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Die WahrheitSoforthilfe beim Geldausgeben

Tabuthema Kauflauneverlust: Endlich arbeitet ein Frankfurter Therapeut erfolgreich gegen das grausame Leiden an.

Schon damals therapeutisch geheilt: Wühler im SSV 1998 Foto: AP

Nicht wenige Menschen befällt das Problem einmal im Leben und jeder hat statistisch gesehen mindestens eine Person im näheren Umfeld, die unmittelbar davon betroffen ist. Dennoch wiegt das Stigma schwerer als das Bedürfnis, sich zu outen: Der Verlust der Kauflaune wird nur zu gern totgeschwiegen. Dabei hängt jede Menge von ihr ab. Die Wirtschaft benötigt die Kauflaune, die Aktienmärkte fordern sie ein und das ganz persönliche Glück ist immer noch am einfachsten per Kreditkarte zu erlangen. Wer Letzteres bezweifelt, zeigt Experten zufolge übrigens bereits erste Symptome und sollte sich schleunigst von Fachkräften durchchecken lassen.

Zu Dr. Wolfram Brausel etwa kommen täglich Patienten in seine Praxis auf der Frankfurter Zeil zwischen Nanunana und dem O2-Shop. Patienten, bei denen sich nichts mehr regt. Prozente, Schlussverkäufe, Anlageversprechen – wenn der entsprechende Kaufimpuls trotz aller bekannten Reize ausbleibt, sei das für die allermeisten erst einmal mit Scham behaftet, so Dr. Brausel.

„Diese Menschen sind oft unglaublich passiv und brauchen dringend Hilfe beim Geldausgeben“, erklärt er. Der erste Therapieansatz erfolge meist in Form von Gutscheinen, um die nicht selten über Monate, bisweilen auch über Jahre aufgebaute Hemmschwelle vor dem Transaktionsakt herabzusetzen. Hierfür arbeite seine Praxis mit großen Supermarktketten und gut sortierten Elektrofachmärkten zusammen. Am Ende habe jeder etwas davon, so Dr. Brausel. Aber ganz besonders er.

Starker Leidensdruck

Wie es sich anfühlt, wenn der Geldbeutel klemmt, das weiß Hans-Jochen Schmidtke. Hinter ihm liegen lange Jahre des selbst verschuldeten Verzichts und unzählige links liegen gelassene Schnäppchenangebote. „Im Nachhinein macht einen das natürlich wütend, ganz klar“, stammelt Schmidtke. „Da sind Chancen und Vorurteilswochen an mir vorbeigegangen, das kommt so alles nie wieder.“ Schmidtkes sonorer Stimme hört man den Leidensdruck noch deutlich an. Er habe sich damals einfach nicht mehr im Griff gehabt, beteuert er. Das klingt mitleiderregend und irgendwie auch billig.

„Eine klassische Strategie“, weiß Dr. Brausel. Betroffene würden ihr Leid emotionalisieren, statt sich der trockenen Realität zu stellen: dass sie über viel zu lange Zeit viel zu wenig Geld ausgegeben und damit nicht nur sich, sondern auch Wirtschaft und Industrie enormen Schaden zugefügt hätten. Dr. Brausel habe für so etwas kein Verständnis, sagt er. Deshalb habe er sich mit seiner Praxis auch auf diese Fälle spezialisiert. Um den Betroffenen zu zeigen, dass es so mal überhaupt nicht gehe und um ihnen die Rechnung für ihr rücksichtsloses Verhalten vor den Latz zu knallen. „Das erfüllt mich“, sagt er. „Dafür habe ich gerne mein Risk-Management-Studium an der Telekom-Business-School Bautzen durchgezogen.“ Heute könne er davon gut leben und sich schöne Produkte kaufen.

Im Schnitt sollte man am Tag 17 Kaufvorgänge hinter sich bringen. Das, so behauptet es eine gekaufte Studie von Dr. Brausel, habe sich als stabiler Wert sowohl für die Wirtschaft als auch das Seelenheil bewährt. Nach oben sei natürlich immer Luft, sagt er. Dabei sei es auch erst einmal egal, ob es sich um große oder kleine Summen handle, wichtig sei, nicht aus dem Rhythmus zu kommen. Alles andere würde sich über die Preispolitik im Prinzip ohnehin von selbst regulieren.

„Ein Preisschild ist eine Orientierung, man sollte sich an Zahlen aber nicht allzu sehr festbeißen, dafür ist das menschliche Gehirn einfach nicht gemacht“, sagt Brausel den Patienten in seinen Therapiegesprächen zum Staffelpreis immer wieder. Gleiches gelte für den Kontostand. „Der ist unwichtig. Ihre Bank wird Ihnen bei Bedarf schon ein Angebot machen, damit der ganze Wahnsinn weitergehen kann, herrje!“

Guter Therapieplan

Patient Schmidtke jedenfalls kann heute wieder lachen. Er sei heute Morgen dank Brausels Ratschlägen einen guten Schritt weitergekommen. „Ziel meines Therapieplans war es eigentlich nur, heute im Rewe 40 Packungen Schmand zu kaufen. Aber dann habe ich dem Filialleiter spontan ein Angebot gemacht und gleich den ganzen Laden gekauft!“

Schmidtke weint und lacht vor Freude gleichzeitig, doch dann übermannt ihn wieder die alte Schwäche und er bricht zusammen. Unter Anleitung von Dr. Brausel repetiert er sein ganz individuelles, in der Therapie erarbeitetes Power-Mantra: „Die Schufa kann mir gar nichts, die Schufa kann mir gar nichts, die Schufa kann mir gar nichts …“

Brausel klopft ihm stolz und anerkennend auf die Schulter und reicht ihm ein Therapietaschentuch für 19 Euro das Stück. Wir verabschieden uns wenig später von einem gar nicht mehr so gebrochen wirkenden Schmidtke und einem strahlenden Dr. Brausel. Ein großer Schritt in Schmidtkes Leben ist getan. Mögen ihm viele folgen.

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5 Kommentare

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  • Danke, sehr interessantes Thema, sehr witzig und intelligent behandelt.

  • Schonn. But.

    Die Alternative is ja nu ooch nich viel besser - wa!



    In der Klapse stieß ich einst auf eine schwer exaltierte Perle - die zuvor auf der Hohe Straße in Kölle begeisterte Abnehmer fand - als sie in Minutenschnelle - 25Tsd Ocken - quasi im abgekürzten Verfahren verteilt hatte.



    & nochens -



    Merkwürdig blieb - daß mein Analytiker neben “Jetzt geht die Analyse eigentlich erst richtig los ( 💴 💴💴;) - mir auf den Weg gab: „Hüten Sie sich zuviel zu kaufen!“ Ja was denn noch alles!!! Gelle.



    & Däh!



    Lags daran - daß ich ihm gesagt hatte - Jetzt sei es genug & ich fänd ihn mittlerweile eh - eine lächerliche Figur?



    Hatte ich mich angesteckt? & Jüngster Sohnemann - “Klar - du bist ein Schnäppchenjäger!“ BITTE! Frechheit!!



    Rätselhaft - Es gibt in meiner Suite noch Wände ohne Bücherregale - ok so grade!



    Und bei den Instrumenten - is auch noch Luft nach oben - knapp! - 😎 - & btw =>



    (Als ich mal einen Aluminium-Topf-in-Topf der Herdentopf-Klasse auf dem Speermüll mitgehen ließ - sagte die Perle-Vollemanze “Typisch - rührt in allen Töpfen!“;)) - 🥰 -

    kurz - ”Mook wat du wiss!



    De Lüü snakkt doch!“



    Ooch wieder wahr •

    • @Lowandorder:

      Rätselhaft...Neben allem Konsumrauschigen gibt es ja noch das schöne Wort von der *Habseligkeit*. Da haben wir Menschen uns zehntausende von Jahren lang als Jäger und Sammler geübt und als Höhlenbewohner. Das "Beute machen" wird da noch in uns drin stecken, denke ich so. Und für die die Höhle reicht das Herdfeuer so ganz allein nicht. Da sind die Bücher, die Bilder, Instrumente...die sorgen auch für Wärme. Ich habe mal den Fehler gemacht, drei, vier Fachbücher noch aus dem Studium wegzugeben. Mache ich nie mehr. Es ist viel zu spannend, eine von den alten Schwarten zufällig wieder in der Hand zu haben...und dann gucken...



      Nur Gucken:



      Zum Beispiel Schnickschnack beim "Tschibo". Voll abgedreht:

      Apfelschäler "Happy Star". Ein Hand betriebener Bratspieß zum Apfel drauf stecken. Dann senkt sich ein Schälmesser auf den Apfel, wenn Kurbel betätigt.

      Elektrisch betriebener Krawattenhalter für den Kleiderschrank. Mann! Unendlich viele Krawatten bewegen sich entlang einer Stange, an der sie hängen. Treten aus der Tiefe des begehbaren Schranks heraus und paradieren horizontal an einem vorbei und verschwinden wieder in der Tiefe des Raums.

      Grillgabel zur Temperaturmessung des Grillguts. Ein Ende ins Fleisch. Anderes Ende, Temperaturanzeige. Digital natürlich.



      Und: Das Ding konnte angeblich zwischen Pute, Rind und Schwein unterscheiden. So stand auf Plakat.



      ????????



      Unterm Strich: Da sagt man nix mehr! Aber Spaß dabei.

  • ..und die Tourismusindustrie hat auch nichts gelernt. 100€ pro Tag für 15m² mit Betonblick und 24h Lärm durch die Nachbarn inkl schlechtem Frühstück.



    Das bekomme ich meinem Berliner WG-Zimmer doch auch, sogar preiswerter.



    Also dass dieses Angebot nur "zögerlich nachgefragt" wird, ist wohl zu verstehen.

  • Das erste Problem beim Konsumieren ist doch schon mal: Das macht doch total *Arbeit*.



    Der Weg zum Laden, dann das Rumgesuche dort, die schrecklichen Regale.. Und Onlinekauf bringt auch nix. Wer in den wirren Onlineportalen nicht schon die Nerven verloren hat dreht doch spätestens beim Warten auf den Paketknecht durch. Nee, nee, liebe Wirtschaft, das ist alles viel zu unbequem. Als ob wir mit der normalen Arbeit nicht schon genug zu tun hätten..