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Arbeitsbedingungen auf dem FeldAuch Frauen ernten Erdbeeren

Immer mehr wird in Deutschland über die Arbeitsbedingungen von Ern­te­hel­fe­r:in­nen gesprochen. Gut so. Doch Frauen bleiben dabei meist unsichtbar.

Eine Erntehelferin pflückt Erdbeeren im niedersächsischen Langenhagen Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

V or ein paar Tagen habe ich zum ersten Mal in diesem Jahr Erdbeeren gekauft. Während ich die Schale nach Hause trug und mir verbat, eine ungewaschen zu snacken, waren in meinem Kopf nur Erdbeeren und immer mehr Fragen. Wie konnten die so rot werden, auf einem Erdbeer- und Spargelhof im Süden Hamburgs, nach monatelangem November? Und: Wer hat die gepflückt?

Im vergangenen Jahr interessierten sich plötzlich sehr viele dafür, wer unsere Erdbeeren erntet und den Spargel sticht. Beziehungsweise, wer es in der Pandemie plötzlich nicht mehr tun würde. An dieser Debatte ließen sich viele schreckliche Dinge deutlich machen, über Deutschland, die Wirtschaft und die Welt. Was im letzten Jahr in all dem Chaos aber übersehen wurde: Erntehelfer sind immer männlich.

Das ist natürlich Blödsinn. Ern­te­hel­fe­r:in­nen haben verschiedene Geschlechter. Aber denken Sie mal an einen Spargelstecher. Wen haben Sie da vor sich? Nicht nur das an dieser Stelle ausgelassene Gendern der Berufsbezeichnung verstärkt diese Vorstellung, sondern auch das Wort an sich: ein Spargel-Stecher.

Während ich mir zu Hause die mittlerweile gewaschenen und wirklich schon sehr süßen Früchtchen in den Mund schob, googelte ich „Frauenanteil Erntehelfer Statistik“. Zahlen zur Geschlechterverteilung konnte ich nicht finden, dafür, dass 95 Prozent der Ern­te­hel­fe­r:in­nen Aus­län­de­r:in­nen sind. Und dass es überhaupt wirklich Spargelstecherinnen und Erbeerpflückerinnen gibt, natürlich. Warum erzähle ich das trotzdem? Erstens aus Prinzip. Frauen sollten überall sichtbar sein, als Abteilungsleiterin, als Pflegerin und eben auch als Erntehelferin. Zweitens erleben Erntehelferinnen Dinge, die sich auf ihre Kollegen nicht oder anders auswirken.

Im Podcast „Warum eigentlich?“ berichtet Lisa Bolyos von der Organisation „Sezonieri“, die in Österreich für die Rechte von Ern­te­ar­bei­te­r:in­nen kämpft: Arbeiterinnen oder ihre Partner:innen, die unter sehr schweren Bedingungen Gemüse anbauten, hätten ihnen erzählt, dass sie sich Kinder gewünscht hätten. Schwanger seien sie aber nicht geworden. „Als sie nach einem Arbeitskampf aufgehört haben, dort zu arbeiten, war es ihnen möglich, sich den Kinderwunsch zu erfüllen“, sagt Bolyos. „Das hat mich deswegen so beeindruckt, weil es bei der körperlichen Gesundheit, aber eben auch bei der seelischen Gesundheit Bände spricht.“

Die Journalistinnen Pascale Müller und Stefania Prandi haben schon vor Jahren recherchiert, dass Tausende Erntehelferinnen in Europa sexuell belästigt, beleidigt und vergewaltigt werden. Wenn Ar­beit­ge­be­r:in­nen und Po­li­ti­ke­r:in­nen also die Ausbeutung ausländischer Ern­te­hel­fe­r:in­nen zu stoppen gedenken, würde dazu auch gehören, geschlechtsspezifische Aspekte mitzudenken.

Ich habe noch weiter überlegt und gemerkt, dass auch Lieferando-Fahrer:innen in meinem Kopf vor allem Männer sind. Wussten Sie eigentlich, dass Anfang der 1970er Jahre von den Gast­ar­bei­te­r:in­nen jeder Dritte eine Frau war?

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Susan Djahangard
Susan Djahangard arbeitet von Hamburg aus als freie Journalistin. Für die taz schreibt sie vor allem die Kolumne "Sie zahlt" über Feminismus, Geld und Wirtschaft.
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6 Kommentare

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  • Die Klasse ist das Entscheidende. Bitte versuchen Sie nicht einen Interessen widerspruch zwischen den Geschlechtern herbeizufabulieren.

  • Baustellen wurden wohl wissentlich ausgelassen oder sind eh nicht im Blickfeld, weil dort alleinig das gesammelte Patriarchat arbeitet. Echt jetzt, was soll das?

  • wir schräg ist dieser Artikel ?



    wollen sie als Frau.. ja als gleichberechtigte ...Nachts um 23 Uhr als Lieferando AUSLIEFERIN PIZZA zustellen ? frischauf Redakteurin nicht von dieser Welt !

    • @Pace#:

      ins around - diese Dauerbrenner inne taz - sind einfach unterirdisch - wa! 🙀 -

      kurz - Soviel - Nassen-Hut-mit-alter-Krempe-auf - ist echt selten! Newahr.



      Na - Si’cher dat. Dat wüßt ich ever.



      Da mähtste nix.



      Normal.

  • Helf mal - wa!

    Also damals in den Ardennen - also lang vor ehra Zeit! Gelle.



    Da pflückte ich bei Gurken-Kalli - auf dem Gelände von Müller-Gr.Parin!



    (Einem bekannten Ringer der Weimarer-Zeit!;)Rote Johannisbeeren!



    Und Däh! Da kamen uns die übrigen - liggers ausschließlich Frauen!



    Aber schwer auf‘s Dach! Hatten wir Sausäcke doch zügig unsern Pflückkorb vollgezockt!



    & logo - wa!;))



    Zogen stikum!! zum nächsten Busch(wir wußten schonn weswegen - wa!;)



    Und wollten Kohle sehen! Au Backe!



    “Nix da!“ Zog das Gewittergeschwader los!!!



    ”Erst wird der Busch - LEERGEPFLÜCKT!! - BASTA!!!“ - 🙀 -



    “Ihr Lümmels! Wi kaamt ju glikks!“ Faustgeschüttel!! 🤣

    unterm——-& nochens —



    Spargelstechen?! Klar ne Frau! Liggers.



    Ming Mouder zeigte mir wie‘s geht!;))



    (btw Einige Zeit nachdem großes Bruderherz & icke die zwei Beete angelegt unter ihrer Ägide - olle Böttner & Co. - kundig angelegt hatten! Newahr.



    Normal & LECKER 😋

  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Jeder 3. Gastarbeiter*in war eine Frau. Ja klar, vor allem aus Kroatien, Serbien und der Türkei. Sie standen bei Siemens, Telefunken oder Krone am Band oder in der Kontrollabteilung und montierten Telephone für die Post oder Fernseher für die Deitschen.