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Die Altenpflegerin Nissi ist geimpft und will unbedingt wieder ins Kino Foto: Stefan Falke

Covid-19-Pandemie in den USAAussicht auf Leben

New York war ein Epizentrum der Pandemie. Langsam kehren die Menschen zurück. Doch Corona wird die Stadt dauerhaft verändern.

D ie Pandemie? „Ich denke nicht mehr daran.“ Nissi wirft ihr hüftlanges rotes Haar in den Nacken und sucht die Pose für das nächste Selfie. 100 Stockwerke unter ihr liegt Manhattan. Direkt neben ihr, aber außerhalb des Bild-Rahmens, stehen ihre Schwester und ihr Boy-Friend. Weit hinter ihr liegt die Zeit vor der Impfung, „als ich noch Maske trug“.

Die junge Krankenpflegerin war in den zurückliegenden Monaten täglich mit dem Risiko konfrontiert. Sie arbeitet in einem Altersheim nördlich von New York. Zu ihrer eigenen Sicherheit und der von ihr Betreuten hatte sie nichts anderes als den Atemschutz, die Handschuhe und die Tests.

Seit zwei Wochen ist sie geimpft. Das und ihren 20. Geburtstag feiert sie jetzt in New York. Sie hat sich in ein Hotel eingemietet. Ist an diesem heißen Juli-Tag mit dem Aufzug zur „Edge“, der höchsten Aussichtsplattform über der Stadt, gefahren. Isst Popcorn und Hotdogs. Verschickt Selfies. Und geht ins Kino, um „Fast and Furious 9“ zu sehen. Sie hat keinen Film der Reihe verpasst.

Als die Aussichtsplattform „Edge“ vor zwei Jahren eröffnete, begann in dem unter ihr liegenden Stadtteil „Hudson Yards“ neues Leben. Mit einer Investition von 25 Milliarden Dollar ist es das teuerste Immobilienprojekt der New Yorker Geschichte. Die Wolkenkratzer, die über Bahngeleisen und über einem Zugdepot der Verkehrsbetriebe am Westrand von Midtown gebaut wurden, sollten eine Stadt in der Stadt werden. Eine Luxusoase, in der es sich wohnen, arbeiten, einkaufen und Sport treiben lässt, ohne sie verlassen zu müssen.

Dann kam das Virus. Es machte New York zum globalen Epizentrum der Pandemie. Am 20. März 2020, als New Yorks Gouverneur Andrew ­Cuomo per Dekret anordnete, alle nicht unerlässlichen Geschäfte zu schließen, und als sich die City schlagartig leerte, fielen auch die „Hudson Yards“ in Schockstarre. Der Verkauf der Wohnungen, mit einem Einstiegspreis von knapp 3 Millionen Dollar für ein Zimmer, stagnierte. Der Bau der geplanten weiteren Wolkenkratzer verlangsamte sich. Das Einkaufszentrum mit den Skulpturen und den Gängen aus Marmor machte zu. Und durch die Weite der nagelneuen U-Bahn-Station Hudson Yards huschten nur noch Krankenschwestern, Ärzte und andere „unerlässliche Beschäftigte“. Ab dem 15. April, dem Tag, als im Bundesstaat New York Masken zur Pflicht wurden, waren von ihren Gesichtern nur noch die Augen zu sehen.

Knapp drei Kilometer nordöstlich von den Hudson Yards ruft Spiderwoman mit spanischem Akzent „Foto?“ zu den Passanten, die an ihr vorbeiströmen. Dann zeigt sie, was sie zu bieten hat: eine auf Stelzen stehende Freiheitsstatue in goldglänzendem Tuch, einen riesigen Roboter, einen Batman. Sie sind ein Familienbetrieb. Antonio ist der Chef und stellt Batman dar, er stammt aus Ecuador. Seit zwei Jahrzehnten arbeitet er an der Ecke von Broadway und 45. Straße auf dem Times Square. Sein Geschäft ist es, anderen Menschen für die Dauer eines Fotos nah zu kommen, sie vielleicht sogar zu umarmen.

Die ersten Monate der Pandemie, als in New York jede Versammlung verboten war und der Publikumsverkehr auf dem Platz von täglich 365.000 auf fast niemanden zusammenschrumpfte, waren die schwierigsten von Antonios Leben hier. Im Spätsommer 2020 kamen er, seine Frau, die Spiderwoman spielt, und seine Söhne auf den Times Square zurück. Es gab keine Touristen und fast kein Geld. Die Darsteller schmissen, was sie bekamen, in einen Topf. Rückten in einer Wohnung zusammen. Und kochten gemeinsam. Inzwischen ist die ganze Familie geimpft. Und auf dem Times Square tummeln sich fast wieder 200.000 Menschen pro Tag. „Die Leute schöpfen allmählich neues Vertrauen“, sagt Antonio. Mit einer Rückkehr zum Normalzustand rechnet er im Dezember: „Falls Delta keine bösen Überraschungen bringt.“

Die mobilen Teststationen verschwinden

Auf den Fassaden rund um den Times Square erinnert nichts mehr an Corona. Auf der Dutzende Meter hohen Leuchtfläche, auf der im letzten Jahr in riesigen vertikalen Lettern „Thank you“ für die Pandemiehelfer flimmerte, werben wieder die Hersteller von Softdrinks und Hamburgern. Der Medienkonzern ABC hat hier seinen Sitz, am Gebäude flimmert die Schlagzeile: „Taliban kontrollieren mehr als 50 Prozent des afghanischen Territoriums“. Hinter der US-Fahne auf der Außenseite des Rekrutierungsbüros suchen Army, Navy, Air Force und Marines nach neuen Freiwilligen.

Im Gewühl sitzen drei junge Frauen unter einem blau-roten Zeltdach auf dem „Covid-19-Testing“ steht. Die drei sind im letzten Jahr im Schnellverfahren angelernt worden. Hinter ihnen parkt ein Minibus, in dem sie ihre Tests durchführen. Rund 150 Passanten pro Tag nehmen ihr Angebot noch wahr.

Nachdem Coronatests in den ersten Monaten der Pandemie in den USA Mangelware waren, hatten Labors das Geschäft damit entdeckt, es gab viele Testzelte. Der Boom war kurz, die Lizenzen für mehrere Labore sind abgelaufen.

Die drei jungen Frauen empfehlen allen, auch den Geimpften, zwei bis drei Tests pro Woche. „Die Impfung stärkt das Immunsystem“, sagen sie, „aber eine Ansteckung ist weiterhin möglich“. Doch die Einheimischen kommen nicht mehr. „Wir haben die New Yorker verloren“, sagt Diane, die Chefin des Test-Teams am Times Square. Sie hat im Restaurant ihrer Familie gearbeitet, bis es in der Pandemie zumachen musste, weil so viele Beschäftigte das Virus hatten. Fast alle Personen, die sie jetzt testet, sind Auswärtige, die das für einen Rückflug brauchen. Einheimische Reisende verlangen Schnelltests, ausländische benötigen PCR-Tests. Alle Kosten werden vom Staat New York übernommen. Wie lange Diane noch am Times Square testen wird, ist unklar.

Auch bei den Impfzentren in New York schrumpft die Nachfrage. Am Jahresanfang waren Geduld und viel Glück nötig, um einen Impftermin zu ergattern. Inzwischen haben alle, die älter als zwölf sind, Anspruch darauf. Ohne Anmeldung. Inzwischen müssen nicht mehr die Impfkandidaten warten, sondern das Personal. Die Stadt hat „Test & Trace Corps“ – Gruppen von jungen und alten Aufklärern –, die an viel benutzten Straßenkreuzungen Informationsmaterial über den Nutzen von Impfungen verteilen. Sie hat mobile Impfzentren in Bussen, die an Wochenmärkten auffahren. Impfzentren haben sich in leer stehenden Ladenlokalen niedergelassen. Auch Hausbesuche sind möglich.

4,3 Millionen New Yorker – rund 70 Prozent der Erwachsenen – sind voll geimpft. Aber die Bilanz ist unterschiedlich nach Stadtteilen, Hautfarben, Geschlecht und Alter. In Staten Island ist die Impfrate am niedrigsten. In der republikanischen Hochburg der Stadt wohnen viele Polizisten.

In der Bronx, in East Harlem und anderen Stadtteilen mit großen schwarzen und braunen Bevölkerungsgruppen, ist die Rate ebenfalls nicht hoch, dort stoßen die Impfaufklärer der „Test & Trace Force“ auf Misstrauen gegen den Staat. Sie hören von medizinischen Experimenten an Afroamerikanern, von denen Großeltern ihren Enkeln erzählt haben. Sie hören von der Angst undokumentierter Einwanderer, nach der Impfung abgeschoben zu werden. Und sie hören von „Anti-Vaxxern“, die Impfung sei eine „Giftspritze“, mit der die Bevölkerung kontrolliert werden soll.

Impftouristen aus Südamerika

Wo das Misstrauen am größten ist, schnellen seit Juni die Neuinfektionen und die Covidbedingten Krankenhausaufenthalte wieder hoch. Statt 133 Neuinfektionen pro Woche Mitte Juni finden die Teststellen in der Stadt Mitte Juli 438 pro Woche in New York. Die aggressive Deltavariante ist für die Mehrheit der neuen Infektionen verantwortlich. „Jetzt ist eine besonders gefährliche Zeit, nicht geimpft zu sein“, sagt der Gesundheitsbeauftragte der Stadt, Dr. Dave Chockshi. Er fleht die NewYorker an, sich impfen zu lassen. Anders als in San Francisco will Bürgermeister Bill de Blasio keine Impfpflicht für die 400.000 Beschäftigten seiner Verwaltung einführen. In der kalifornischen Stadt müssen Beschäftigte in sensiblen Bereichen wie Krankenhäusern, Gefängnissen und Altersheimen bis Mitte September geimpft sein.

Statt der New Yorker nehmen Touristen aus Lateinamerika die Impfzentren der Stadt in Anspruch. Auf Twitter hat Bürgermeister de Blasio sie eingeladen: „Die Impfung und die Museen sind gratis.“ Der Impftourismus ist ein Trend für jene, die es sich leisten können. Sie bekommen Johnson & Johnson, weil dafür keine zweite Impfung nötig ist. Flugtickets aus Mexiko-Stadt nach New York kosten jetzt 1.000 Dollar. Auch die Flugpreise von Bogotá und anderen lateinamerikanischen Metropolen nach New York haben sich verdoppelt.

„Zu Hause hätte ich noch wochenlang warten müssen“, sagt Luis. Der 27-jährige Arzt aus Mexiko-Stadt ist zusammen mit seinem bereits geimpften Onkel und dessen Ehemann José, der auch Impftourist ist, nach New York gekommen. An ihrem ersten Tag in New York haben Luis und José ihre Impfung bekommen. „Es war sehr einfach“, sagt Luis, „unbürokratisch“. An ihrem zweiten Tag in der Stadt beginnen sie ihr touristisches Programm.

Die New Yorker sind nicht mehr unter sich wie in den gespenstischen Monaten des letzten Jahres, als ununterbrochen die Sirenen von Krankenwagen durch die Stille peitschten. Und als an manchen Tagen 500, an anderen 800 Menschen in der Stadt an dem Virus starben. Sie haben ihre Masken fallen gelassen – außer in den Bussen und der U-Bahn, wo weiterhin eine Tragepflicht gilt.

Die sechs Fuß langen roten Pfeile, die angezeigt haben, wie groß der Abstand zwischen zwei Personen sein muss, sind nur noch Erinnerungsstücke. Der neuerdings empfohlene Sicherheitsabstand beträgt drei Fuß, aber die Direktoren der Schulen, die im September wieder aufmachen, haben bereits klargemacht, dass sie nicht genügend Platz für drei Fuß Abstand zwischen den Kindern haben. Die Museen sind geöffnet. Die Jazzkonzerte und die Shakespeare-Aufführungen unter freiem Himmel haben wieder begonnen. Und die Theater am Broadway wollen im September zurückkommen.

Nachdem im letzten Jahr Zigtausende die Stadt verlassen hatten, standen zahlreiche Wohnungen leer. Mietinteressenten wurden umworben wie seit Generationen nicht mehr. Hausbesitzer und Makler lockten mit Gratismonaten und Renovierungen, sie waren öfter bereit, zu verhandeln. Die Stadt füllt sich wieder und die Mieten sind erneut auf dem rasanten Weg nach oben.

Hat die postpandemische Ära begonnen? Der Leerstand vieler Geschäfte war schon lange vor der Pandemie ein New Yorker Problem. In den vier Jahren nach 2010 stiegen die Gewerbemieten in den begehrtesten Stadtteilen von Manhattan um fast 90 Prozent. Zugleich verlagerte sich das Geschäft zunehmend auf den Onlinehandel. Zwischen den luxuriösen Boutiquen an der Upper East Side finden sich in manchen Blöcken vier und mehr verlassene Läden. Kleine Geschäfte, aber auch nationale Ketten haben aufgegeben.

Hart getroffen hat es auch die Tourismusbranche. Statt der 67 Millionen Besucher von 2019 werden in diesem Jahr nur 36 Millionen nach New York kommen, prognostiziert Jan Freitag, der für die Informationsagentur STR das Gastgewerbe analysiert. Er ist sicher, dass die Touristen zurückkommen werden. Aber er glaubt, dass die Tourismusindustrie mehrere Jahre brauchen wird, um die Krise zu überwinden. Berücksichtigt man die vielen immer noch geschlossenen Hotels, kommt man auf eine Belegungsrate von nur 48 Prozent. Das senkt die Übernachtungskosten in New York auf unter 200 Dollar pro Zimmer. Aber es drückt zugleich auf den Arbeitsmarkt.

In den Restaurants finden sie kein Personal

Im März vergangenen Jahres verloren mehr als 600.000 New Yorker auf einen Schlag ihre Jobs. Bis Juni war fast jeder fünfte New Yorker arbeitslos. Die Arbeitslosenquote in der Stadt beträgt immer noch rund 10 Prozent. Sie ist doppelt so hoch wie vor der Pandemie und liegt weit über dem nationalen Durchschnitt von gut 5 Prozent.

Barbesitzer und Hoteliers suchen trotzdem vergeblich nach Personal. Vor der Pandemie kamen viele, die im Gastgewerbe gearbeitet haben, mit Mindestlohn und Trinkgeld knapp über die Runden in der teuersten Stadt der USA. Nach dem Wegfall von beiden blieb vielen nur, zurück zu Familienangehörigen aufs Land zu ziehen. In den Monaten der Arbeitslosigkeit konnten sie über Dinge nachdenken, für die im New Yorker Alltag wenig Zeit bleibt: Familie. Lebensqualität. Krankenversicherung. Für die Eltern unter ihnen kommt hinzu, dass ihre Kinder weiterhin zu Hause sind. Das ist mit geregelten Arbeitszeiten in Online-Lagerhallen, mit Lieferantenjobs auf Abruf und mit Heimarbeit leichter vereinbar als mit Nachtarbeit.

„Wer in New York arbeiten will, findet etwas“, sagt Fathi: „aber das Geschäft ist extrem schleppend.“ Er ist vor 13 Jahren aus Ägypten in die USA gekommen. Vor der Pandemie verkaufte er Hot Dogs, jetzt Softeis an Touristen. Ohne Hilfe aus Washington hätte Fathi die Pandemiemonate nicht überstanden. Die Regierung schickte ihm drei Konjunkturschecks und stockte sein wöchentliches Arbeitslosengeld auf. Anderen New Yorkern half sie mit vorübergehendem Mieterschutz, um Räumungen und Massenobdachlosigkeit zu verhindern. Mit Joe Biden im Weißen Haus kam zudem der American Rescue Plan. Die Stadt bekommt eine 16-Milliarden-Dollar-Konjunkturspritze aus Washington. Ende Juni verabschiedete der Stadtrat ein Budget von 99 Milliarden Dollar, das größte der New Yorker Geschichte.

New York wird in öffentliche Universitäten, in Schulen und in Kindergärten investieren. Auch ein Teil der Privatleute in New York hält mehr Geld in den Händen. Das sind einerseits die laut Forbes 118 Milliardäre, deren Vermögen in der Pandemie um 44,9 Milliarden Dollar gestiegen ist. Sie haben von den Höhenflügen der Börse profitiert. Während weite Teile der realen Ökonomie am Boden lagen, spekulierten sie erfolgreich, dass der Aufschwung kommen würde, sobald die Beschränkungen enden. Einige haben außerdem mit dem Höhenflug einzelner Branchen wie dem Onlinehandel verdient.

Auch die Mittelschicht verfügt über mehr Kaufkraft. Dafür sind nur zum kleinen Teil staatliche Hilfen verantwortlich. Es war im zurückliegenden Jahr einfach schwierig, Geld auszugeben. Im Juni, als das wieder ging, stiegen die Ausgaben der Konsumenten in New York auf einen fast 10 Prozent höheren Stand als direkt vor der Pandemie.

Wer muss ins Büro zurückkommen?

Die eigentlichen postpandemischen Auseinandersetzungen beginnen gerade. Bei Hunderttausenden Büroangestellten, die in den zurückliegenden 15 Monaten von zu Hause gearbeitet haben, fällt früher oder später die Entscheidung, ob sie in die Innenstadt zurückkehren. Bislang bestehen nur Banken und Immobilienunternehmen darauf. „Wer in New York bezahlt werden will, muss in New York sein“, hat ein Chefökonom bei Morgan Stanley bestimmt. Die einflussreiche Unternehmergruppe Partnership for New York City schätzt, dass langfristig nur 62 Prozent der Büroangestellten zurückkommen werden. Wenn das geschieht, werden auch die letzten Cafés, Friseursalons und Nagelstudios in Midtown und dem Financial District verschwinden.

Auf die Frage, wie der freiwerdende Raum genutzt werden könnte, gibt es bislang keine verbindlichen Antworten. Wohnraum ist Mangelware. Die Umwidmung von Bürotürmen, in denen die meisten Arbeitsplätze kein natürliches Licht haben, in Wohnungen wäre nicht einfach. Zumal auch das New Yorker Raumordnungsrecht streng zwischen gewerblichen Flächen und solchen für Wohnraum unterscheidet.

In der Stadt kommt es zu neuen Verteilungskämpfen. Während der Pandemie haben Restaurants auf die Bürgersteige expandiert und sie mit Strukturen aus Holz, durchsichtigem Plastik und Metall zugebaut. Die Stadt genehmigte sie als Provisorien für eine nie dagewesene Krise. Nachdem die Restaurants ihre Innenräume wieder nutzen dürfen, hat Bürgermeister de Blasio ihre Sondergenehmigungen verlängert, um den Restaurants zu helfen. Nicht alle New Yorker sind glücklich darüber. „Dies ist nicht Paris“, schimpft eine Anwohnerin bei einer lärmigen Bürgerversammlung in dem Bohemeviertel East Village. Andere Teilnehmer beklagen Lärm und Alkohol in ihren zuvor nachts ruhigen Straßen.

Im West Village protestieren Anwohner gegen Partys, gegen Musik und gegen nächtliche Tänze im Washington Square Park, der von bürgerlichen Wohnhäusern und Gebäuden einer Privatuniversität umgeben ist. In der Pandemie machten Jugendliche aus allen Stadtbezirken den Park zu einem Treffpunkt. Die Polizei hat ihn nach den Protesten nachts gesperrt.

Diese Konflikte dringen nicht in die Idylle auf 335 Metern Höhe, wo jene, die sich die fast 40 Dollar Eintrittsgeld für die Aussichtsplattform über den Hudson Yards leisten können, ihr postpandemisches Leben feiern. Für die frisch verliebten Vee und Clarissa aus Philadelphia ist es die erste gemeinsame Reise. Ein Tagesausflug. Während der Pandemie hat Vee, die bei einer Bank arbeitet, eine Scheidung hinter sich gebracht: „Wir waren beide ununterbrochen zu Hause und sind uns auf die Nerven gegangen.“ Clarissa, die in einem Lebensmittelladen arbeitet, galt während der Pandemie als „unersetzliche Beschäftigte“. Sie hat nie mit der Arbeit ausgesetzt. Vee hat mit ihren vierjährigen Zwillingen ein Kinderbuch geschrieben. Clarissa hat „ein paar Pfund zugenommen“.

Unter den vielen auf der Aussichtsplattform, die ihre Gesichter zeigen, fallen zwei Frauen auf, die Maske tragen. Warum? „Weil niemand weiß, ob und wann die nächste Welle kommt.“

Die beiden Freundinnen sehen sich zum ersten Mal seit 16 Monaten wieder in persona. „Ich bin so glücklich, dass wir noch da sind“, sagt Dana. Im Frühling 2020 hat sie zwei Neffen verloren. Die beiden – 39 und 40 Jahre jung – gehören zu den 33.000 Pandemietoten der Stadt. Sie haben sich mit dem Virus angesteckt, bevor sie wussten, dass es schon in New York war. Beide hingen lange an Atemgeräten. Beide mussten in Massengräbern beigesetzt werden, weil so viele gleichzeitig starben, dass die Bestattungsunternehmen nicht nachkamen. Dana und ihre Freundin sind gekommen, um zu sehen, worauf ihnen der Blick so lange verwehrt war: ihre Stadt vom Hudson River über die Freiheitsstatue und den Hafen bis zur Küstenlinie von Brooklyn. Sie sagen: „Alles ist teurer geworden. Ansonsten hat sich nichts verändert.“

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10 Kommentare

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  • Wie die Entwicklung sein wird, kann niemand genau vorhersagen, der Impfstoff jedenfalls ist reichlich da.



    Viele denken aber lieber Quer und lassen sich nicht impfen, das muss dann auch jeder für sich ausmachen, nur die PCR Tests würde ich denen ab Herbst nicht mehr bezahlen.



    Viele regen sich über das Tragen der Maske auf, aber Impfen lassen?



    Beispiel: Bei jeder Grippewelle hauen sich die Leute haufenweise nutzlose Medikamente rein, Hauptsache die Kopf und Glieder schmerzen sind unterdrückt, man geht dann natürlich zur Arbeit, damit auch die Kollegen was davon haben (geteiltes Leid ist halbes Leid), aber den Impfstoff verteufeln.

  • Hier noch die Daten zu den aktuellen Inzidenzzahlen in den USA:

    www.worldometers.i...avirus/country/us/

    (Daten der John Hopkins Universität)

    Es ist klar zu sehen, dass es eine neue Welle gibt. Und wir sehen ja auch hier schon wieder einen Anstieg der Todesopfer. Die Schutzwirkung der Impfungen ist immer nur proportional zu den Fallzahlen, während der Anstieg ohne Maßnahmen mit Sicherheit exponentiell verlaufen kann, und wir wissen, dass er ohne Maßnahmen extrem hohe Werte erreicht. Ein proportionaler Anteil von extrem hohen Inzidenzzahlen bedeutet aber wieder viele Tote und sehr viele Long Covid Kranke.

    Dass wir damit zulassen, dass Covid-19 endemisch wird, wird auch folgenschwere Konsequenzen haben für Bereiche und unsere Beziehungen zum Rest der Welt.

    Und das betrifft nicht nur Tourismus. Die deutsche Industrie kann sich schon mal darauf einstellen, dass Geschäftsreisen nach China und in andere wirtschaftlich wichtige asiatische Länder möglicherweise nur noch mit zweiwöchiger Quarantäne möglich sein werden (oder im Falle Chinas, schon sind).

    • @jox:

      Auch in China wird das Virus endemisch werden. Das steht überhaupt nicht in Frage.



      Die einzige Möglichkeit, das zu verhindern, wäre im Januar letzten Jahres gewesen.

      Aber auch das ist unklar, da ein Virus, welches die Barriere zum Mensch einmal durchbrochen hat, das auch wieder tun kann.



      Bleiben wir mal bei der gängigen Theorie der Zoonose mit vermutlich Fledermäusen o.ä. als Ursprungshabitat des Virus.



      Ohne Zwischenwirt kommt das Virus wohl nicht zum Menschen. Man hat aber bislang keinen zwischenwirt nachweisen können.



      Hier wäre die Frage, ob der Schritt zum Zwischenwirt oder der Schritt vom Zwischenwirt zum Mensch der schwierigere war.



      Im ersteren Fall würde das Virus relativ schnell wieder den Weg zum menschen finden und eine Auslöschung wäre nicht lange erfolgreich.

      Davon abgesehen ist das Virus in den meisten Ländern so gut wie endemisch. Teile von Ostasien und Australien/Neuseeland bilden hier die Ausnahme.

      Dort müssen so schnell wie möglich wirksame Impfstoffe hin, nirgends sind diese wichtiger.

      • @Co-Bold:

        "Ohne Zwischenwirt kommt das Virus wohl nicht zum Menschen."

        Tollwut-, Ebola- und Marburgviren haben exakt das gemacht. Man kann sogar verallgemeinern: wenn irgendein Wildtier seine Viren direkt auf Menschen überträgt, ist es in der Regel eine Fledermaus.

        Für Coronaviren im Speziellen kann man sich auch mal Folgendes durchlesen:

        www.ncbi.nlm.nih.g...ticles/PMC6178078/

      • @Co-Bold:

        > Auch in China wird das Virus endemisch werden. Das steht überhaupt nicht in Frage.

        Da haben sie eine bessere Kristallkugel als ich :). Das Virus wird zunächst mal da endemisch, wo man es lässt. Mit der Verbreitung der Delta-Variante ist die Eindämmung sicherlich schwieriger geworden, aber die gab es im Januar 2020 noch nicht.

        > Bleiben wir mal bei der gängigen Theorie der Zoonose mit vermutlich Fledermäusen o.ä. als Ursprungshabitat des Virus.



        >



        > Ohne Zwischenwirt kommt das Virus wohl nicht zum Menschen. Man hat aber bislang keinen zwischenwirt nachweisen können.

        Da gibt es eine Hypothese von Christian Drosten, dass die Zwischenwirte Tiere in Pelztierfarmen in China waren. Das ist durchaus plausibel, wir wissen dass SARS-CoV-2 Pelztiere befällt, und in China gibt es solche Farmen:

        taz.de/Ausgangspun...5773248&s=Drosten/

        taz.de/Corona-in-Nerzfarmen/!5724003/

        www.republik.ch/20...r-kam-dieses-virus

        > Im ersteren Fall würde das Virus relativ schnell wieder den Weg zum menschen finden und eine Auslöschung wäre nicht lange erfolgreich.

        Wir haben in Deutschland andere gefährliche Viren bzw Erkrankungen durch Impfung zur Ausnahme gemacht oder in bestimmten Fällen ganz ausgelöscht: Pocken, Polio, Diphterie, Tetanus, Cholera, Tollwut.

        Bei Covid-19 wird wird es offensichtlich komplizierter. Trotzdem sehe ich nicht, dass es erstrebenswerter wäre, mit Covid-19 zu leben, als es wäre mit Pocken zu leben.

        > Teile von Ostasien und Australien/Neuseeland bilden hier die Ausnahme.

        Diese Ausnahme zeigt aber, dass mindestens die Unterdrückung faktisch geht. Dass wir hier z.B. keine Einreisequarantäne für Touristen nutzen, ist eine gesellschaftlich-politische Entscheidung, für die wir schon jetzt m.E. sehr teuer bezahlen.

  • Dieser Artikel vermittelt, dass mit den Impfungen das normale Leben zurück kehrt.

    Dies geht seit der Delta Variante aber nur mit sehr hohen Impfquoten, die weder in anderen Teilen der USA noch in Deutschland bisher erreicht sind und auch nicht realistisch zu erreichen sind. Das liegt daran, dass mit der hohen Basisreproduktionszahl alias R0 der Delta Variante, die zwischen 5 und 8 liegt, und der niedrigen Effektivität der Impfstoffe gegen leichte Infektion - die einigen Studien zufolge das Ansteckungsrisiko um 88% reduzieren, zufolge von anderen Studien jedoch nur um 64% - epidemische Wellen immer noch möglich sind:

    unchartedterritori...verything-you-need

    Und in einer solchen Welle sind wir bereits, denn wir haben einen R-Faktor größer 1 und die Inzidenzen steigen von Woche zu Woche um rund 50% . Wir werden, wenn alles so bleibt, wieder sehr hohe Inzidenzen haben bevor 85% oder besser 90% der Menschen geimpft sind. Die Geimpften werden immer noch weitgehend (aber nicht perfekt) vor schwerer Erkrankung geschützt sein, die nicht geimpften haben eher ein höheres Risiko (denn die Delta-Variante scheint mehreren Studien zufolge auch eine schwerere Erkrankung zu verursachen, hier ist die Lage aber noch nicht so ganz klar).

    Die jüngeren Menschen, bei denen die Impfquote geringer ist, haben ein geringeres Risiko zu schwerer Erkrankung, aber immer noch ein Risiko von Pi mal Daumen 10% an Long Covid zu erkranken.

    Die Frage ist, was wir in dieser Situation wollen - zu einer Normalität zurück kehren, bei der viele Mitmenschen noch langfristig erkranken, und in der Corona endemisch ist, oder mit Hilfe von fortgesetzten Schutzmaßnahmen und auch der Impfungen (die den R-Wert ja ebenfalls, und sehr günstig reduzieren) noch möglichst vielen Menschen die Gelegenheit zu geben sich impfen zu lassen?

    Dieser kollektive Schutz kann nicht ewig dauern, aber jetzt erscheint es mir noch zu früh, die Impfungen sind gerade erst verfügbar.

    • @jox:

      "Die jüngeren Menschen, bei denen die Impfquote geringer ist, haben ein geringeres Risiko zu schwerer Erkrankung, aber immer noch ein Risiko von Pi mal Daumen 10% an Long Covid zu erkranken."

      Mehr. Die "10%" sind nur die, die so schwer geschädigt sind, dass es jeder Hausarzt mit Blutdruckmessgerät und Stethoskop diagnostizieren kann. Wo also Reha oder Frühverrentung unausweichlich ist.

      Die Uniklinik Ulm fand persistierende Schäden an Lunge und Herzkreislaufsystem bei rund 20% der "Genesenen".

      Untersuchungen zu Hirnschäden sind am schwierigsten und da gibt es noch keine belastbaren Daten. Bislang wenig Erkenntnisse gibt es auch zu Schäden an Nieren, Bauchspeicheldrüse, Hoden, Muskeln etc. Also im Gegensatz zur Lungenfibrose die Autoimmunschäden als Folge der Endotheliitis - das "Long Covid/Post Covid" im eigentlichen Sinne.

      Alles in allem kann man bei mindestens 25-30%, vielleicht über 50% der "Genesenen" von Schäden ausgehen, die zu einem signifikanten Verlust an Lebensqualität und Arbeitsleistung führen. Insbesondere die Hirnschäden ("brain fog"/CFS, Depressionen und andere psychische Störungen, Amnesie und vorzeitige Demenz etc) sind problematisch, da sie nur sehr begrenzt heil- oder therapierbar sind.

    • @jox:

      Leider wollen sich einige Menschen nicht impfen lassen. Alle anderen können das derzeit. Die Geschwindigkeit der Impfungen hängt bei uns nicht mehr von der Verfügbarkeit ab, sondern nur noch von der Bereitschaft.



      Ende September werden alle Menschen geimpft sein, die das wollen.

      • @Co-Bold:

        > Leider wollen sich einige Menschen nicht impfen lassen.

        Da gibt es einerseits einen kleinen Teil harte Verweigerer aber andererseits auch einfach Leute, die sich nicht trauen.

        Ist es denn ihrer Meinung nach die Lösung, die halt krank werden zu lassen? Die Folgen tragen sicher sie selbst am meisten, aber treffen auch wieder andere mit.

        Ich bin nicht für Zwang beim Impfen.

        In anderen Bereichen sagen wir aber auch nicht einfach: "Der/die will halt nicht", und lassen Leute dann ins offene Messer laufen. Sicherheitsgurte im Auto sind verpflichtend. Masernimpfungen sind verpflichtend. Ich darf nicht mein Haus ohne elektrische Sicherungen bauen, Treppen ohne Geländer, oder ein Auto ohne Sicherheitstechnik kaufen, nur weil das billiger wäre. Ich darf auch nicht auf einer Baustelle ohne Helm auf dem Gerüst arbeiten und allgemein in keiner gefährlichen Arbeitsstelle ohne vorgeschriebene Schutzausrüstungen.

        Meiner Meinung nach muss das Ziel erst mal sein, die Unentschiedenen und Ängstlichen zu überzeugen. Und die Impfungen für alle einfach zugänglich zu machen. Ich finde, hier wurde noch nicht genug getan.

        • @jox:

          Dazu kommt, dass wir alle die kostspieligen Folgen von Long Covid zu tragen haben werden, egal ob geimpft oder nicht, über die Krankenversicherungsbeiträge, denn die entstehenden Kosten werden natürlich von uns Bürgern aufgebracht werden.

          Ich bin mir durchaus bewusst, dass z.B. die Industrie an schneller Öffnungen interessiert ist, das spart Firmen wie Volkswagen und Siemens sicher Geld, aber ich hätte nichts davon gehört, dass sie im Gegenzug zum Ausgleich einen höheren Anteil an der Krankenversicherung der Arbeitnehmer tragen will. Oder gewillt ist, Long Covid pauschal als Berufskrankheit anzuerkennen. Wenn Long Covid tatsächlich kein nennenswertes Risiko ist, sollte Letzteres doch ein Leichtes sein.