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Essayband über Natur und MenschDer Garten, den wir haben

Migrierende Pflanzen und wandernde Grenzen: „Paradise Now“ von Violeta Burckhardt und Günther Vogt ist eine unterhaltsame Essaysammlung.

Arbeiter decken den Schneeferner-Gletscher auf der Zugspitze bei Garmisch-Partenkirchen ab Foto: picture alliance / dpa

Das Frühjahr ist Gartenzeit – zumal in der Pandemie. Wenn sonst nichts zu tun ist: Aussäen und Umgraben geht immer. Wer es eher theoretisch mag, kann im Liegestuhl über das Wesen des Gartens philosophieren. Der schmale Essayband der LandschaftsarchitektInnen Günther Vogt und Violeta Burckhardt, eignet sich dafür perfekt.

Unter dem verheißungsvollen Titel „Paradise Now“ werden am Beispiel menschengeformter Landschaften die Grenzen zwischen Natur und Kultur ausgelotet, die sich im Anthropozän zunehmend verschieben. Anhand verschiedener Gartenmodelle zeigen Vogt und Burckhardt auf, wie der Mensch Natur modelliert und das Land gleichzeitig den Menschen kultiviert.

Die Gedankenreise beginnt im Iran des 6. Jahrhunderts. Dort herrschte bereits die Vorstellung des Gartens als einem von der großen Welt abgegrenzten intimen Raum: Aus dem Altpersischen pairi (herum) und daeza (Mauer) entwickelte sich das Garten-paradies, in dem Wege, Wasserkanäle und bepflanzte Flächen der Nahrungsmittelproduktion, Erholung und Kulturproduktion dienen.

Im 21. Jahrhundert fließen die Grenzen zwischen dem „wohlgeordneten“ Erhalten des Gartens und dem „Zufälligen der freien Natur“ immer öfter ineinander. Etwa im Saatguttresor im norwegischen Spitzbergen.

Ein Paradies, das nur wenigen offensteht

Den unterirdischen Bunker, in dem Samenkörner aus aller Welt katastrophensicher eingelagert sind, lesen Vogt und Burckhardt als „potenziellen“ Garten: „Ein zukünftiger Wald, eine andere Erde. Hier schlummern Landschaften und wohnen Verbündete einer kommenden Welt; einer Welt, für die plausible wissenschaftliche Prognosen ein düsteres Bild zeichnen.“

Das Buch

Violeta Burckhardt/Günther Vogt: „Paradise Now. Die neuen Grenzen des Gartens“. Matthes & Seitz, Berlin 2021, 94 S., 15 Euro

Freilich, so konstatieren sie, ist auch dies ein Paradies, das nur wenigen offensteht: Dem Träger Global Crop Diversity Trust und seinem ökologischen Archegedanken misstrauen besonders Entwicklungsländer und kleine Produzenten, die befürchten, ihr kulturelles Erbe dem Patenthunger der globalen Agrarindustrie auszuliefern.

Interessant auch die Überlegungen zu den Grenzen im alpinen Lebensraum: Der Essay rekapituliert im Schnelldurchlauf, wie das Gebirgsmassiv von einer geografischen Barriere zum überstrapazierten Tourismuspark avancierte, in den abenteuer- und erholungssuchende Menschen immer weiter vordringen – während die Erderwärmung die Vegetationslinie immer weiter nach oben verschiebt.

Die Versuche der Schweiz, das Abschmelzen der Gletscher und die Verkleinerung der Skigebiete durch Planenabdeckungen und Schneekanonen aufzuhalten, sind in den Augen der AutorInnen so amüsant wie starrsinnig. Einleuchtender scheint ihnen der Pragmatismus, mit dem sich Italien und die Schweiz auf eine „bewegliche Grenze“ verständigt haben.

Liegestuhlkompatible Erkenntnis

Da der Klimawandel die Ländergrenzen buchstäblich ins Rutschen bringt, verlangt die Umfriedung des territorialen „Gartens“ fluide Lösungen. Auch die Migration der Pflanzen ist den Menschen entglitten, wie das Beispiel der Chinesischen Hanfpalme (Trachycarpus fortunei) zeigt.

Am schweizerisch-italienischen Lago Maggiore siedelten wohlhabende Bürger im 15. Jahrhundert die Zierpflanze an, um damit die Gärten ihrer Villen zu schmücken. Inzwischen hat sich das Gewächs derart vermehrt, dass es ikonisch sämtliche Ansichtskarten der Region ziert. Als Ornament willkommen, wurde die pflanzliche Migrantin vom Schweizer Bundesamt für Umwelt zur Gefahr für die lokale Biodiversität erklärt.

Gewächshauslandschaften unter künstlichem Licht, Solarfelder, unterseeisch gezündete Bomben: Vogt und Burckhardt nehmen die LeserInnen mit in die Höhen menschlicher Naturbeherrschung und in die Tiefen ihrer Zerstörung. Auch wenn sich der Mensch vermeintlich unabhängig gemacht hat von der Natur, so die Botschaft des Buches, ist er doch unfähig, die langfristigen Wechsel- und Nachwirkungen dieser Eingriffe zu kontrollieren.

Von der neuen Wildnis in der Sperrzone um Tschernobyl bis zu den Hochgeschwindigkeitskabeln unter der Arktis, vom problematischen Begriff des „Naturerbes“ bis zum vertikalen Farming rund um London – „Paradise Now“ ist eine unterhaltsame wie lehrreiche Gedankenreise. Am Ende steht die liegestuhlkompatible Erkenntnis, dass „die Erde unser größter Garten ist und der einzige, den wir haben“.

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