: „Eindruck, als Testkaninchen zu dienen“
Die Impfbereitschaft bei Geflüchteten in niedersächsischen Erstaufnahme-einrichtungen liegt seit drei Monaten um die 20 Prozent. Das könnte an einem Misstrauen gegenüber der Impfung liegen, erklärt Muzaffer Öztürkyilmaz vom Flüchtlingsrat Niedersachsen
Interview Pascal Luh
taz: Herr Öztürkyilmaz, in Niedersachsen gibt es Impfinitiativen in Flüchtlingsunterkünften. Wie sehen die aus?
Muzaffer Öztürkyilmaz: Es gab welche. Das waren mobile Impfdienste, die in die Unterkünfte gefahren sind. Unseres Wissens gibt es diese mobilen Impfteams nicht mehr. Eine Zeit lang wurde das damit begründet, dass es zu wenig Impfstoff gibt. Das ist jetzt nicht mehr der Fall – und trotzdem gibt es keine mobilen Impfteams mehr.
Waren mobile Impfteams eine denn gute Herangehensweise?
Von der Idee her fanden wir das eigentlich ganz gut. Das Problem war nur, dass die mobilen Impfteams dann von einem Tag auf den anderen in den Unterkünften standen und die Menschen impfen wollten.
Was ist das Problem dabei?
Es war schlecht organisiert. Die Menschen wurden nicht gezielt muttersprachlich angesprochen, über die Impfung aufgeklärt und dann gefragt, ob sie geimpft werden wollen. Stattdessen gab es Listen, Aushänge, und vereinzelt Ansprachen von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern. Systematische Informationen und Aufklärungen über Impfungen, Vor- und Nachteile und die Möglichkeit zur Impfung in der Unterkunft gab es nicht. Das war also nicht besonders niedrigschwellig. Dabei sind Flüchtlingsunterkünfte in der Priorisierungsgruppe 2.
Sind Geflüchtete in Unterkünften denn besonders gefährdet?
Es gibt Studien vom RKI, die sagen, dass nur in Altenheimen und Krankenhäusern das Ansteckungsrisiko höher als in Flüchtlingsunterkünften ist.
Laut der niedersächsischen Landesaufnahmebehörde ließ sich in den vergangegenen drei Monaten nur jeder Fünfte in einer Unterkunft impfen. Gibt es eine Impfskepsis unter den Bewohner:innen?
Muzaffer Öztürkyilmaz
36, leitet das Projekt „Beratung in Abschiebungshaft“ und koordiniert das landesweite Netzwerk AMBA.
Ja, und die hat mehrere Ursachen. Wenn man sich vorstellt, dass man als Asylsuchender nach dem Asylbewerberleitungsgesetz erst mal 18 Monate nur ärztliche Leistungen kriegt, wenn man sie wirklich akut braucht, dann fragen sich die Menschen natürlich: Warum werde ich jetzt bevorzugt mit einer Impfung? Das erweckt den Eindruck, als Testkaninchen zu dienen. Bevor die Impfungen losgegangen sind, gab es schon ein Jahr Pandemie in den Unterkünften. Ein Jahr lang haben die Menschen auf so engem Raum gelebt, konnten sich nicht schützen, die AHA-Regeln, also die grundlegendsten Regeln, nicht einhalten. Und jetzt auf einmal werden sie bevorzugt behandelt? Das ist ein starker Grund zur Skepsis gewesen.
Wie könnte man dieser Skepsis entgegenwirken?
Es braucht bessere Aufklärung und auch einfach positive Erfahrungen. Es ist ja so: Wenn sich Bewohner A impfen lässt, sechs Wochen später die zweite Impfung bekommt und nichts passiert, alles in Ordnung ist – dann will sich Bewohner B vielleicht auch impfen lassen. Die Erfahrungen, die sie bisher gemacht haben, lässt sie daran zweifeln, ob manche es wirklich gut mit ihnen meinen. Wenn sie sehen, dass alles gut ist, wenn sie vielleicht auch mehr Informationen bekommen oder sich selbst informieren, dann sind sie eher bereit, sich impfen zu lassen. Da haben wir jetzt wiederum das Problem, dass es keine mobilen Impfteams mehr gibt. Das erhöht die Barrieren.
Wie sieht die Aufklärung über Impfungen für Geflüchtete aus?
Es gab lange Zeit lang nichts. Von der Berliner Senatsverwaltung kamen zwar Videos, die aber beispielsweise keinen Bezug auf Erkrankte oder schwangere Personen genommen haben. Da bestehen ja durchaus Einschränkungen. Dann gibt es etwas von den Neuen deutschen Medienmacher*innen, das kam aber auch relativ spät. Wir haben dann als Flüchtlingsrat zusammen mit der Landesregierung selbst eine Kampagne gestartet.
Mit Aufklärungsvideos und Informationen in vielen verschiedenen Sprachen.
Genau. Eigentlich muss man sagen, dass das in Niedersachsen der erste und größte Ansatzpunkt war. Es gab vereinzelt Versuche, die waren aber nicht professionell. In Niedersachsen ist bis zur gemeinsamen Kampagne nichts Flächendeckendes passiert, um Geflüchtete zu informieren. Jetzt haben wir mittlerweile in 16 Sprachen Videos mit Hintergrundinformationen zu Impfungen.
Gibt es inzwischen noch andere Angebote, um sich zu informieren?
Es gab im Raum Hannover die Möglichkeit, über Zoom-Konferenzen mit Ärztinnen und Ärzten in der Muttersprache zu sprechen und Fragen zur Impfung zu stellen. Das ging über das Netzwerk für Flüchtlingsunterkünfte. Das ging zum Beispiel auf Russisch, Arabisch und Farsi.
Warum ist es wichtig, Menschen auf ihrer Muttersprache zu erreichen?
Es ist wichtig, um die Menschen zu überzeugen. Generell gibt es sprachliche Barrieren: Wenn man ins Impfzentrum will, muss man einen Termin machen in einer Sprache, die man nicht versteht. Man muss irgendwo hinfahren, wo es auch ein bisschen schwerer ist hinzukommen, wenn man kein Auto hat. Andererseits ist es so, dass die Geflüchteten in ihren Kommunen ja vielleicht mittlerweile auch einen Hausarzt oder eine Hausärztin haben. Es kann auch sein, dass es ein Vertrauensverhältnis gibt und sie sich dort impfen lassen wollen. Alles in allem wäre es trotzdem wünschenswert, jetzt noch einmal mobile Impfteams einzusetzen.
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