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„Man sieht den Emanzipationsgedanken“

Dem maroden Haus Poelzig in Westend droht der Abriss. Eine Initiative will das verhindern

Jan Schultheiß

Kunsthistoriker und Stadtplaner;

im Bundesinnenministerium ist er zuständig für europäisches Baukulturerbe; engagiert sich ehrenamtlich in der Initiative zum Erhalt des Hauses Poelzig.

Interview Waltraud Schwab

taz: Herr Schultheiß, Sie rufen zu einer Demonstration vor der Villa Poelzig auf. Warum?

Jan Schultheiß: Weil wir auf den drohenden Abriss des Hauses aufmerksam machen und ihn verhindern wollen. Es ist das einzige Gebäude, für das Marlene Moeschke-Poelzig, die von 1894 bis 1985 gelebt hat, alleine verantwortlich war. Sie war Architektin und Bildhauerin, eine wichtige Gestalterin des frühen 20. Jahrhunderts, zweite Frau des berühmten Architekten Hans Poelzig, der etwa das Haus des Rundfunks entworfen hat. Damals war das eine Ausnahme, dass Frauen ihre architektonischen Entwürfe auch bauen konnten. Und das hat sich 100 Jahre später nicht grundlegend verbessert. Das Haus Marlene Poelzig ist ein bemerkenswertes Gebäude, mit dem Garten zusammen ein Gesamtkunstwerk. Das Gebäude wurde damals zu einem Treffpunkt in Westend. An diese Tradition möchten wir anknüpfen.

Der Grundriss soll moderne Ideen der Weimarer Zeit widerspiegeln. Wie?

Man sieht im Grundriss den Emanzipationsgedanken, weil Marlene Moeschke-Poelzig etwa für sich und ihren Mann Atelierräume geschaffen hat. Und die Kinder hatten gleichberechtigt einen abgeschlossenen Bereich mit Spielzimmer und Plansche im vorgelagerten Außenbereich. Das war für damals wirklich neu.

An der Mauer wurde auf einer Gedenktafel nur an Hans Poelzig erinnert. Er war Jude und starb noch vor dem Krieg.

Inzwischen hängt die Tafel da nicht mehr. Es ist nicht klar, wer sie abgehängt hat. Aber bei der Demo wird als künstlerische Intervention eine neue Gedenktafel enthüllt, die deutlich macht, dass das Haus von Marlene Moesch­ke-Poelzg gebaut wurde. Anders als zuvor wird nun aber erwähnt, dass sowohl Marlene als auch Hans hier lebten.

Wie ging es nach dem Tod von Hans Poelzig weiter?

Marlene hat das Atelier noch eine Weile weitergeführt, musste es aber 1937 auf Druck der NSDAP auflösen und verkaufte dann das Haus. Einer der nächsten Besitzer war Veit Harlan, der dort, so wird gesagt, auch die Uraufführung seines Hassfilms „Jud Süß“ gezeigt habe. Vermutlich stimmt das so nicht.

Vor knapp eineinhalb Jahren gab es eine Petition zum Erhalt, daraus ist Ihre Initiative entstanden. Damals war klar, das Denkmalamt verweigert Denkmalschutz.

Seit den 1990er Jahren bis zuletzt sagt das Landesdenkmalamt, dass weder Haus noch Garten unter Denkmalschutz zu stellen sind. Wegen der vielen Umbauten, die am Haus geschehen sind, und wegen der Veränderungen im Garten. Deshalb gab der Bezirk die Abrissgenehmigung. Das Haus wurde 2017 an einen Investor verkauft, der dort Wohnungsneubau realisieren will. Wir haben versucht, mit dem Eigentümer in Kontakt zu kommen. Im November ist uns das einmal gelungen. Er sieht den bau- und kulturhistorischen Wert weniger. Aber er wäre vermutlich schon bereit, in eine Verkaufssituation zu treten, wenn die Konditionen für ihn stimmen.

Wer soll das Haus kaufen?

Zum Beispiel der Verein, den wir gründen wollen, oder ein anderer Träger. Aber hier stehen wir mit unseren Planungen noch am Anfang. Das Problem ist: Das Dach ist inzwischen komplett offen. Die Plane, die bis vor einigen Monaten da war, ist weg. Einen weiteren Winter wird das Haus nicht überstehen. Deshalb machen wir die Demonstration.

Demo für den Erhalt des Hauses Marlene Poelzig, 18. Juni, 16–18 Uhr, Tannenbergallee 28, S-Bahnhof Heerstraße, Infos: www.hausmarlenepoelzig.de

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