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Alternativer Sexshop in LeipzigDildos shoppen ohne Scham

Die Voegelei ist der erste alternative Sexladen Leipzigs. Hier werden neben Sextoys auch Kommunikationsworkshops angeboten.

Spielzeug aus der „Voegelei“ Foto: Thomas Victor

Leipzig taz | Wer die Voegelei im Leipziger Osten betritt, merkt im ersten Moment nicht, dass es sich um einen Sexshop handelt. Der Raum ist hell und lichtdurchflutet, auf dem Boden liegt ein großer Perserteppich in Bordeauxrot, nirgendwo sieht man Produktverpackungen mit nackten Körpern – eine angenehme Wohnzimmeratmosphäre.

Direkt neben der Eingangstür steht ein kleines Tischchen mit großer Schale, die bis oben hin mit Schleckmuscheln gefüllt ist – Süßigkeiten, die man sich als Kind beim Kiosk gekauft, aber nie aufgelutscht hat. Schaut man sich weiter um, bleibt der Blick an dem Postkartenständer vor der Kasse hängen. Eine Karte zeigt vier Frauen, die gut gefüllte Pommestüten in den Händen halten, darüber steht in roter Schreibschrift: „fries before guys“, Pommes vor Jungs. In einem Zeitungsständer neben der Kasse stecken das Missy Magazine und die Jungle World, links davon hängt eine schwarze Pinnwand mit bunten Kettenanhängern in Vulvaformen und Buttons, auf denen Sprüche stehen wie „no means no“, „pretty fat“ oder „kiss my queer ass“. Die Vibratoren, Dildos, Penis- und Analspielzeuge stehen so unaufgeregt in den Regalen, dass man sie erst auf den zweiten Blick wahrnimmt.

„Wir möchten Sex aus der Schmuddelecke holen und Menschen dazu ermutigen, sich mit ihrer Lust zu beschäftigen“, sagt Max Valerij, Sexual- und Paarberater und Gründer des Sexshop-Kollektivs Voegelei. Im Juli dieses Jahres hat er den Laden zusammen mit drei Freun­d*in­nen eröffnet. „Manche Menschen sind noch immer der Ansicht, dass Sex beschämend ist und nur dazu da, um Kinder zu zeugen. Wir sehen Sex als etwas Schönes und Tolles an.“

Valerij – Dreitagebart, Septum und Glitzergürtel – hat sich in herkömmlichen Sexshops nie wohlgefühlt. „Die meisten richten sich nur an heterosexuelle cis Männer und vermitteln klischeehafte Bilder von Sex – dabei ist Sexualität so individuell, wie wir Menschen individuell sind.“ Viele Produkte reproduzierten falsche Körper­ideale und degradierten Frauen zu Sex­objekten.

Vegane Peitschen

Auf den Erotik-Shop in der Leipziger Innenstadt treffen diese Beschreibungen in jedem Fall zu. Obwohl hier täglich zig Menschen entlangspazieren und das angrenzende Café ein großes studentisches Publikum anzieht, ist der Sexladen an einem Nachmittag im Juli komplett leer. Die Fenster sind abgedunkelt, überall prangen nackte schlanke Frauenkörper mit großen Brüsten auf Dessous-Schachteln und DVD-Hüllen. Im hinteren Teil des Ladens gibt es einen Raum, der von oben bis unten mit Pornos gefüllt ist. Fast alle dienen nur der Befriedigung des Mannes, manche haben sexistische oder rassistische Titel wie „I love black lesbian“ oder „Zwei Typen auf eine Alte“. Der Unterschied zwischen der Voegelei und dem Erotik-Shop könnte nicht größer sein.

Kollektivmitglieder Max und Steph Foto: Thomas Victor

„Die Voegelei ist ein Sexshop für alle geschlechtlichen Identitäten, nicht nur für Frauen und Männer“, sagt Valerij. „Wir stehen für Gleichberechtigung und sexuelle Vielfalt.“ Das spiegeln auch die Produkte wider. Neben veganen Peitschen, Fesseln aus Fahrradzubehör und Strap-ons gibt es Menstruationsunterwäsche, Aufklärungsbücher, feministische Pornomagazine, Graphic Novels, Kondome, Lecktücher, verschiedenste Gleitgele sowie Bedarf für trans Menschen wie Brust- und Penisprothesen oder Binder, um die Brüste abzubinden.

Das Konzept des alternativen, queerfeministischen Sexladens ist nicht neu. Mit Sexclusivitäten in Berlin-Kreuzberg hat Laura Méritt in den 1990ern den ersten Sexshop dieser Art in Europa gegründet. Valerij ließ sich vor allem vom Berliner Other Nature beeinflussen, das 2011 eröffnete. 2018 folgte Fuck Yeah in Hamburg, und auch in München planen vier Frauen einen alternativen Sexshop.

Valerij erinnert sich noch genau an seinen ersten Besuch bei Other Nature vor acht Jahren. „Ich war total geflasht, es war ganz anders als alles, was ich bisher an Erotikshops kannte.“ Mit anders meint Valerij: hell, freundlich, offen. „Es gab eine Sitzecke, in der man Tee trinken und die Produkte befühlen konnte“, sagt Valerij. Seit seinem Besuch bei Other Nature hatte er den Wunsch, ein solches Geschäft auch in Leipzig zu eröffnen.

Einfach nur neugierig

Durch Crowdfunding hat Valerij vor vier Jahren fast 21.000 Euro Startkapital für sein kleines Unternehmen zusammenbekommen. Danach folgte die Suche nach Räumlichkeiten, eine lange Renovierungsphase – und Corona. Hat sich der Aufwand gelohnt? „Das wird sich zeigen“, sagt Valerij. Bei der Eröffnung Mitte Juli hätten die Leute draußen Schlange gestanden, am darauffolgenden Tag habe er hingegen nur fünf Kun­d*in­nen gehabt. „Es kommen vor allem Frauen zwischen 25 und 35 Jahren zu uns, aber nicht alle kaufen etwas. Viele sind einfach nur neugierig.“ Auch während des Gesprächs mit der taz betreten junge Frauen mit kurzen Ponys und hochgezogenen Sportsocken den Laden, schauen sich um – und gehen wieder.

Was vor dem Laden steht Foto: Thomas Victor

Valerij glaubt trotzdem daran, dass sich die Voegelei finanziell tragen wird. „Klar, Leipzig ist mit seinen knapp 600.000 Ein­woh­ne­r*in­nen deutlich kleiner als Berlin und Hamburg. Aber Leipzig hat eine verhältnismäßig große queerfeminstische Szene“, sagt Valerij. Doch wozu braucht es alternative Sexläden wie die Voegelei überhaupt, wenn es Onlineshops wie Amorelie oder Eis gibt? „Gerade bei Sexspielzeugen macht es einen großen Unterschied, ob ich sie nur anschauen oder auch anfassen und einschalten kann“, sagt Valerij. Außerdem biete die Voegelei Sextoys an, die es bei Großanbietern wie Amorelie nicht zu kaufen gebe.

„Wir arbeiten überwiegend mit Manufakturen zusammen, die von Flint*-Personen geführt werden“, also von Frauen, Lesben, Intersexuellen, Nichtbinären oder trans Personen. „Es ist beachtlich, wie viele Männer Sextoys herstellen und wie wenig Flint*-Personen. Wir wollen Letztere unterstützen und für mehr Sichtbarkeit sorgen.“

Daneben achtet Valerij darauf, welche Materialien verwendet werden, wo produziert wird und unter welchen Arbeitsbedingungen. Nur wenn Produkte seine ethischen und ökologischen Kriterien erfüllen, kommen sie ins Sortiment. „Ein Großteil unserer Sextoys kommt aus Deutschland oder Schweden, manche sind handgefertigt oder vegan“, sagt er.

Hohe Preise

Entsprechend hoch sind aber auch die Preise. Ein weinroter Vibrator der Berliner Manufaktur Playstixx kostet 79,90 Euro, ein Klitoris-Sauger der schwedischen Firma Lelo 169 Euro. Für 120 Euro gibt es die „Ussy“, einen 500 Gramm schweren, 22,5 Zentimeter langen knallgelben Silikon-Masturbator, in den man seinen Penis einführen kann. Spielzeuge im niedrigen Preissegment sind eher rar. Die Voegelei, sagt Valerij, sei aber viel mehr als nur Einzelhandel, sie sei ein Ort des Austauschs. „Wir stehen für Fragen bereit, und wer möchte, kann mit uns über seine sexuellen Ängsten und Wünsche sprechen.“

Valerij bietet Sexual- und Paarberatung an, und sofern es die Coronapandemie zulässt, finden Workshops statt, zum Beispiel Bondage-, Blowjob- oder Kommunikationsworkshops. „Vielen Menschen fällt es schwer, ihren Part­ne­r*in­nen von ihren sexuellen Vorlieben zu erzählen – auch ich war früher total verklemmt. Im Workshop wollen wir Tipps geben, wie man das überwinden kann“, sagt er.

Valerijs übergeordnetes Ziel ist es, falsche Idealbilder von Sex abzubauen. Mit falschen Idealbildern meint er etwa die Vorstellung, dass Menschen mit Penis beim Sex „lange durchhalten“ müssen, Blowjobs ein Muss sind oder die Penetration „hart und fest“ sein sollte. „Wer versucht, diese Erwartungen zu erfüllen, macht sich unnötig Druck und hat höchstwahrscheinlich keinen schönen Sex.“ Sexualität, und das betont Valerij immer wieder, sei vielfältig, es gebe kein Normal, kein Ideal. „Unser Laden soll Menschen dazu ermuntern, ihre eigene, einzigartige Sexualität zu entdecken – und auszuleben.“

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4 Kommentare

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  • Zitat:



    "Wir sehen Sex als etwas Schönes und Tolles an."

    Das ist deren Einstellung. Die Reaktion ähnlich gestrickter Menschen, wenn ich so etwas von mir gebe geht in die Richtung, dass ich nicht so needy/bedürftig sein soll, ich das nicht bräuchte oder ob ich denen an die Wäsche gehen will.

    Schade. Vielleicht hilft auch dagegen ein Kommunikationstraining. Damit solche Sätze garnicht mehr fallen.

  • Wen interessiert so ein Müll?

    • @FranzFerdinand:

      Mich zum Beispiel…wieso „Müll“? Was haben Sie konkret gegen dieses Geschäft vorzubringen, was stört Sie daran?

  • "Nirgendwo sieht man Produktverpackungen mit nackten Körpern" - ich weiß ja nicht, warum das für "ohne Scham" spricht, auf mich wirkt das eher verklemmt.