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Gewalt gegen Frauen in den MedienGefährliche Lücke

Eine empirische Studie analysiert Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen. Sie zeigt: Es dominieren Einzelfälle statt struktureller Probleme.

Installation des Künstlers Dennis Josef Meseg, Dezember 2020 in Essen Foto: Jochen Tack/imago

Die Silvesternacht 2015/2016 stellt eine Zäsur für Deutschland dar. Gewaltbereite und meist betrunkene Männer beschimpften, beklauten und belästigten sexuell in dieser Nacht Hunderte Frauen auf dem Platz vor dem Kölner Hauptbahnhof. Es folgte eine wochenlange Debatte, die letztlich dazu führte, dass das Sexualstrafrecht verändert und das Asylrecht eingeschränkt wurde. Und auch für die deutsche Medienlandschaft hatte das Ereignis Auswirkungen.

Denn nach den Vorfällen wurde Kritik laut, Medien hätten wegen „politischer Korrektheit“ die Herkünfte der mutmaßlichen Täter zu lange geheim gehalten. Diese Wahrnehmung entspricht jedoch nicht der Wahrheit. Trotz allem formulierte der Presserat im März 2017 seine Richtlinie zur Herkunftsnennung um. Diese ist seitdem immer dann vorgesehen, wenn ein „begründetes öffentliches Interesse“ besteht.

Dieses öffentliche Interesse ist zwar nicht näher definiert, doch auch schon vor der Neuformulierung durch den Presserat nahm die Herkunftsnennung mutmaßlicher Täter in der deutschen Medienlandschaft zu. Und nicht nur das. In direkter Folge der Kölner Silvesternacht wurde oftmals das Framing genutzt, sexualisierte Gewalt sei ein Problem, das von außen in die deutsche Gesellschaft getragen wurde.

Dies ist ein Ergebnis der Studie „Tragische Einzelfälle? Wie Medien über Gewalt an Frauen berichten“, die am Montag von der Otto-Brenner-Stiftung veröffentlicht wurde. Ob Medien zur „Verhütung“ dieser Gewalttaten beitragen und die „Achtung der Würde der Opfer“ erhöhen, wie die Istanbul-Konvention vorschreibt, wollte die Kommunikationswissenschaftlerin Christine Meltzer der Uni Mainz durch eine quantitative Inhaltsanalyse herausfinden. Dafür hat sie knapp 3.500 Texte aus dem Zeitraum Januar 2015 bis Juni 2019 aus deutschen Tageszeitungen untersucht. Zum Untersuchungsobjekt gehörten drei Boulevardmedien, fünf Lokalzeitungen aus Ost- und fünf aus Westdeutschland sowie vier überregionale Zeitungen, wie die Süddeutsche Zeitung, die Welt und auch die taz.

Kaum Berichterstattung über marginalisierte Gruppen

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass je extremer die Straftat ist, desto mehr darüber berichtet wird: Über Morde an Frauen wird demnach am häufigsten geschrieben, Themen wie Stalking oder Nötigung finden jedoch kaum Platz in den Medien. Die Häufigkeit der Gewalttaten ist laut polizeilicher Kriminalstatistik aber genau anders herum. Schwierig ist das deswegen, weil Gewaltformen in Beziehungen, die in der Regel vor einem Femizid passieren, kaum Beachtung finden.

Und auch ansonsten geht es selten um die Strukturen, Hilfsangebote oder politische Forderungen. Stattdessen steht das Berichten vor allem von Boulevard- und Lokalmedien über einzelne Fälle im Vordergrund. Überregionale Medien informieren seltener über Einzelfälle, und wenn, dann handelt es sich um besonders bekannte Fälle. Strukturell wird meist anlassbezogen berichtet, also beispielsweise, wenn feministischer Kampftag ist oder die neue Kriminalstatistik veröffentlicht wird.

Meltzer kritisiert in der Studie, dass die Berichterstattung meist täterzentriert ist und die Betroffene nur selten im Fokus des Textes steht. Sie führt an, dass „die Abwesenheit von personalisierenden Attributen tendenziell zu einem erhöhten Victim Blaming beim Publikum“ führt. Zudem ist es so, dass nicht gleichwertig über Opfer berichtet wird. Der Fokus liegt dabei klar auf jüngeren Betroffenen, je älter die Menschen, desto weniger wird berichtet. Und auch Frauen mit Behinderungen oder mit Fluchterfahrung kommen selten vor – obwohl ihr Risiko, Opfer einer Gewalttat zu werden, deutlich höher liegt.

So wird beispielsweise in weniger als ein Prozent der Fälle bei den Opfern auf eine körperliche, psychische oder geistige Behinderung hingewiesen, laut einer repräsentativen Studie gibt allerdings jede dritte bis vierte Frau mit Behinderung an, schon einmal sexualisierte Gewalt erfahren zu haben. Natürlich spielt hier das Dunkelfeld eine Rolle, ebenso wie der Fakt, dass in der Berichterstattung die Behinderung vielleicht einfach nicht erwähnt wird – doch ein Ungleichgewicht von realer und berichteter Gewalt lässt sich trotz allem stark vermuten.

Ein Balanceakt für Jour­na­lis­t:in­nen

Insgesamt zeigt die Studie ein recht ernüchterndes Bild darüber, wie Gewalt gegen Frauen in den Medien stattfindet. Statt Strukturen zu benennen und zu problematisieren, werden häufiger einzelne Taten berichtet, und das meist täter- statt opferzentriert. Letzteres lässt sich jedoch auch damit erklären, dass der Schutz von Opfern und deren Angehörigen hohe Priorität bei der Berichterstattung verdient. Zudem sind viele von Gewalt Betroffene aus verständlichen Gründen nicht dazu bereit, mit der Presse zu sprechen. Den Tätern nicht zu viel Raum zu geben und Opfer ins Zentrum des Textes zu stellen, gleichzeitig aber den Opferschutz zu berücksichtigen, ist häufig ein Balanceakt für Jour­na­lis­t:in­nen.

Die Studie hält zwar fest, dass die Dokumentation über Gewalt gegen Frauen leicht gestiegen ist im Zeitraum von 2015 bis 2019, welche Rolle dabei jedoch die 2016 entstandene #MeToo-Bewegung hat, wird leider nicht berücksichtigt.

Eine positive Entwicklung lässt sich dann aber doch aus der Studie ablesen. Wann immer Medien nach der Tötung einer Frau von „Familientragödie“ oder „Ehedrama“ schreiben, kritisieren Fe­mi­nis­t:in­nen im Netz die verharmlosenden Beschreibungen. Denn sie klingen nach einem plötzlichen Schicksalsschlag und nicht nach misogyner struktureller Gewalt. Diese Begriffe konnte Meltzer nur in 3 Prozent der Texte ausmachen – und sie wurden zum Ende des Untersuchungszeitraumes auch immer weniger. Die feministische Kritik scheint also zu wirken. Die Frage, ob das Wort „Femizid“, also die Tötung einer Frau aus sexistischer Motivation, mittlerweile weit verbreitet ist, bleibt leider unbeantwortet.

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6 Kommentare

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  • Ich frage mich immer, warum ein Mord aus Eifersucht - eine sogenannte "Beziehungstat" - anders eingeordnet und eher toleriert wird als die sogenannten "Ehrenmorde".

    Bei beiden stehen verletzte Gefühle im Vordergrund. Doch beruhen sie gleichermaßen auf Gedankenwelten, die Frauen (und auch andere Menschen) in Besitz nehmen und deren Autonomie verneinen.

  • Mir bleiben nach dem Lesen mehrere Fragezeichen. Ich bin mir nicht sicher, wie eine opferzentrierte Berichterstattung aussehen soll. Wahrscheinlich ist es doch eher so, dass Opfer eines Gewaltdelikts nicht danach auch noch in der Öffentlichkeit stehen wollen. Und ich habe auch noch nicht ganz verstanden, worin der Sinn besteht, Verbrechen nach weiblichen oder männlichen (was ja häufiger der Fall ist, aber irgendwie weniger Aufmerksamkeit bekommt) Opfern zu kategorisieren.

  • Passende Abbildungen zu solchen Themen sind immer schwierig. Aber schlechte Kunst von einem männlichen Künstler — da sollte sich was anderes finden lassen…

  • "Über Morde an Frauen wird demnach am häufigsten geschrieben, Themen wie Stalking oder Nötigung finden jedoch kaum Platz in den Medien. Die Häufigkeit der Gewalttaten ist laut polizeilicher Kriminalstatistik aber genau anders herum."

    Schlägt die Autorin also vor, dass die Medien sich gefälligst an der Häufigkeit der Taten orientieren sollen? Dann wären die Zeitungen jeden Tag voller Geschichten von Ladendiebstahl und Steuerhinterziehung. Das wäre schnell langweilig, weil wenig spektakulär. Selbst die taz berichtet lieber über Mord und Totschlag. Darin ähnelt sie ganz und gar der BILD.

    Am Gesamtbild ändert aber - egal welche - Berichterstattung gar nichts: Die überwältigend große Mehrheit der Mordopfer sind Männer (weltweit mehr als 80%).

    • @Winnetaz:

      > Schlägt die Autorin also vor, dass die Medien sich gefälligst an der Häufigkeit der Taten orientieren sollen? Dann wären die Zeitungen jeden Tag voller Geschichten von Ladendiebstahl und Steuerhinterziehung.

      Stalking hat psychisch wesentlich schlimmere Folgen als Ladendiebstahl, mitunter direkt vergleichbar zu schweren Gewalterfahrungen. Stalking mündet auch nicht selten in Gewalt und sollte daher immer ernst genommen werden.

      Der immense, oft traumatisierende Stress, den Stalking verursacht, hängt damit zusammen, dass die Situation des verfolgt-werdens für einen Menschen immer wieder im Lauf der Geshichte eine tödliche Gefahr war und ist. Die meisten von uns haben so eine Situation nicht selbst erlebt, in Massen geschah es in Europa zuletzt im Dritten Reich. Aber letztendlich sind Menschen biologisch Raubtiere, die ihren Opfern folgen und sie zu Tode treiben.

      • @jox:

        "Stalking hat psychisch wesentlich schlimmere Folgen als Ladendiebstahl..."

        Bleiben wir doch beim Text, wo nicht Ladendiebstahl, sondern Mord als Vergleich herangezogen wurde.

        Mord kann auf Stalking folgen. Stalking hat aber nicht automatisch Mord zur Folge.

        Und, da bin ich jetzt ganz subjektiv, ich finde Mord immer noch schlimmer als Stalking, ohne damit letzteres zu verharmlosen.