Tarantino-Film als Buch: Fan Fiction
Regisseur Quentin Tarantino debütiert als Romanautor. Gegenüber der Filmvorlage zeigt „Once Upon a Time in Hollywood“ interessante Abweichungen.
Da nahen sie sich wieder, schwankende Gestalten: Rick Dalton, Fernsehschauspieler, der es zum richtigen Filmstar nicht ganz geschafft hat, daneben Cliff Booth, Stuntman, Kriegsheld und Mörder, Daltons Fahrer und Bro, genauer und mit den Worten Tarantinos gesagt: „mehr als ein Bruder und ein bisschen weniger als eine Ehefrau“.
Wir schreiben, noch immer und wieder, das Jahr 1969, der Ort ist Hollywood, die Zeit die des Märchens, jedenfalls sagt das der Titel, auch er ist, wie er war, denn er lautet: „Once Upon a Time … In Hollywood“.
Es war einmal also, jetzt aber: Es war zweimal, denn Rick und Cliff sind nun auch noch die Helden eines Romans, den Quentin Tarantino verfasst hat. Figuren der Fiktion, die der Originalfiktion des Films hinterherschreibt, also nicht nur auf den ersten Blick das, was im Englischen „Novelisation“ heißt und eine traditionsreiche, wenngleich nicht wirklich ehrwürdige Angelegenheit ist.
Quentin Tarantino: „Once Upon a Time in Hollywood“. Aus dem Amerikanischen von Stephan Kleiner und Thomas Melle. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 416 Seiten, 25 Euro
„Novelisations“ sind Romanversionen von Filmen, in denen die Fans den Plot und die Figuren in literarischer Form noch einmal erleben und sich ins Bücherregal stellen können. Ein Genre fernab jeder künstlerischen Idee von Originalität, rein der kapitalistischen Logik der Mehrfachverwertung geschuldet. In der Regel also in jeder Hinsicht belangloser Gebrauchstext, Fan Fiction, die sich nur nichts an Abweichung herausnehmen darf.
Was nichts daran ändert, dass es wahre Könner selbst in diesem Subgenre gibt, die auch als Genre-Autoren eigenen Rechts etwas taugen, etwa Alan Dean Foster (mit seinen „Alien“-Romanen) oder Max Allan Collins („CSI“, „Bones“)
Tarantino ist primär Fan, Nerd und Spezialist
Es ist dennoch mehr als außergewöhnlich, dass der Autor und Regisseur eines Films hinterher selbst eine Romanfassung vorlegt. Noch außergewöhnlicher, wenn dabei der literarische Erstling eines Quentin Tarantino herauskommt.
Obwohl das Ganze zu ihm natürlich wie zu kaum einem anderen passt, zu Tarantino als Meister des Sekundären, der bis heute primär Fan, Nerd, Spezialist ist, einer, der nimmt und sich aneignet, was er liebt, und der ganz besonders eben gerade das zu lieben bereit ist, was in offiziellen Geschichtsschreibungen verachtet wird und als zweit- oder drittrangig gilt: Werke niederer Genres, Pulp, Exploitation, kein Zufall, dass er gerade in einem Podcast mit zwei jüngeren Nerds vier Stunden lang Schätze der Public Domain pries, also Filme, an denen niemand mehr Rechte hält und die man darum überall ganz legal kostenlos findet.
Also bei Lichte besehen passt es schon wieder, dass Tarantino seinen ziemlich gefeierten jüngsten Film nun selbst novelisiert hat. Im amerikanischen Original macht das Buch seinen Status als etwas zweifelhafter literarischer Nachkomme des zugrundeliegenden Films sehr deutlich.
Es ist billig gemacht und kostet auch wirklich nicht viel, auf dem Cover sieht man Stills von Leonardo DiCaprio als Rick Dalton, Brad Pitt als Cliff Booth und Margot Robbie als Sharon Tate. Sprachlich ist das Buch durchaus schlicht. Da Tarantino, wie man weiß, anders kann, ist auch das volle Absicht.
Deutsche Ausgabe nicht billig genug
Auf diese konzeptuell konsequente Bescheidenheit hat der deutsche Verlag leider verzichtet. Keine Bilder, teures Hardcover, außerdem von Thomas Melle und Stephan Kleiner prominent übersetzt. Krasser Bruch mit dem Tarantino-Spirit also, darin sehr deutsch, muss man sagen: Hier gilt nur das, was auch so tut, als gälte es was.
Bei Tarantino dagegen ist immer alles aus Pulp gebaut, aus Mustern und Formen der Exploitation und Groschenromane, die niedere Instinkte befriedigen und kurzen Prozess machen, mit Liebe, Hass, Gewalt, Mord.
Besonders problematisch und besonders interessant war das in Tarantinos Naziploitation-Anverwandlung „Inglourious Basterds“, die sich erkühnte, die Geschichte per Flammenwerfer und Pulp dreist umzuschreiben.
Der Flammenwerfer kehrt in „Once Upon a Time in Hollywood“ wieder, und auch die Umschreibung der Realität hatte Tarantino wieder gewagt: Die Geschichte läuft zu auf den 8. August 1969, und damit auf den historisch realen Mord an Sharon Tate, Abigail Folger, Jay Sebring und Wojciech Frykowski. Und dann dreht Tarantino in einer drastischen Explosion der Gewalt die historische Wirklichkeit wieder um: Triumph der mythopoetischen Kraft des Kinos.
Tarantino traut Literatur nicht viel zu
Der Roman verfährt mit diesem historischen Faktum wiederum anders. So viel sei verraten, denn es zeigt sich daran, dass Tarantino der Literatur, oder jedenfalls sich selbst als literarischem Autor, diese mythopoetische Kraft der heroischen Umschrift nicht zutraut.
Auch andere spektakuläre Szenen fallen schlicht aus, etwa der rauschende Auftritt von Tate, Polanski und Sebring auf einer Party im Playboy Mansion. Das fällt umso mehr auf, als das Buch in sehr vielen Szenen sehr nahe am Film bleibt.
Dass das Geschehen, das in der historischen Wirklichkeit des Jahrs 1969 spielt, im Präsens erzählt wird, macht die Abkunft vom Drehbuch und dessen szenischem Denken sehr deutlich. Die Dialoge sind auch teils wörtlich die Dialoge des Films.
400 Seiten umfasst der Roman, manches, was hinzukommt, ist reine Amplifikation, also Ergänzung, die im Wesentlichen nichts ändert. Schon Tarantinos Filme haben die selbstverliebte Unart, immer etwas zu sehr in die Breite zu gehen, diese Untugend wird im Buch noch verschärft.
Sehr ausführlich werden die Plots der teils realen, teils erfundenen Serien, in denen Rick Dalton mitspielt, nacherzählt. Größer angelegt als im Film sind die Rollen von Sharon Tate und vor allem Trudi Frazer, des achtjährigen Kinder-Ko-Stars von Dalton. Sie hat, mit ihm, die letzte Szene des Buchs. Und es wird von ihrer weiteren Karriere berichtet, bis zur Oscar-Nominierung für eine Rolle in Quentin Tarantinos – bislang jedenfalls: fiktiver – Neuverfilmung von John Sayles’ Drehbuch zu „Die Frau in Rot“.
Hommage an Aldo Ray
Es kommen Anekdoten und Fakten zu real existierenden Schauspielern dazu, Dramen von Abstieg und Mediokrität, wie auch die Geschichte Rick Daltons eine ist: etwa eine lange Hommage an den dem Alkohol verfallenen Aldo Ray, der in den Fünfzigern noch ein Star neben Katherine Hepburn und Anne Bancroft war, in den Siebzigern aber nicht nur, wie Rick Dalton, in europäischen Spaghetti-Western, sondern aus Geldnot gar in einem schlechten Pornofilm landet.
Insgesamt sind die historische Hollywood-Realität und die Tarantino-Fiktion noch einmal dichter verwoben, manchmal klingt der Roman eher wie ein von einem Kenner verfasstes Sachbuch. Nur eine Szene, nämlich der im Film nur angedeutete Mord Cliff Booths an seiner Frau, fällt in ihrer seltsamen Mischung aus Drastik, Grauen, Komik und Sentimentalität völlig heraus. Ob das nun bester oder schlechtester Tarantino ist, wird Geschmackssache bleiben.
Und dann war da im Film ja noch die eine Sequenz, die dem Regisseur wegen ihres rassistischen Untertons einen veritablen Shitstorm und Reputationsschaden eingebracht hat. Die Szene, in der Bruce Lee als Großmaul erscheint, dem Cliff Booth im Zweikampf zeigt, wo es langgeht.
Sie ist auch im Buch vorhanden, aber Taranatino, der um politische Korrekturen sonst wenig besorgt ist, unternimmt den Versuch der Reparation durch Kontextualisierung. Er würdigt Bruce Lee als Kämpfer und Star, erklärt, dass er aufgrund fieser Stunt-Aktionen am Set zunächst einen sehr schlechten Ruf hatte – und rehabilitiert ihn, indem er den Zweikampf mit Booth auf eine Weise hoch auflöst, wie das sonst nur der Thrillerautor Lee Child macht.
Die nächste Runde, zu der es nicht kommt, ginge, wird suggeriert, vermutlich an ihn. Sodass am Ende das gerade in seinen Abweichungen gelungene Remake des Films als Roman zum Schauplatz einer Wiedergutmachung wird.
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