvorlage auch gar keinen Widerspruch zu der Position der Stiko. Diese habe die Möglichkeit eröffnet, mit ärztlicher Aufklärung und nach individueller Risikoabschätzung die Impfungen vorzunehmen. „Nichts anderes machen wir“, sagte Holetschek.

Die Politik nutze den Spielraum aus, den die Stiko eröffnet habe. Niemandem solle die Impfung aufgezwungen werden, es sei lediglich ein Angebot, betonte der CSU-Politiker. Wer verunsichert sei, solle sich mit einem Arzt beraten. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), unterstützte ebenfalls die Beschlussvorlage. In der Hauptstadt sei zu sehen, dass die 15- bis 25-Jährigen eine doppelt bis vierfach so hohe Inzidenz aufwiesen wie andere Bevölkerungsgruppen. Darauf zu reagieren und ein Angebot zu machen, das keine Pflicht sei, halte er für „sehr sachgerecht“.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sah die Stiko am Montag in einer „Außenseiterposition“. Wesentliche Studien hätten ergeben, dass eine Durchseuchung mit der Deltavariante viel gefährlicher sei als die Impfung von Kindern, sagte der Bundestagsabgeordnete am Montag im Deutschlandfunk. Zugleich verteidigte er die Stiko im Grundsatz.

Sie habe in der Vergangenheit „ganz hervorragende Arbeit geleistet“ und ihr müsse von der Politik Freiraum gelassen werden. Es sei aber richtig, dass die Politik jetzt Fakten schaffe. Möglicherweise habe sich die Impfkommission in der Frage der Corona-Impfungen für Kinder „ein bisschen zu früh festgelegt und verrannt“.

Stiko-Vorsitzender Thomas Mertens hält die Debatte jedoch für eine „Stellvertreterdebatte“. „Das eigentliche Problem ist doch, dass wir den Impfstoff haben, aber nicht genügend Leute, die sich impfen lassen wollen“, sagte er gegenüber der taz.

Die mathematischen Modelle zeigten aber genau, dass die Impfung der Kinder für den Verlauf der Pandemie nur eine geringe Rolle spiele. Stattdessen sei es wichtig, die 18- bis 59-Jährigen durchzuimpfen, die man momentan nicht erreiche. „Dann würde nämlich die vierte Welle wirklich flach verlaufen und das würde allen nutzen, auch den Kindern“, so Mertens.

Mertens kritisiert die Politik

Darüber hinaus würden bisher nicht genügend Daten vorliegen, um eine abschließende Einschätzung zu geben. So beschäftige sich die Stiko aktuell mit der Studienlage zur Herzmuskelentzündung als Nebenwirkung der Impfung. „Da gibt es zwar inzwischen gute Daten zum Risiko – das liegt bei den 12- bis 17-jährigen Geimpften bei rund 1:18.000.“ Wie es Betroffenen aber nach zwei Monaten gehe, ließe sich noch nicht sagen.

Mertens kritisierte ebenfalls, dass sich die Politik in die Beurteilungen der Stiko zu den Kinderimpfungen einmischt. „Wir arbeiten jede Woche die aktuelle Lage zu den Kinderimpfungen auf. Das bedeutet ganztägige Arbeit für viele Menschen. Machen wir uns nichts vor: Das können einzelne Politiker gar nicht überblicken. Auch nicht Herr Lauterbach.“ In einigen Tagen oder Wochen gebe es jedoch eine aktualisierte Empfehlung der Stiko zu Kinderimpfungen, kündigte Mertens an. Zu einem Ergebnis wollte er noch nichts sagen. (mit epd)

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14 Kommentare

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  • Die Politik verabschiedet sich jetzt offen von Wissenschaft und Medizin. An die Stelle unabhängiger Expertengremien wie der Stiko tritt nun mehr und mehr eine Art Staatsmedizin nach politischer Interessenlage. Keine gute Entwicklung, sondern riskant und verantwortungslos. Man sollte über die Impfung von Kindern, für die dieser Virus nahezu ungefährlich ist, überhaupt erst dann auch nur nachdenken, wenn alle Erwachsenen, die sich problemlos impfen lassen können, auch geimpft sind. Wieder werden die Versäumnisse im Bereich der Schulen auf dem Rücken der Kinder ausgetragen. Armselig! Und sowas will ernsthaft wiedergewählt werden!?

    • @Rainer B.:

      Es gibt nicht "die Wissenschaft" und die Auffassung der STIKO ist nicht das Evangelium -- schon allein, dass Wissenschaftler anderswo das anders sehen, sollte bei solchen Sprüchen eine Alarmglocke erklingen lassen.

      Wer auf "die Wissenschaft" pocht, will ein undemokratisches System, in dem Differenzen und unklare Situatione nicht vorkommen dürfen und Politik überflüssig wird.



      Politik ist aber eben die Methode, mit der unterschiedliche Beurteilungen und Interpretationen der Fakten zu einer Lösung und notwenidgen Entscheidung gebracht werden.

      Die STIKO schiebt seit Wochen eine Entscheidung zur Impfung von Kindern vor sich her.



      Das darf sie tun -- Politik jedoch muss auch mit Ungewissheiten umgehen und kann eben nicht dauerhaft darauf warten, dsass sich der Nebel lichtet.

      Dass Herr Mertens diese gewichtige Unterscheidung offebar nicht kennen will, ist bei jemandem in seiner Position alarmierend.

      • @flip flop:

        Es gibt sehr wohl die Wissenschaft. Differenzen und unklare Situationen gehören darin zum Tagesgeschäft. Dass die Auffassung der Stiko „nicht das Evangelium“ ist, ergibt sich u.a. schon daraus. Andere haben anderwo andere Daten, weshalb sie manches auch anders beurteilen. Die Stiko kann aber gar keine Empfehlung aufgrund einer gefühlten Datenlage abgeben - und das ist auch gut so.

        Blinder politischer Aktionismus lichtet hier keinen einzigen Nebel. Die Stiko ist eine 18-köpfige Expertengruppe, die ehrenamtlich und unabhängig für das RKI Impfempfehlungen aufgrund der vorliegenden Daten ausarbeitet. Herr Mertens trägt die Ergebnisse der Beratungen vor, trifft aber doch die Entscheidungen nicht etwa alleine.

  • Gefühlt wird die Pandemie zu 80 % auf dem Rücken der Kinder ausgetragen. Die haben halt keine Lobby.



    Die Schulen sind kaum besser vorbereitet als vor dem letzten Herbst und werden es wohl bleiben. Lufthansa, Mercedes etc. bekamen Milliarden, die Schulen?



    Und jetzt die Impfung? Mit einem notzugelassenen Impfstoff. Prof. Kekulé meint dazu, es gibt die known unkowns und die unkown unkowns. Wir wissen einfach nicht, was evtl. nach zwei Jahren Impfung mit RNA passieren wird. Die Wissenschaftler vermuten, das nichts passieren wird. Aber was wenn doch? Bei einem 60jährigen nicht ganz so wild wie bei einer 12jährigen?



    Gerald Hüther sagt, für die Kinder sind ein Jahr wie ca. 13 Jahre als Erwachsener. Wir tragen jetzt 1,5 Jahre Maske, Kinder jetzt umgerechnet ca. 20 Jahre. Mit welchen Langzeitfolgen? Wird das ausreichende diskutiert und berücksichtigt?



    Was sind die Kinder in dieser Gesellschaft wert?

  • Danke, dass ihr die Kritik Mertens aufgenommen habt.

  • Man will die Kinder impfen, da sich zu wenig Erwachsene impfen lassen. Kurz zusammengefasst: Eine Unverschämtheit.

    • @Strolch:

      Die EMA hat den Impfstoff für 12-15 Jährige freigegeben. Wer möchte schon eine weitere Mutation, die bei Kindern rasant grassiert und am Ende schlimme Verläufe und Long COVID macht.

      • @Gnutellabrot Merz:

        Kurze Frage: Sind Sie gegen Zecken geimpft (bzw. FSME)? Der Impfstoff ist freigegeben. Empfohlen ist er aber für Waldarbeiter und Personen, die häufig mit Zecken in Berührung kommen. Ich bin geimpft, da ich sehr viel in der Natur unterwegs bin und zwischen 5 bis 10 von den Tieren im Jahr abbekomme. Derjenige, der nicht durch hohe Wiesen läuft, braucht die Impfung nicht und sie ist auch nicht empfohlen.

        Mit anderen Worten: Freigabe ist nicht gleich Empfehlung.

      • @Gnutellabrot Merz:

        „Die EMA hat den Impfstoff für 12-15 Jährige freigegeben. Wer möchte schon eine weitere Mutation, die bei Kindern rasant grassiert und am Ende schlimme Verläufe und Long COVID macht.“



        Stimme Ihnen zu!



        Während es in Deutschland keine explizite Empfehlung gibt, sind in den USA schon acht Millionen Jugendliche geimpft. Die STIKO hat schon mit ihren verirrenden Aussagen zu AstraZeneca für viel Verunsicherung geführt, dass viele diesen Impfstoff ablehnen.



        Die STIKO sollte endlich begreifen, dass es für nichts im Leben eine 100 % Sicherheit gibt.

        • @D-h. Beckmann:

          Es verlangt keiner eine 100% iger Sicherheit. Aber eine Risikoabwägung wäre gut. Haben Sie Ihre Treppen alle mit Schaumstoff gepolstert? Was machen Sie, wenn Sie morgen runter fallen?

          Bei einer Impfung gibt es Komplikationen. Wenn diese in der Anzahl die schweren Verläufe überwiegen, ist eine Impfung nicht empfehlenswert.

          Bei AZ hat die Stiko recht wenig beigetragen. Das waren durchaus andere Länder, die den Impfstoff viel früher ausgesetzt haben.

          Zum Thema Mutation: Das Problem werden Sie durch vier Millionen Impfungen bei einer Weltbevölkerung von acht Milliarden kaum stoppen...

        • @D-h. Beckmann:

          Rückblickend warern die Warnungen zu Astra Zeneca berechtigt, gerade weil die Schutzwirkung deutlich geringer war als bei Biontec.

          Erst als die Hybrid-Impfung eingeführt wurde, war AZ stark genug.

      • @Gnutellabrot Merz:

        Ich finde es unverantwortlich, wie von Politikern Druck auf die StiKo ausgeübt wird.

        Und dann soll ich morgen wieder Bekannten erklären, dass ich der StiKo vertraue und sie sich deswegen bitte endlich impfen lassen sollen.

        Durch den Druck auf die StiKo, die Impfung vorzeitig für Kinder zu empfehlen, werden wir unter Garantie eine signifikante Zahl Erwachsene verlieren, die sich sonst hätten impfen lassen.

        Und das ist Wahnsinn.