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Radverkehr und KlimaFür 1,5-Grad ist mehr nötig

Gastkommentar von Heinrich Strößenreuther

Klimaziele sind nur mit umfassenden Veränderungen im Verkehr zu erreichen. Für diesen Meilenstein muss sich was an der politischen Stellung des Fahrrads ändern.

Seltener Anblick: eine breite Spur für Radler Foto: Marius Becker/dpa

05.425 Unterschriften hat der „Volksentscheid Fahrrad“ im Juni 2016 beim Senat von Berlin abgegeben und damit Bewegung in der Radverkehrspolitik ausgelöst. In 48 Städten haben Fahrradengagierte per Bürgerentscheid Fahrrad die Radverkehrspolitik so auf die politisch-mediale Agenda gesetzt, dass ein Großteil der Forderungen ohne Urnengang übernommen wurde und die Politik nun liefern muss. Berlin und Nordrhein-Westfalen beschlossen Radverkehrs- und Mobilitätsgesetze auf Landesebene.

Das Verkehrsministerium hat die StVO und den Bußgeldkatalog fahrradfreundlich geändert und dreistellige Millionenbudgets für den Radverkehr freigegeben. Auch die angestammten Verbände von ADFC über den Mobilitätsverband VCD bis zum Deutschen Städtetag und den Deutschen Städte- und Gemeindebund haben ihre Fahrradpolitik angespitzt und trauen sich mehr „pro Fahrrad“.

Heinrich Strößenreuther

ist Umweltak­tivist und hat 2015 den Berliner Volksentscheid Fahrrad initiiert. Er war bis 2015 Mitglied der Grünen und ist seit 2021 CDU-Mitglied.

Gleichzeitig boomt der Radverkehr, ebenso der Umsatz bei den Händlern, die oft nur noch Stammkunden bedienen können. Die Radentscheide haben zwar Hunderte neuer Arbeitsplätze geschaffen – Radverkehrsplaner sind mittlerweile „Mangelware“, Planerinnen erst recht. Gesetze, Programme und Papier sind vorhanden, es fehlt beim tatkräftigen Management von den Spitzen der Exekutive bis zur Umsetzung in den Amtsstuben.

Enttäuschend ist das, was Radelnde wirklich merken. Versprechen wurden kaum umgesetzt. In Berlin etwa wurden gerade mal 25 Kilometer Pop-up-Radwege und gestückelt knapp 10 Kilometer neue Radwege gebaut; dazu kam kaum eine neue, sicherere Kreuzung. Gemessen an dem Geist des Berliner Radentscheids ist das Erreichte in Berlin für die Grünen das, was für die SPD der Bau des Berliner Flughafens war: ein Debakel.

Der Verkehr ist das größte Sorgenkind beim 1,5-Grad-Limit: Die Veränderungen sind nicht dazu geeignet, die Pariser Klimaziele zu erreichen. Wir Direktdemokratinnen hatten anderes erwartet und wollen doch einfach nur sicher und entspannt Fahrrad fahren.

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8 Kommentare

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  • Mit dem Rad in der Stadt fühlt man sich fast immer über ... Radwege wenn es sie gibt sind oft viel zu schmal, verschlungen angelegt und voller Hindernisse.



    Wenn sie besser ausgebaut sind tummeln sich darauf Spaziergänger*innen, Hunde, skater*innen, Roller, usw.



    Wirklich vernünftig mal Strecke zurück legen geht eigentlich gar nicht.



    Schnell umzusetzen und wirklich toll: autofreie Tage, autofreie Zonen - Straße nur für Zweiräder, dann würden bestimmt auch mehr Menschen umsteigen.

  • Schön zu sehen, wie Heinrich Stößenreuter jetzt nach Beginn seiner CDU-Karriere langsam seinen Kurs anpasst: "Das Verkehrsministerium hat die StVO und den Bußgeldkatalog fahrradfreundlich geändert und dreistellige Millionenbudgets für den Radverkehr freigegeben." Heißt: Stößenreuters Parteikollege Scheuer hat megagute Vorarbeit geleistet, aber das böse Land Berlin setzt sie nicht um. Inhaltlich 100 % Kai Wegener, aber kämpferischer formuliert.



    Schon mal drüber nachgedacht, dass die Straßenverkehrsordnung in Punkto Genehmigung von Radwegen das größte Hindernis darstellt, weil immer noch Unfallzahlen dafür belegt werden müssen? Schon mal drüber nachgedacht, dass "dreistellige Millionenbudgets" übersetzt sowas wie "3 Euro pro Bundesbürger" heißt - oder "Insgesamt soviel wie ein Mini-Stück Berliner Stadtautobahn" / "Ein Zehntel Stuttgart 21"?



    Schade, aber gerade für Fahradaktivisten gibt´s kein richtiges Leben im Falschen.

  • Ich als Ganzjahresradfahrer kann mich nur wiederholen: Das Rad ist kein gleichwertiger Ersatz für das Auto in allen Lebens- und vor allem Witterungslagen.Auch n icht in der Stadt.Es ist EIN Baustein der Verkehrswende,neben anderen.Der wichtigste ist der ÖPNV, den man auch gut mit dem auf Platz Zwei stehendem Rad kombinieren/ergänzen kann. Dazu braucht es aber entsprechenden Ausbau.

    • @Mustardmaster:

      Das Outo ist kein vollwertiger Ersatz für ein Fahrrad.

    • @Mustardmaster:

      Sehe ich auch so. In der Kombi ist es eine Alternative aber dafür muss einfach mehr und günstigerer ÖPNV her!

      • @IkM:

        Hm. Ist Auto nicht immer teurer als ÖPNV?

  • Vernünftige Planungen und vor allem Umbauten dauern eben. Kopenhagen, Amsterdam & Co. haben Jahrzehnte Vorsprung, das kann man nicht (mit begrenzten Mitteln) innerhalb von ein paar Jahren aufholen.

    Ende der nächsten Legislaturperiode wird es schon deutlich besser aussehen.

    • @gyakusou:

      Kommt darauf an, wer gewählt wird. Dass die Mittel begrenzt sind, hat ja politische Gründe. Und dass gerade überhaupt was getan wird, liegt ja vor allem daran, dass der Klimawandel Scheuers Bürotür eingetreten hat. Mit unseren inkompetenten Unionspolitikern werden wir auch am Ende der nächsten Legislaturperiode wieder nur das absolute Minimum erreicht haben. Selbstverständlich wird auch da wieder kurz vor den Wahlen ein plötzlich ein bisschen was gemacht (s. Klöckners Vorstoß bei Tiertransporten), da das Gedächtnis derer Wählerschaft bei etwa zwei Monaten liegt (Das Umfragetief aufgrund der zahlreichen, zur Abwechslung offensichtlichen Korruptionsskandale (der Rest ist ja bloß "Lobbyismus")), hat die Union ja bereits wieder verlassen.