piwik no script img

Foto: Arnulf Hettrich/imago

Verschwörungsmythen an der SchuleDie Entschwörung

Lehrkräfte, Eltern, Schü­le­r*in­nen – alle sind konfrontiert mit Verschwörungsmythen. Längst sind sie im Klassenraum angekommen. Was tun?

P eer Gärtner* ist zu spät. Als er versucht, seine Schü­le­r*in­nen im Unterricht gegen Verschwörungsmythen zu stärken, bevor sie bei ihnen ankommen, muss er feststellen: Sie sind längst da. Lügen über ein Virus aus dem Labor, über Bill Gates, über eine Regierung, die die Bevölkerung angeblich unterdrücken will – sie haben längst den Weg zu seinen Schü­le­r*in­nen an einer bayerischen Mittelschule gefunden. „Die ganzen typischen Erzählungen waren bei den Schülern schon aufgeploppt.“ Gärtner hat ein Problem.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

30 Prozent der Bevölkerung in Deutschland halten Verschwörungserzählungen für wahrscheinlich richtig oder sicher richtig, wie eine repräsentative Befragung von Infratest dimap zwischen Oktober 2019 und Februar 2020 mit mehr als 3.200 Teilnehmenden ergab. 11 Prozent sind laut der im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung durchgeführten Studie überzeugte Verschwörungsgläubige – und das noch vor der Pandemie.

Die Schule ist kein geschlossener Raum, bei dem gesellschaftliche Entwicklungen außen vor bleiben. Ideen werden hineingetragen durch Eltern, Schüler*innen, Lehrkräfte – auch Verschwörungsmythen. Und so sehen sich Schü­le­r*in­nen mit verschwörungsideologischen Lehrkräften konfrontiert, Leh­re­r*in­nen müssen mit Verschwörungsmythen von Schü­le­r*in­nen und Eltern umgehen.

Das spürt auch die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR). „Die Anfragen zum Umgang mit Verschwörungsideologien haben sich von 2019 bis 2021 mehr als verdreifacht und machen jetzt etwa ein Viertel aller Anfragen an uns aus“, sagt Berater Michael Sulies. Auch im Kontext Schule konnte die MBR diese Steigerung feststellen. Sulies erreichen Fortbildungsanfragen für Re­fe­ren­da­r*in­nen und Beratungsgesuche zum Umgang mit Verschwörungsideologien im Kollegium, bei Schü­le­r*in­nen und Eltern.

Warum bezeichnen mich Leute als Nazi, wenn ich auf ‚Querdenken‘-Demos gehe?

Frage eines Schülers

Peer Gärtner sah sich schon vor der Pandemie mit verschwörungsgläubigen Jugendlichen konfrontiert. Der Geschichts- und Politiklehrer spricht in Ruhe mit ihnen, fühlt nach, woher die Einstellungen stammen. „Dort, wo die eigenen Ängste gelagert sind, docken Verschwörungsmythen an“, erklärt Beate Leinberger. Sie ist Kinder- und Jugendpsychotherapeutin und Professorin für Soziale Arbeit an der Internationalen Hochschule Nürnberg. Seit dem Ausbruch des Virus wachse die Angst. Verschwörungsmythen betrachtet Leinberger als Plattformen, die Gläubigen Orientierung gäben. „Ein Mythos kann einen wahren Kern haben, an den die Jugendlichen sich klammern, mit dem sie argumentieren.“ Aktuell bieten viele ihnen diese Plattformen an.

Oft sind es die Eltern, die den Jugendlichen den Zugang zu Verschwörungsideologien eröffnen. Das erlebt Christoph Becker*. Der Politiklehrer unterrichtet an einer Privatschule in Berlin. Mindestens drei seiner Siebt- und Achtklässler seien durch ihre Eltern dem „Querdenken“-Milieu nahe, begleiteten sie sogar auf Demonstrationen. Becker will sie damit nicht alleine lassen. Er nutzt Online-Einzelgespräche mit den Jugendlichen, fragt sie, was sie auf der Demo erlebt haben, wie es ihnen gefallen hat. „So kann ich sehen, welchen Erlebnissen die Schülis ausgesetzt sind, und kann es mit ihnen gemeinsam einordnen.“

Laute Menschenfänger: „Querdenken“ Protest unter dem Motto „Kinderlächeln ohne Angst“ Foto: David Young/dpa

Die Schü­le­r*in­nen nehmen dieses Angebot an. Relativ ungefiltert berichteten sie dann von angeblich gefährlichen Tests und nutzlosen Masken. Und sie haben Fragen an Becker: „Warum bezeichnen mich Leute als Nazi, wenn ich auf ‚Querdenken‘-Demos gehe?“ Becker spricht mit ihnen über die Symbole, die auf diesen Demos regelmäßig gezeigt werden, über ihre antisemitische Bedeutung.

Hast du solche Symbole schon mal auf den Demonstrationen gesehen?“

Nein, aber ich werde darauf in Zukunft mal achten.“

Hast du schon mal Gewalt gegen Journalisten auf den Demos gesehen?“

Joah, es wurde schon rumgeschubst. Aber auch von der Polizei gegen Demonstranten.“

Glaubst du, eine Demonstration muss sich von solchen Aussagen distanzieren?“

Auf alle Fälle. Nazis sind ja scheiße und das will man nicht auf einer guten Demo haben, die eigentlich nur gegen Corona ist.“

Rote Linien und Mikrofone

Laut Psychotherapeutin Leinberger ist es wichtig, den Jugendlichen zuzuhören, sich mit ihren Perspektiven auseinanderzusetzen und möglichst neutral zu diskutieren. „Eine Diskussion lebt von These und Antithese. Ein Mythos aber ist eine Verfestigung von nur einem dieser Bestandteile.“ Die Diskussion als Ausweg aus einer Gedankensackgasse. Schü­le­r*in­nen bloßzustellen sei jedoch „nicht Sinn der Sache“. Stattdessen müsse ein Raum für Ideen geöffnet werden, auch für die Ideen der anderen Schüler, sagt Leinberger. „Wenn ein Schüler, der einem Verschwörungsmythos anhängt, mitbekommt, dass da 28 Menschen anders denken, ist das eine Möglichkeit, angeregt zu werden.“ Nur so sei man in der Lage, den eigenen Standpunkt zu verändern.

Doch manchmal lassen sich Standpunkte nicht ändern. Gärtner kennt das Scheitern. Bei zwei Schü­le­r*in­nen dringt er auch nach noch so umfangreichen Gesprächen nicht durch. „Fakten und Aufklärung haben nicht gefruchtet. Die Beziehung zu mir war nicht prägend genug, als dass sie von ihrer Ideologie hätten ablassen können.“ Er trifft mit den Schü­le­r*in­nen eine Vereinbarung über Dinge, die in seinem Klassenraum nicht gesagt werden dürfen, zieht eine rote Linie.

Was untergeht während der Pandemie, wenn Erwachsene übers Homeoffice streiten, über Impfreihenfolgen und geschlossene Restaurants, sind häufig die Belange von Kindern und Jugendlichen. Und dann käme Querdenken, so Leinberger, und biete eine Botschaft: Bei mir dürft auch ihr das Mikrofon halten.

Bei vielen „Querdenken“-Demonstrationen sind auch Kinder, skandieren gemeinsam mit den Erwachsenen, nicht selten sind sie auch Thema der Demo, etwa wenn erlogen wird, Kinder würden durch das Tragen von Masken sterben. Und auch auf der Bühne sind Kinder zu finden. Im November 2020 steht eine 11-Jährige bei einer dieser Demonstrationen auf einer Bühne in Karlsruhe. Sie vergleicht sich mit Anne Frank, weil sie wegen der Coronamaßnahmen leise ihren Geburtstag mit Freundinnen feiern musste, damit die Feier nicht auffliegt. Am Ende der Rede wird geklatscht. „Wenn die Eltern applaudieren, ist das für die Kinder eine tolle Situation, ähnlich dem Lob für eine Eins in der Schule“, sagt Leinberger. „Die Kinder merken überhaupt nicht, dass sie instrumentalisiert werden.“

Verunsicherung bei Jugendlichen

Dabei unterscheidet Leinberger zwischen Kindern bis zum Alter von etwa 12 Jahren und Jugendlichen. Kinder hätten weniger Möglichkeiten, zu verstehen, was Verschwörungsmythen überhaupt sind. „Jugendliche haben aufgrund ihrer gereifteren Hirnentwicklung mehr Möglichkeiten, Informationen und Nachrichten zu verstehen und können diese dann anders verarbeiten.“ Doch dieses Begreifen kann zu Konflikten in der Familie führen.

Wir wissen, dass das dem Kind schadet – massiv! Aber wir können nichts tun

Joscha Falck, Kreisverbandsvorsitzender der GEW Roth-Schwabach-Hilpoltstein

Wenn ihre Eltern an Verschwörungserzählungen glauben, litten Kinder und Jugendliche, sagt Leinberger. „Besonders Jugendliche erkennen sehr gut, in welche Ideen die Eltern sich begeben, und haben ihre eigene Meinung dazu.“ Auch wenn sie versuchten, die Taten und Gedanken der eigenen Eltern für gut zu befinden, merkten sie: Da ist etwas nicht stimmig. „Das bringt eine hohe Verunsicherung dessen, in wie weit man den eigenen Eltern noch vertrauen kann.“ Manche der Jugendlichen gingen dann mit ihren Eltern in den Konflikt.

Gärtner und Becker finden es wichtig, auch mit den Eltern ins Gespräch zu kommen. Bei Becker entstehen dabei immer wieder Konflikte. Manche Eltern beschränkten sich darauf, ihm Youtube-Kanäle von Co­ro­nal­eug­ne­r*in­nen zu empfehlen. Andere schrieben ihm E-Mails, in denen sie einen kritischeren Umgang mit den Maßnahmen der Bundesregierung fordern oder dass sich die Schule über die Hygienemaßnahmen hinwegsetzt. Immerhin zahle man ja Schulgeld. Einige Eltern schickten ihre Kinder gar nicht mehr in die Schule. Während ihre Mit­schü­le­r*in­nen im Wechselunterricht sind und sich ihr Leben langsam wieder normalisiere, blieben sie ausschließlich im Online-Unterricht. Bei ihnen sieht Becker momentan besonders große Motivationsprobleme.

Während andere Kinder und Jugendliche wieder in die Schule gehen, müssen manche zuhause bleiben Foto: Pau Zinken/dpa

Joscha Falck, Kreisverbandsvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Roth-Schwabach-Hilpoltstein, beobachtet, dass manche Eltern ihre Kinder selbst in den letzten Wochen vor der Abschlussprüfung nicht in die Schule lassen. „Wir wissen, dass das dem Kind schadet – massiv! Aber wir können nichts tun“, sagt Falck. Gleichzeitig würden manche Leh­rkräfte den Schü­le­r*in­nen die Situation erleichtern wollen, versuchen, digitale Lernangebote zu schaffen, während sie den normalen Präsenzunterricht weiterführen. „Wir müssen akzeptieren, dass wir an diese Kinder nicht mehr rankommen, dass wir sie verlieren. Oder wir müssen uns zerreißen“, so Falck. „Viele Lehrer machen das gerade. Sie leisten mehr, als sie können. Das wird nicht lange gut gehen.“ Die GEW frage derzeit regelmäßig, wie es den Kol­le­g*in­nen geht, versuche ein Stimmungsbild zu bekommen, auch zum Thema Burnout.

Falck ist überzeugt, dass die Zeit zu Hause, ohne den Klassenverbund, bei den Jugendlichen Spuren hinterlassen wird, die über Lernlücken hinausgehen – weil sie zu Hause mit Meinungen bombardiert würden, dass alles erfunden sei, ohne Mitschüler und Lehrer, die regulierten. „Und gleichzeitig, während sie zu Hause sitzen, findet in der Schule, in ihrer Peer Group, eine Realität statt, in der sie keine Rolle mehr spielen.“ Falck geht davon aus, die sozialen Auswirkungen der Pandemie auf die Schü­le­r*in­nen noch ein ganzes Jahr lang zu spüren. Mindestens.

Helfen könnte die Soziale Arbeit und Vereine. „Jugendliche, die nach Außen gehen und sich von den Eltern ablösen, brauchen diesen Zwischenschritt“, erklärt Leinberger. Doch wenn die Sportvereine, die Jugendclubs, die Schulen nicht oder nur phasenweise geöffnet sind, dröselt sich das Sicherheitsnetz der Regulation und der Geborgenheit auf. „Wir bräuchten für jede Jahrgangsstufe mindestens eine pädagogische Fachkraft, die sofort verfügbar ist, wenn Verschwörungserzählungen oder rechte Ideologien im Unterricht aufkommen“, fordert deswegen GEW-Mann Falck. Eine Lehrkraft könne das bei 30 Schü­le­r*in­nen pro Klasse nur bedingt leisten. „Doch an Bayerischen Mittelschulen haben wir in der Regel ein bis zwei Fachkräfte für 300 bis 400 Schüler.“

„Mahnwache“ mit Lehrkraft

An der Freien Waldorfschule Schopfheim sind nicht die Jugendlichen das Problem. Im Frühjahr 2020 beginnt eine Gruppe von Menschen wöchentlich sogenannte „Mahnwachen“ auf dem Marktplatz abzuhalten. Bald berichtet die Badische Zeitung darüber, welche Verschwörungserzählungen dort verbreitet werden und dass auch Waldorf-nahe Personen unter den Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen sind. Auch Freia Arncken bemerkt das. Sie ist Schülerin der Waldorfschule, steckt gerade mitten in ihren Abiturprüfungen. Es seien teilweise Eltern bei den „Mahnwachen“ gewesen, aber auch mindestens eine Lehrerin und eine Schulbegleiterin. Mitte Dezember 2020 schreibt letztere der Waldorfschule einen Brief.

Darin vergleicht die Frau die Situation von Co­ro­nal­eug­ne­r*in­nen mit der von jüdischen und homosexuellen Menschen im Nationalsozialismus. Und sie forderte die Schule auf, sich an ihre Seite zu stellen, etwas gegen die sogenannte „Hetze“ der Presse zu unternehmen – obwohl die Schule sich bereits öffentlich von der „Mahnwache“ distanziert hat. Arncken geht der Brief zu weit. „Die Formulierungen kommen vom rechten Rand. Es ist die Rhetorik, bei der ich dachte: Das ist absolut nicht in Ordnung, egal was die Intentionen dahinter sind.“

Testen in der Schule – für manche Beteiligte ein ideologisches Problem Foto: Christoph Soeder/dpa

Sie wendet sich an eine Lehrerin, bittet um Rat und wird darin bestärkt, selbst aktiv zu werden. Gemeinsam mit Klas­sen­ka­me­ra­d*in­nen verfasst sie kurz vor Weihnachten einen offenen Brief, den viele Schü­le­r*in­nen der Waldorfschule unterzeichnen. Immer mehr Menschen zeigen ihre Zustimmung. Auch von der Schule kommt viel positive Rückmeldung. Inzwischen sei die Schulbegleiterin nicht mehr an der Schule, erzählt Arncken.

Jemand müsste uns den Workshop in die Schule tragen.

Christoph Becker, Lehrer

Auch an anderen Schulen in ganz Deutschland kommt es immer wieder zu ähnlichen Fällen. In Berlin beschweren sich Schü­le­r*in­nen eines Oberstufenzentrums über einen Berufsschullehrer, der auf Youtube Verschwörungsideologien verbreitet – und laut ihnen auch im Unterricht. Erst als sie sich an den RBB wenden, der groß darüber berichtet, wird der Lehrer abgemahnt.

„Wenn Leh­re­r*in­nen vor Schü­le­r*in­nen verschwörungsideologische, rassistische oder antisemitische Äußerungen vertreten, ist das ein Grund einzuschreiten“, sagt auch Sulies von der MBR. Es mache aber einen Unterschied, wer das tue. „Der Raum Schule ist durch Hierarchien geprägt, und die Handlungsmöglichkeiten von Schüler*innen, die allein schon durch die Noten von Leh­re­r*in­nen abhängig sind, sind andere als die im Kollegium.“ Während Eltern und Kollegium sich auch an höhere Hierarchieebenen wenden können, sei das für Schü­le­r*in­nen manchmal schwieriger. Vernetzung mit anderen Schü­le­r*in­nen und Lehrer*innen, denen sie vertrauen, sei aber eine gute Möglichkeit, mit dem Erlebnis umzugehen. Auch der Schritt an die Öffentlichkeit könne eine Möglichkeit sein.

Es bleibt nur Autodidaktik

Ein Handeln wie das von Arncken und den Schü­le­r*in­nen des OSZ zu fördern, auch das ist Aufgabe der Schulen. Einige Lehrkräfte bemühen sich deswegen eigenständig darum, in diesen Bereichen ausgebildet zu werden. So etwa Hannah Kempe*, die gerade an einer Haupt- und Realschule in Niedersachsen ihr Referendariat macht. Bereits während ihres Geschichtsstudiums hat sie sich gezielt damit auseinandergesetzt, wie sie Rechtsextremismus und Fake News begegnen kann. Sie hat Vorträge besucht und Jugendlichen dazu einen Workshop in einer Gedenkstätte gegeben– als Übung für sich selbst. „Denn auch, wenn ich selbst weiß, wie ich mich stark gegen Verschwörungserzählungen positioniere, muss ich ja erst lernen, wie ich das auch Jugendlichen beibringe.“

Dennoch ist Kempe sich unsicher, wie gut sie im Ernstfall reagieren wird, wenn tatsächlich das erste mal ein*e Schü­le­r*in vor ihr steht und Verschwörungsmythen vertritt. Wenn der Raum nicht ein vorbereiteter Workshop ist, sondern eine kleine Äußerung im Unterricht oder auf dem Pausenhof.

Vielen Lehrkräften fehlt die Expertise im Umgang mit Verschwörungsgläubigen. Zwar gibt es viele Workshop-Angebote von Bildungsträgern und Beratungsstellen wie der MBR, die an manchen Schulen sogar jährlich Schulungen durchführt. „Die Schulungen sind aber nicht auf den Themenbereich Verschwörungsideologien beschränkt“, so Sulies. „Dafür ist der Themenbereich erst zu kurz im Fokus der Gesellschaft. Häufiger ging es bisher um Rechtsextremismus, Antisemitismus oder Rassismus.“ Und auch Beratungsstellen, die Workshops zu Verschwörungsideologien anbieten, haben zwei große Probleme: Zum einen kosten manche von ihnen Geld. Zum anderen braucht es jemanden an der Schule, der den Workshop organisiert. Becker glaubt, dass manche Kol­le­g*in­nen so überlastet seien, dass sie sich darum im Moment nicht kümmern könnten. „Jemand müsste uns den Workshop in die Schule tragen.“

Falck, Becker, Gärtner, Kempe – sie haben während ihres Studiums gelernt, mit rechtsextremen Äußerungen im Klassenzimmer umzugehen. Doch sie alle sind Leh­re­r*in­nen in Fächern wie Politik, Sozialkunde und Geschichte. Falck sagt, Leh­re­r*in­nen aus anderen Fachbereichen hätten häufig nicht schon während des Studiums viel zu diesen Themen gearbeitet. Auch im Referendariat sei der Umgang mit rechten Ideologien selten Thema. Die meisten Lehrkräfte müssen sich ihre Strategien im Umgang mit Verschwörungsmythen selbst erarbeiten – und sie dann im Unterricht anwenden.

Doch dafür braucht es eine grundlegende Mangelware: Zeit. Becker hat Glück, er kann sie sich nehmen, hat im Geschichts- und Politikunterricht den Luxus, dass Demokratiebildung eines der übergeordneten Ziel des Lehrplans ist. Für Mathe- und Che­mie­leh­re­r*in­nen könnte es schwieriger werden. „Aber selbst wenn es nicht reinpasst, wäre es mir wert, dafür den Stoff hinten anzustellen“, sagt Becker. Die gesellschaftliche Diskussion ist ihm wichtiger, das, „was den Kids gerade auf der Seele brennt“. Dafür müsse an einer Schule immer Platz sein.

*Die Lehrer Gärtner und Becker und die Referendarin Kempe tragen in Wirklichkeit andere Namen. Da sie jedoch als Mitarbeitende von Schulen nicht ohne Genehmigung über ihre Arbeit sprechen dürfen, wurden sie von der taz anonymisiert. Ihre wahren Identitäten sind der Redaktion bekannt.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • Alternativ könnte Herr Drosdowski auch eine ganze Artikelserie über die Verschwörungsmythen in Ihren Beiträgen schreiben. -.-

    • @Armos:

      Sollte eine Antwort an Weber sein.

  • Gute(!!) Verschwörungstheorien sind oft interessant, bisweilen sogar fast witzig, und in der



    Polizeiarbeit oft unabdingbar.



    Die Hetze vom "Virus aus China" gehört nicht dazu. Das ist Ablenkung, um die massiven Eskalation falscher Politik sogar letztlich pseudozubegründen.



    Wer hat diese "Theorie" also lanciert? Darüber könnte man mal in Gemeinschaftskunde sprechen.

  • Daß ausgerechnet Schüler/innen an einer Schule der Steiner-Sekte sich gegen Coronaschwurbelei wehren ist so lobenswert wie ironisch. Immerhin war Rudolf Steiner selbst sowohl Impfgegner als auch Rassist.

    www.kontextwochenz...r-impfen-6853.html

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Nur 30%?



    Da glauben doch mehr an höhere Mächte und anderen Unsinn.



    Ursache?



    Wenn der Verstand kaum arbeiten muss, weil das Leben so einfach geworden ist, dann dreht er frei

  • Zitat: „Verschwörungsmythen [...] sind längst da. Lügen über ein Virus aus dem Labor, [...]“

    Am 26.05.2021 ist Fabian Kretschmer in der taz einem Wall-Street-Journal-Artikel nachgegangen, der auf einem US-Geheimdienst-Bericht beruhen soll. Unter der Überschrift: „Nahrung für die Labor-Theorie“ hat Kretschmer die „umstritten[e]“ Frage aufgeworfen, „ob [...] auch ein Laborunfall verantwortlich gewesen sein könnte“. Er schrieb: „Dass diese Labor- oft als Verschwörungstheo­rie stigmatisiert wird, liegt an einem Missverständnis: Sie besagt eben nicht, dass das Virus von Menschen kreiert und absichtlich ausgesetzt wurde, sondern nur, dass bei legitimen Forschungen an Coronaviren ein Mitarbeiter sich versehentlich infiziert haben könnte.“

    Gehört Fabian Kretschmer damit zu jenen „30 Prozent der Bevölkerung in Deutschland“, die „Verschwörungserzählungen für wahrscheinlich richtig oder sicher richtig [halten]“? Ist er vielleicht gar eine Art Nazi? Nein. Denn: „Ein Mythos kann einen wahren Kern haben“, er ist aber keine Diskussion. Er „lebt“ grade nicht „von These und Antithese“, sondern „ist eine Verfestigung von nur einem dieser Bestandteile“, oft sogar eine bloße Behauptung, eine „Gedankensackgasse“ also.

    Und sonst so? Wenn 30% aller Deutschen mit Verschwörungstheorien sympathisieren, dann zeigt das eigentlich nur, dass sie Ungewissheit nicht ertragen können. Womöglich aus Angst davor, bloßgestellt und/oder abgewertet zu werden. Das aber sagt viel über die gesellschaftliche Realität in Deutschland aus, u.a. auch über deutsche Schulen/Lehrer/Erziehungsberechtigte.

    Nein, Plausibilität ist keine Frage von Mehrheiten. Wenn 28 Menschen anders denken, heißt das noch lange nicht, dass ein*e Einzelne*r ins Grübeln kommt oder gar „den eigenen Standpunkt zu verändern“ bereit ist. Gedankensackgassen können schließlich nich nur nach rechts oder links führe, sondern in jede beliebige Himmelsrichtung.

    • @mowgli:

      Und man sieht an dem von Ihnen zitierten Abschnitt das eben auch die Medien an (Anti-)Verschwörungstheorien mitwirken. Der Inhalt des Zitats ist schlicht weg falsch denn meines Wissens ist die Herkunft des Virus nicht geklärt (wenn das überhaupt geht). Dies Behauptung journalistisch einfach so aufzustellen ist dann eine allgemein akzeptierte (Verschwörungs-)Theorie.

    • @mowgli:

      Natürlich haben Sie Recht dahingehend, dass was Richtig und was Falsch ist nicht einfach durch Mehrheit bestimmt wird.

      Ich finde aber auch, dass es einen Unterschied macht ob man berechtigte Skepsis an bestehenden Meinungen und Positionen äußert, oder ob man aus dieser Skepsis heraus Verschwörungserzählungen entwickelt.

      Wobei diese Erzählungen ja meistens viel unwahrscheinlicher sind als die angezweifelten „Mehrheitserzählungen“.

  • Diesen intelligenzbeleidigenden Artikel könnte man an so vielen Stellen hochnehmen, das lohnt der Mühe nicht.



    Nur soviel, beide Bilder die als Intro des Artikels dessen Grundaussage ja wohl untermalen sollen, zeigen Kinder die mittels Plakat oder Button darauf hinweisen, das ein möglicher/kommender mehr oder weniger subtiler Impfzwang für Kinder nicht hinnehmbar sei.



    Was an dieser Aussage ist verschwörungstheoretisch relevant?



    Aus meiner Sicht nichts. Hier die Meinung eines Virologen:



    Herr Kekulé hat sich beim MDR zur Thematik geäußert: www.mdr.de/nachric...notwendig-100.html

    • 0G
      09399 (Profil gelöscht)
      @Thomas Kühnelt:

      Thomas,



      ein kurzer Hinweis: Es gibt keinen Impfzwang, schon gar nicht für Kinder, und den wird es auch nicht geben. Wer das behauptet betreibt Panikmache - und schadet damit den Kindern und Erwachsenen, die er zu verteidigen glaubt. Und verbreitet selbst einen verschwörungsideologischen Glaubenssatz ohne jeden Nachweis.



       

      [...] Beitrag gekürzt. Bitte beachten Sie die Netiquette. Vielen Dank! Die Moderation

      • @09399 (Profil gelöscht):

        Eine „Impfpflicht“ kann man durchaus auch anders umsetzen als mit einem Impfzwang. Da geht es um eine klare Positionierung der Politik gegenüber Impfung von Kindern und deren „Befreiung“ von einem „Impft Euch ansonsten seid Ihr eine Gefahr“. Ich empfehle dazu auch youtu.be/qf_5eYobrms

      • @09399 (Profil gelöscht):

        Es gibt jetzt schon eine Impfpflicht (schöneres Wort für Zwang) für Schulkinder, Kindertageseinrichtungen nehmen auch kaum ungeimpfte Kinder. Es ist also nicht unwahrscheinlich daß diese Impflicht auf andere Stoffe erweitert wird, oder!? Warum nicht, wäre da wohl eher die Frage.

  • Herr Drosdowski, erweitern Sie Ihre differenzierten Betrachtungen zu Verschwörungsmythen von Rechts auch um Ideologien von Links: Critical Race Theory, den Thesen Robin DiAngelos und Ibram X. Kendis - Ideologien, auf die der Begriff ‘Verschwörungsmythen’ auch passen dürfte, Ideologien, die tief in die Grundraster unseres Realitätsverständnisses eingreifen.

    Gemäß diesen Ideologien werden die westlichen Gesellschaften von einer Substanz namens ‘Whiteness’ durchdrungen, noch in den feinsten Verästelungen des Denkens und Fühlens, in allem und jedem, in allen und jeden, in Wort und Bild ist sie enthalten’; ‘strukturell’ und ‘systemisch’ reproduziert sich anonym und automatisch ‘White Supremacy’: patriarchale Macht und Herrschaft.

    Verschwörung ohne Verschwörer?

    Vernunft, Rationalität, Faktizität, Objektivität und Wissenschaft werden sowohl von rechten Verquerdenkern, als auch von Anhängern der genannten Ideologien, die sich selbst ‘die Erwachten’ nennen, abgelehnt: einmal als lügenhafte Projekt der Eliten, das andere Mal als westliche, patriarchale Konstrukte, die dazu dienen, die Macht 'weißer Männer' zu reproduzieren.

    ‘Objektivität’ wie ‘Wahrheit’ werden nur noch in Anführungszeichen geschrieben – Objektivität ist unmöglich, und Wahrheit ist standpunktabhängig – und verflüchtigt sich ins Relative, Beliebige. Wahrheit ist ein Konstrukt weiße, patriarchaler Mächte.

    ‘Gelebte’ subjektive Erfahrung von als kollektiv gedachten Identitätsgruppen sind die Standards der neuen ‘Wahrheit’.

    ‘Indigenes Wissen’ vs. ‘westliches Wissen’ , ‘holistische (weibliche) Ganzheitserfahrung vs. analytische westliche (männliche) Wissenschaft.

    Mathematik ist ‘weiß’, und Präzision ist ‘White supremacy’.

    ‘Weiße’ und nicht-konforme Autoren und Bücher, und Werke, die Worte enthalten, die ‘jemanden verletzen könnten’ oder Sätze, ‘die interpretiert werden könnten als’ werden verbannt...

    Ich fürchte, Vernunft und Rationalität sind heute in einer Zwickmühle.

  • Zitat: "Ideen werden hineingetragen durch Eltern, Schüler*innen, Lehrkräfte – auch Verschwörungsmythen."

    Die Ideen, die von SchülerInnen in die Schulen hineingetragen werden, stammen leider inzwischen massiv aus (a)sozialen Medien, wie so vieles Bedenkliches, das dann die Köpfe der Jugendlichen in Beschlag nimmt.

    Es ist inzwischen absolut überfällig, zumindest für einen gewissen Zeitraum ein Fach "Medien" einzuführen, in dem alles zur Funktionsweise alter und neuer Medien unterrichtet wird, aber auch über die Konzerne dahinter informiert wird. Ein Schwerpunkt müsste auf der Funktionsweise von Algorithmen und Arten der Manipulation durch Medien liegen.

    Die Jugendlichen haben im Großen und Ganzen keine innerlichen Abstand zu dem, was sie im Internet tun, und reflektieren dieses nur, wenn entsprechende Initiativen aus eher bildungsnahen Elternhäusern kommen.

    Wenn wir dieses Problem nicht verstärkt ernst nehmen, überlassen wir die Jugendlichen dem Zufall dessen, über was sie im Netzt stolpern, und das sind verstärkt Foren mit insgesamt kruden, antidemokratischen Ideologien, deren Betreiber das Netz bestens zu nutzen wissen.

    Neben den berechtigten Forderungen nach besserer Digitalisierung für Schulen muss dieses Thema endlich mit bedacht werden! Als Lehrerin macht mir diese Ignoranz der bereits jetzt offensichtlichen negativen Folgen des Internets für Jugendliche und damit für das weitere gesellschaftliche Miteinander große Sorgen.

    • @cazzimma:

      Vielen Dank. Das ist ein wirklich guter Vorschlag.



      Als Lehrmaterial für dieses neue Fach empfehle ich die WDR-Doku "Deutschlands Weg in den Kosovo-Krieg - Es begann mit einer Lüge" oder die ARTE-Doku "Operation Täuschung -Die Methode Reagan".

      • @wollewatz:

        Gut gemeint, aber Jugendlichen müssen Sie schon erstmal zumindest mit Sachen kommen, zu denen sie einen Bezug haben.