Coronalockerungen in Berlin: Pfingsten heißt Freiheit
Am Feiertagswochenende kehrte das Leben in die Stadt zurück. Essen gehen, Shoppen, Freiluftkino: Alles wieder möglich. Wie geht es nun weiter?
Berlin hat seine Freiheit wieder. Schon zwei Tage vor dem Pfingstfreitag haben wir online einen Termin gebucht. Essen gehen bei Anna Blume im Prenzlauer Berg. Auf dem Weg von Pankow dahin die bange Frage: Haben die die Buchung registriert? Denn schon am Bahnhof Vinetastraße war die Bar neben dem Varia Vineta rappelvoll. Auch in den Außenbereichen der Cafés in der Schönhauser gab es kaum mehr freie Plätze. Am Anna Blume dann aufatmen. Von der Reservierung weiß zwar keiner was. Aber es sind genügend Tische frei. Also lautet die zweite Erkenntnis: Vergiss die Platzbuchung. Wer einen freien Platz findet, hat automatisch einen Termin vereinbart.
Dann der Moment, auf den wir sechs Monate gewartet haben. Die Kellnerin bringt zwei Gläser Rosé. Nicht den süffigen, neoanginfarbigen, sondern den blassen, herben. Das Klingen der Gläser, das Auflachen, der Blick auf die anderen Gäste. Am Nachbartisch ein einzelner Mann, ein Bier hat er vor sich und daddelt auf dem Handy. Vor uns zur Straße hin ein Lesbenpärchen mit zwei Gläsern Weißwein, lachend. Glücksgefühle gehen auch auf Bestellung.
Kurze Zeit später: Wir sind froh, dass wir noch Plätze unter einem der großen Schirme gefunden hatten. In Missachtung der Wetter-App entscheidet sich der Himmel für eine Husche. Das ist die dritte Erkenntnis der Rückkehr ins fast normale Leben: Ein Regenschauer ist der natürliche Feind der Außengastronomie.
Einen Zander und einen weiteren Rosé später treten wir die Rückfahrt an. Noch immer sind die Kneipen voll. In der Mühlenstraße hat ein neues Testzentrum geöffnet, in den Räumen eines Bordells. Auf dem Balkon noch schnell einen Absacker nehmen. Es ist fast wie früher. Nur die Flieger am Himmel über Pankow fehlen. Uwe Rada
Boutiquen statt Malls
Wie gut, dass die tagesaktuellen Tests abgeschafft wurden und ein negativer Schnelltest stattdessen 24 Stunden gültig ist. So lassen sich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Essen am Abend und am nächsten Vormittag gemütlich bummeln.
Oder mitbummeln und beraten. Erste Station ist eine Boutique an der Sredzkistraße. Aufmerksam kontrolliert die Inhaberin unsere Testergebnisse. Einchecken mit der Luca-App ist nicht, es muss alles noch händisch ausgefüllt werden. So wie nach der ersten Welle in diesem im Nachhinein so unbeschwerten Sommer 2020.
Corona-Erinnerung: Sie reicht nicht unbedingt mehr zurück ins Leben vor der Pandemie, sondern umfasst bereits alle Phasen der Pandemie selbst: Die Angst vor Türklinken und versehentlichen Berührungen, die rauhe Haut vom Händewaschen, die Ablösung der Stoffmaske durch die Livinguard, dann FFP2, erst weiß, dann schwarz. Umfasst auch die selbstgebastelte Illusion, mit dem Sommer 2020 sei alles vorbei, den Schrecken der zweiten, das „#Müten“ gegen die dritte Welle. Und jetzt, was kommt nach dem Öffnen im Mai 2021? Die Mutantenphase der Pandemie?
Wir sind nicht die Einzigen in der Boutique. Eine Frau schiebt eher unlustig ein Sommerkleid nach dem andern am Haken zur Seite. Ihre Bekannte muss draußen bleiben, kein Test. Die Inhaberin stellt ihr einen Stuhl vor die Tür. Es donnert, gleich kommt die nächste Husche.
Im Klamottenladen nebenan hat die Besitzerin bereits die Außenauslage in Sicherheit gebracht. Ich warte draußen, flüchte mich aber dann doch vor dem Regen in den Laden. Der Besitzerin habe ich beim Plaudern gesagt, ich hätte auch einen Test. Sie will ihn nicht sehen. Voller Eile habe ich vergessen, die Maske aufzusetzen. Ich habe es erst gemerkt, als ich dachte, irgendwas stimmt nicht. Keine Maske stimmt also nicht, die Maske ist das neue Normal. Wann wird sich das wieder ändern?
Auf dem Kollwitzmarkt dürfen nun auch die Stände wieder öffnen, die keine Lebensmittel verkaufen. Alle sind sie wieder da, der Stand mit den Frühstücksbrettern, die Fahrradrucksäcke, und voll ist der Markt, als hätte es nie eine Pandemie gegeben. Aluhüte trägt hier keiner, aber jeder trägt eine Maske. Hedonistisch und staatstragend geht es zu am Prenzlauer Berg.
Auf dem Rückweg noch was einkaufen in den Schönhauser Allee Arcaden. Überraschend sind hier die meisten Geschäfte zu. Rollläden unten, als sei irgendwas Schlimmes passiert. Das Leben findet wieder auf der Straße statt. In den Cafés, in den Boutiquen, individuell, handmade. Die Pandemie als der Anfang vom Ende der Malls? Es wird garantiert wieder anders kommen, als wir denken. Uwe Rada
Fast allein bei Liebermann
Angenehmer könnte ein Museumsbesuch dieser Tage wohl kaum sein: Am Gartentor zur Liebermann-Villa am Wannsee stehen am Samstag um Punkt 12 Uhr mittags – dem frühesten Zeitfenster – drei Menschen mit Maske im Freien und warten auf ihren Einlass. Es bildet sich keine Schlange, von einer Wartezeit kann nicht die Rede sein. Wohl auch, weil alle Besucher*innen das Ticket bereits vorab ausgedruckt und mit den eigenen Kontaktdaten versehen haben. Die Frau am Gartentor nimmt die DIN-A4-Seiten rasch entgegen und wünscht viel Spaß.
An der Eingangstüre zur Villa folgt dann eine zweite Kontrolle: Ein Mann in Anzugweste bittet freundlich um einen Test-, Impf-, oder Genesungsnachweis. Wer nur in den Gartenbereich möchte, spart sich diesen Schritt.
In der Liebermann-Villa selbst tritt die Pandemie mit ihren Abstandsregeln dann schnell in den Hintergrund – einfach, weil das Missachten praktisch unmöglich ist. Mal huscht eine weitere Frau durch die Räume, ansonsten ist es in dem Altbau mit hohen Wänden ruhig, der Boden knarrt, die Vögel zwitschern im Garten. Zeitweise befinden sich keine weiteren Besucher*innen im Atelier des Berliner Künstlers Max Liebermann. Einzig grüne Hinweiszettel an den Türen erinnern an all die Regeln, die nach über einem Jahr Pandemie habitualisiert ablaufen: Maske tragen, Hände regelmäßig desinfizieren – die Spender dafür stehen überall auf dem Gelände. Und zuletzt die Bitte, sich „so kurz wie möglich und so lang wie nötig“ im Gebäude aufzuhalten.
Das gebuchte Ticket erlaubt es, maximal zwei Stunden zu verweilen. Das genügt, um sich ganz dem idyllischen Sommerhaus hinzugeben: Im Gartenbereich sind zwar weniger Sitzplätze als vor Corona gestuhlt, dennoch gerade genug, dass es für alle reicht.
Das Wetter ist wechselhaft, mal bewölkt, mal sonnig. Mit Blick auf den Großen Wannsee schmeckt nicht nur das Stück Rhabarberkuchen, auch der Pandemiewahnsinn gerät in Vergessenheit. Die Unbeschwertheit kehrt langsam zurück. Jacqueline Dinser
Badeanzug riecht nach Chlor – und Sommer
Der Mann vor dem Eingangstor zum Sommerbad Pankow in der Wolfshagener Straße ist sichtlich aufgebracht. Völlig „unorganisiert“ alles, und überhaupt: „Zu spät, alles viel zu spät!“
Die Unternehmenssprecherin, die die Berliner Bäder-Betriebe früh um halb acht am ersten Tag der Freibadöffnungen nach Coronawelle Nummer drei vor dem Eingang postiert haben, um diverse Presseteams in Empfang zu nehmen, ist ein bisschen überrumpelt: Was denn zu spät sei? „Na, sonst haben die Bäder immer am 1. Mai geöffnet“, und warum man hier nicht mehr spontan Tickets kaufen könne, poltert der Herr. Ob er denn nicht wisse, dass Corona sei?, gibt die Sprecherin sichtlich perplex zurück.
Dafür ist die Stimmung in der kleinen Schlange vor dem Einlass umso freundlicher. Wo in Vor-Corona-Zeiten oft schnell Ungeduld aufkam, wenn jemand etwa zu lange in seiner Geldbörse kramen musste, herrscht jetzt eine beinahe heitere Duldsamkeit: Mit dem Ticketscanner der Bäder-Bediensteten, der nicht jeden QR-Code des online vorab reservierten Tickets gleich erkennt. Mit der Vorderfrau, die umständlich das zwingend nötige negative Testergebnis irgendwo in den Mails auf ihrem Handy sucht.
Vielleicht ist es einfach nur Dankbarkeit, überhaupt wieder hier stehen zu dürfen – eigentlich ja eine Selbstverständlichkeit, schwimmen gehen. Aber gerade Selbstverständlichkeiten hat diese Pandemie schließlich sehr erfolgreich infrage gestellt. Was für ein Gefühl, sie sich wieder, Stück für Stück, zurückerobern zu können. Ein wenig lang ist das Gras auf den verwaisten Liegewiesen gewachsen, aber die dürfen erst mal ohnehin noch nicht genutzt werden, genauso wenig wie die Duschen.
Eine Stunde schwimmen erlaubt das gebuchte Zeitfenster frühmorgens, plus 30 Minuten zum schnellen Umziehen am Beckenrand. Mehr Zeit braucht es aber auch nicht: Das Wetter ist kühl, kein Wetter zum Planschen, aber zügig schwimmen geht gut. Wohl auch deshalb waren für das Pfingstwochenende die bislang elf geöffneten Sommerbäder – die restlichen 14 sollen bis Mitte Juni folgen – selten ausverkauft.
Im Wasser entwickelt sich schnell eine Art Kreisverkehr auf den doppelt so breit wie normal gespurten Bahnen. Lachen und rufen. Der Badeanzug riecht beim Ausziehen nach Chlor und Sommer. Endlich wieder, ein Anfang. Anna Klöpper
Spielzeit für eröffnet erklärt
Kurz bevor das allerletzte Tageslicht am Himmel verglimmt, ist es wieder so weit. Wie selbstverständlich flattert eine Fledermaus durch die Werbung auf der Leinwand, beleuchtet vom Schein des Projektors. Trotz ihrer hektischen Flugbewegungen vermittelt sie ein Bild der Ruhe, der Entspannung, der Normalität. Corona ist plötzlich weit weg. Und dann beginnt auch schon der Film.
Die Macher*innen des Freiluftkinos Friedrichshain haben sich für die Premiere in der zweiten Coronasaison am Freitagabend eine Komödie ausgesucht. „Rosas Hochzeit“ handelt von einer 45-Jährigen, die immer für alle anderen da ist, aber nie für sich, und daher beschließt, noch mal neu anzufangen. Der Film sollte eigentlich im November anlaufen und war damit einer der ersten, der vom zweiten Lockdown und der bis heute andauernden Schließung der Kinos kalt erwischt wurde. Nun grüßt die Regisseurin in einer eigens erstellten Videobotschaft und freut sich, dass ihr Film endlich zu sehen ist.
Wer will, kann in der überlasteten Hauptperson Rosa, die sich ständig um drei Dinge gleichzeitig kümmern muss, natürlich eine Anspielung auf den Stress vieler Familien in Pandemiezeiten sehen. Man muss das aber nicht. Eigentlich spielt Corona im Film keine Rolle.
Jenseits der Leinwand sieht das ganz anders aus. 250 Menschen sind bisher laut der Vorgabe des Senats für Open-Air-Kulturveranstaltungen zugelassen. Sie verteilen sich weiträumig auf den Bänken und Stühlen im eigentlich mehr als 1.500 Personen fassenden Freiluftkino im Volkspark. Die Pandemie hat Lücken gerissen, die wieder gefüllt werden müssen. Man sieht das, und man spürt es auch. Doch das Publikum trotzt der leeren Ränge und applaudiert euphorisch, als Betreiber Arne Höhne die Spielzeit für eröffnet erklärt.
Richtig lohnt es sich für ihn und sein großes Team noch nicht. Aber Höhne ist froh, dass es überhaupt losgeht. „Vor vier Wochen haben wir damit wegen der hohen Inzidenzen gar nicht rechnen können“, sagt er und blickt dann voraus auf die vom Senat bereits angekündigten Lockerungen und die Sommer-Berlinale, die Mitte Juni unter anderem in diesem Freiluftkino läuft. „Wir sind Premierenkino“, freut sich Höhne und fügt hinzu, dass er noch nicht wisse, unter welchen Bedingungen die Filme dann gezeigt werden können. Aktuell besteht zwar Maskenpflicht jenseits des eigenen Sitzplatzes; ein negativer Coronatest wird aber wegen der großen Abstände nicht benötigt, anders als etwa in der Außengastronomie.
Es liegt auch an den für Mai doch sehr dezenten Temperaturen, dass dieser Abend noch kein euphorisches Filmfest wird mit Popcornrascheln und an passenden Stellen plöppenden oder umfallenden Bierflaschen. Vielmehr sind dicke Decken und Mützen hilfreich. Aber es ist ein Anfang. Und an den ab und an aus dem Park herüberklingenden Technobässen hört man, dass es auch anderen so geht. Bert Schulz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!