Kieler Fotoausstellung über 1967: Als die Blumenkinder starben
Die Kieler Stadtgalerie widmet sich der Hippie-Bewegung im Jahr 1967. Dazu stellt sie den Musik- und Dokumentarfotografen Jim Marshall vor.
Es folgte am Nachmittag eine wilde Prozession, bei der nicht nur in einem Sarg ein Meer von Blumen zu Grabe geleitet wurde, sondern auch einer der ihren durch die Straßen getragen, auf einem Holzkreuz liegend, beinahe wie einst der Sohn Gottes. Das Kreuz wurde verbrannt, die enttäuschten Anhänger tanzten zum Abschluss noch einmal verzückt im Kreis. Es würde schon irgendwie weitergehen. Vielleicht.
Der Musikfotograf Jim Marshall war selbstverständlich mit seiner Leica dabei – an jenem heute legendären 6. Oktober des Jahres 1967. Er hatte in den Jahren zuvor in New York die Akteure der dortigen Jazzszene abgelichtet, war in die kleinsten und engsten Keller abgestiegen; dann aber hatte es ihn nach San Francisco verschlagen, wo am 14. Januar im Stadtteil Haight-Ashbury im dortigen Golden Gate Park das „Human Be-in“ stattfand: 30.000 Besucher zog er an, der Mix aus Konzert, Lesung und Demonstration, auch Verkündigung und Treffen in einem.
„Fragt man nach dem Start der Hippie-Bewegung, nennen die meisten das Jahr 1969 und als prägendes Festival ‚Woodstock‘“, sagt Peter Kruska, Leiter der Kieler Stadtgalerie, dem es selbst so ergangen sei. Dass tatsächlich alles zwei Jahre zuvor startete wenn nicht gar schon wieder endete: Das zeigt nun die Fotoausstellung „Summer of Love“, eine Übernahme aus der City Hall von San Francisco immerhin verbindet seit 2017 eine Städtepartnerschaft Kiel und, eben, jene Stadt in Nordkalifornien.
So geht es Raum für Raum, Monat für Monat, am Jahr 1967 entlang. Marshall, der sich nie als klassischer Fotograf, sondern als Reporter mit Kamera verstand, zeichnet seine beständige Nähe zum Geschehen und dessen Protagonisten aus. Er steht vor der Bühne und nimmt die Position des gemeinen Publikums ein; er steht auf der Bühne und fotografiert ins Publikum; lichtet die verzückt sich drehenden jungen Leute beim Nachbarschaftskonzert ab, während in den hinteren Reihen das mittelbürgerliche Publikum noch abwartend die Arme verschränkt hält, aber zumindest schon mal zuschaut.
Absolut auffällig: Marshall dokumentiert eine offenbar grundlegend friedliche Stimmung, eine von heute aus gesehen fast schon verdächtig wirkende Idylle zwischen verschiedenen sozialen Gruppen: den Beatniks und den Hells Angels, den Zaungästen und den „Diggers“, jener politischen Hippie-Hardcore-Fraktion, die sich Großes erhoffte, wenn es nur alles für alle umsonst geben würde. Und nirgendwo sieht man Absperrgitter, sieht man Ordner oder Aufpasser, die sich den Fans rüde in den Weg stellen und einen auf wichtig tun.
Dass sie nicht bleiben wird, die heitere Stimmung vom lockeren Aufbruch, auch das zeigt sich: Der Protest gegen den Vietnamkrieg macht sich auf den Weg, und nun sehen wir die Polizei mit ihren schweren Motorrädern vorfahren, wenn sie auch noch vergleichsweise harmlos gekleidet sind, wie eben aus einer anderen Welt.
Spannend auch ein Schnappschuss Marshalls auf einen Mann mit heruntergelassenen Hosen, der ausgestreckt auf einer Liege eben liegt, während ihm eine Frau im adretten weißen Pulli und mit Goldarmband eine Spritze setzt: Die ‚Free Clinic‘ bot damals allen eine kostenlose medizinische Versorgung, fragte nicht nach Herkunft und Status, übte sich so im Ideal einer Gesellschaft, in der man für den anderen da ist und ihm hilft, entsprechend misstrauisch beäugt von der Regierung.
Man kann die Ausstellung aber ebenso erst einmal schlicht als Musikfan ansehen und entsprechend genießen. Jefferson Airplane treten an, die Band Greatful Dead, die vergessenen Moby Grape und dann – Janis Joplin. Da sitzt sie, noch mitten im Publikum; eine junge, fast schüchtern wirkende Frau, die damals noch mit ihrer Band den Erfolg suchte, die auf einen recht sperrigen Namen hörte: „Big Brother and the Holding Company“. Auf dem Monterey-Pop-Festival Mitte Juni wird sie einen ersten, größeren Auftritt haben und dann geht alles wie von selbst und drei Jahre später ist sie nicht mehr am Leben.
Jim Marshall´s 1967. Rock, Revolution and the Summer of Love in San Francisco: bis 29. 8., Stadtgalerie Kiel
Und auch von Jimi Hendrix gibt es ein berührend entspanntes Bild vom Star als normalem Festivalgänger, der zuschaut, so wie man ihm zuvor zugeschaut hat. Auch das wird sich ändern, dazu gibt es eine passende Anekdote, die sich gut weitererzählen lässt: „Kurz vor seinem Auftritt auf dem Monterey-Festival hat Hendrix Jim Marshall gefragt, ob er auch genügend Filmmaterial dabei hätte – denn es würde diesmal etwas Revolutionäres passieren“, erzählt Kruska.
Und auf dem heute ikonographischen Foto, wo Hendrix auf dem Boden kniet, vor sich seine brennende Gitarre, sieht man nun deutlich, was der Gitarrenmeister etwas versteckt in seiner linken Hand hält: ein Fläschchen mit Feuerzeugbenzin.
Immer wieder zeigt sich so Marshall sowohl als behutsamer Dokumentarfotograf, der sich dennoch nicht von der Auftragsfotografie trennen wird, was seinen Preis hat: Denn so sympathisch seine Alltagsbilder immer auch sind, er bedient eben auch von Anfang an die Bildwelten der sich neu aufstellenden Musikindustrie, die es bis heute so locker vermag, den Aufruhr dank seiner gleichzeitigen Verwertbarkeit zu nutzen.
Dann sieht man seine Band-Protagonisten sich brav vor der amerikanischen Flagge aufstellen und es ist fast, als hätten sie sich die langen Haare noch mal schnell gekämmt.
So liefern seine privaten Schnappschüsse der aufstrebenden Kalifornien-Bands bald das Material für den globalen Fan, der glaubt, seinem Idol nah zu sein, wenn er es nur anschaut. Apropos Musik: Angenehmerweise hat die Stadtgalerie darauf verzichtet, von irgendwo her Musik aufspielen zu lassen. Man hört den Sound jener Jahre ja auch so.
Knallbuntes Ende
Stattdessen bietet sich für den Informationsbedürftigen ein Dokumentarfilm über Jim Marshall an, der durch sein Leben führt, ihn manches erzählen und erklären lässt, sodass eine weitere Zielgruppe glücklich werden dürfte: alle, die sich für Fotografie-Geschichte interessieren und von Jim Marshall noch nicht gehört hatten.
Und überhaupt: Man sieht sich mal wieder eine so richtig schöne Schwarz-Weiß-Foto-Ausstellung an. Weshalb es passt, dass eines der letzten Bilder der Ausstellung knallebunt daherkommt: ein Porträt des Sängers Donovan, eine Doppelbelichtung aus seinem Gesicht und Floralem. Von hier aus ist es nun nicht mehr weit zur Pril-Blume, die hierzulande bald für ein wenig Frische auf den Kacheln kleinbürgerlicher Küchen sorgt.
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