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Krieg in ÄthiopienNeuer Rebellenstaat

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Die Aufständischen haben die Region Tigray wieder eingenommen. Diese Wende zeigt, warum Guerilla-Armeen immer wieder erfolgreich sind.

Eine Frau passiert Soldaten der Äthiopischen Regierungsarmee Anfang Mai 2021 Foto: Ben Curtis/ap

E s ist eine dramatische Wende in Afrikas derzeit brutalstem Krieg. Äthiopiens Armee, kampferfahren, hochgerüstet und vom Nachbarn Eritrea unterstützt, muss die Waffen strecken und sich aus der rebellischen Bergregion Tigray zurückziehen. Die dortige ehemalige Befreiungsarmee TPLF, die hier in den Bergen zuhause ist, marschiert triumphal zurück in die Hauptstadt Mekelle ein, die sie vor gut sieben Monaten räumen musste.

Und weitere Städte fallen wie Dominosteine. Äthiopiens Regierung muss um eine Feuerpause betteln, während die Tigray-Führung ungerührt zur Fortsetzung des Kampfes aufruft, „bis unsere Feinde Tigray vollständig verlassen“.

Wieder einmal zeigt sich: Keine konventionelle Armee der Welt kann in schwierigem Terrain gegen eine kollektiv als Feind bekämpfte Bevölkerung bestehen. Guerilla-Armeen haben das immer wieder vorgemacht. Großmächte der ganzen Welt haben viele Tausend Soldaten in Kriegen verheizt, nur um am Ende doch noch die Waffen strecken zu müssen.

In Äthiopien müssten die Regierenden das eigentlich wissen: Tigray-Rebellen erhoben sich schon vor dreißig Jahren erfolgreich gegen die damalige sozialistische Militärdiktatur und übernahmen die Kontrolle über den Vielvölkerstaat Äthiopien, den sie allerdings auf lange Sicht nicht zu beherrschen vermochten. Erst als sie entmachtet und auf ihre Heimat zurückgeworfen waren, konnten sie zu ihren Wurzeln zurückfinden, als bewaffneter Arm einer Bevölkerung statt eines autoritären Zentralstaates.

Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed, 2019 als Friedensnobelpreisträger weltweit bejubelt, steht nun vor den Scherben seiner Politik. Er wollte seine innenpolitischen Gegenspieler mit deren eigenen Mitteln schlagen, nämlich mit Gewalt. Er hat es nicht geschafft. Es ist fraglich, ob er diese Niederlage übersteht. Gleiches gilt für Eritreas Diktator Isaias Afeworki, der fast alle seine militärischen Mittel in den Tigray-Krieg geworfen hat, um sich an der Niederlage im Grenzkrieg von 1998 bis 2000 gegen das damals noch Tigray-geführte Äthiopien zu rächen.

Keine andere Wahl als die Guerilla

Eritreas Politik der verbrannten Erde in Tigray war vor allem Vergeltung für frühere Zerstörungen, aber sie hat nichts erreicht: International wuchs die Empörung über immer neue dokumentierte Kriegsverbrechen; in Tigray blieb den Menschen keine Wahl als die Guerilla. Am Ende hat die brutale Kriegsführung Äthiopiens und Eritreas in Tigray der Guerilla zum Sieg verholfen.

Indem Tigray jetzt mit der Waffe als Rebellenstaat neu entsteht, fordert nun auf dem äthiopischen Staatsgebiet ein neuer De-Facto-Staat den äthiopischen Zentralstaat heraus. Seit Jahrzehnten gibt es Warnungen, mit dem Ende der Militärdiktaturen vergangener Zeiten drohe Äthiopien der Zerfall, so wie einst Jugoslawien. Nie war diese Gefahr realer als heute.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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3 Kommentare

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  • Noch eine gewagte Interpretation (siehe auch Spiegel). Die amerikanische Presse liegt nach meiner Einschätzung besser. (Ich war mal in Mekelle und oft in Äthiopien). Abyi wurde international unter Druck gesetzt, das zu beenden. Weiterhin hatte er vielleicht selber kein Interesse mehr: Er hat Stärke gezeigt und es reicht. Weiterhin waren die Tigray-Soldaten vielleicht zäh. Jetzt sitzt Tigray aber auf dem Trockenen. Ein Binnenland von Feinden umgeben mit Ausnahme der kürzeren Grenze mit Sudan: Wo soll der Import herkommen, Kommunikations-Anbindung, Energie, Medikamente, Lebensmittel? Alles läuft bisher über Addis. Wird der Sudan da helfen?

  • Leider gibt es keine Information darüber, wer den Guerillakrieg finanziert und die Waffen geliefert hat.

  • Man soll das Fell des Bären erst verteilen, wenn er erlegt ist.