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Konferenz zur KlimaneutralitätIndien geht auf Konfrontationskurs

Die internationale Klimadiplomatie kommt immer wieder zu der Frage zurück, vor der sich vor allem die reichen Länder gern drücken: Was ist gerecht?

Sichtlich verstimmt: Indiens Energieminister Raj Kumar Singh bei der virtuellen Konferenz der IEA Foto: IEA-COP26 Net Zero Summit/youtube/screenshot taz

Berlin taz | Neutralität ist das Wort der Stunde in den internationalen Debatten um Klimaschutz. Bis 2050 will zum Beispiel die Europäische Union klimaneutral werden. Das heißt: höchstens noch in einem Tempo Treibhausgase ausstoßen, dass Bäume, Moore und möglicherweise auch Technologien sie vollständig wieder aus der Atmosphäre herausziehen.

Die USA wollen in dem Zeitraum CO2-neutral werden – gleiches Prinzip, aber eben nur auf das Treibhausgas Kohlendioxid bezogen, nicht etwa auch schon auf Methan und Lachgas. China will an diesen Punkt zehn Jahre später kommen, also 2060.

Auf einer virtuellen Konferenz der Internationalen Energieagentur am Mittwoch hat Indien diese Herangehensweise nun kritisiert: Zu vage findet der indische Energieminister Raj Kumar Singh diese langfristigen Ziele, wie er in einer Gesprächsrunde mit Ver­tre­te­r:in­nen mehrerer Länder sagte.

„Wir hören von Ihnen, dass Ihre Länder 2050 oder 2060 klimaneutral werden wollen – aber 2060 ist weit weg“, wandte er sich vor allem an den US-Klimabeauftragten John Kerry, EU-Klimakommissar Frans Timmermans und Chinas Energieminister Zhang Jianhua.

Eine Frage der Fairness

„Was Sie in den nächsten fünf Jahren machen, das wollen wir wissen“, sagte Singh ungewöhnlich scharf für einen informellen Gipfel, bei dem es mehr um Austausch als um konkrete Verhandlungen geht.

Auch Wis­sen­schaft­le­r:in­nen mahnen an, dass bisher nicht plausibel ist, wie die hehren Langfristziele erreicht werden sollen. „Wir sehen die Emissionen noch bis nach 2030 steigen, was die Regierungen nicht auf den richtigen Pfad für ihre ambitionierten Klimaneutralitätsversprechen bringt“, sagte Bill Hare vom Thinktank Climate Analytics im Dezember bei der Vorstellung einer ensprechenden Analyse. „Die kurzfristigen Ziele sind nicht ein bisschen, sondern total auf Abwegen.“

Bei Singhs Aussagen schwingt auch mit, dass Indien selbst unter Druck steht zu benennen, wann es die Emissionen netto auf null senken, also klima- oder CO2-neutral werden will.

Zu Beginn der Konferenz rief Alok Sharma, den die britische Regierung zum Präsidenten der nächsten Weltklimakonferenz in Glasgow ernannt hat, alle Länder dazu auf, „sich der Netto-Null-Welt zu verpflichten“.

Singh argumentierte, dass eine solche Anforderung für Entwicklungsländer unangemessen sei, weil sie zur Klimakrise weniger beitragen. An die Ver­tre­te­r:in­nen der reicheren Länder gewandt sagte er: „Sie haben Länder, die den weltweiten Durchschnitt bei den Emissionen pro Person um das vier-, fünf-, sechs- oder zwölffache übersteigen.“

Unter dem Kyoto-Protokoll, dem Vorgänger des aktuell gültigen Pariser Weltklimaabkommens, gab es auch formell die Unterteilung in Industrie- und Entwicklungsländer. Nur erstere waren zum Klimaschutz verpflichtet, letztere lediglich dazu angehalten.

Die Begründung: Erstens haben reiche Länder im globalen Norden den Klimawandel hauptsächlich verursacht und zweitens haben sie mehr Geld, um Maßnahmen dagegen zu ergreifen.

Diese strikte Trennung haben die Staaten mit dem Paris-Abkommen größtenteils aufgehoben – unter anderem, weil die Trennlinien bei den Emissionen und den finanziellen Ressourcen in einigen Fällen verschwimmen.

China etwa ist längst der größte CO2-Emittent, wenn auch nur in absoluten Zahlen, nicht pro Einwohner:in. Und Katar hat das zweitgrößte Pro-Kopf-Einkommen auf der Welt. Trotzdem gelten beide als Entwicklungsländer.

Kriterien dazu, welches Land wie viel zum internationalen Klimaschutz beitragen muss, liefert das Paris-Abkommen nicht. Deshalb flammt der Streit darüber immer wieder auf.

Ein globales CO2-Budget fehlt

Er ist zuweilen diffus, weil sich die Staaten noch nicht einmal darauf geeinigt haben, wo die 100-Prozent-Marke beim Klimaschutz liegt. Sprich: Wie viel Risiko man in Kauf nehmen will, bei einem katastrophalen Klimawandel über 1,5 Grad oder zwei Grad Erderhitzung zu landen – und wie viel Treibhausgas entsprechend noch insgesamt in die Atmosphäre gelangen darf.

Berechnungen für verschiedene Szenarien mit unterschiedlichem Risiko gibt es zum Beispiel vom Weltklimarat IPCC, aber entscheiden muss sich die Politik. Solange wird zwangsläufig darüber diskutiert, wie man ein Budget aufteilt, das noch gar nicht bestimmt ist.

Bislang setzen die meisten Staaten statt auf mengenbasierte Ziele eben auf Zeitmarken, zum Beispiel die Klimaneutralität in einem bestimmten Jahr. „Wenn Sie bis dann noch wie jetzt weiter emittieren, überlebt das die Welt nicht“, warf Singh seinen Ge­sprächs­part­ne­r:in­nen vor.

Je nachdem, wie die Kurve der Emissionsreduktion bis zur Klimaneutralität aussieht, kann das schließlich sehr unterschiedliche Mengen an Treibhausgas bedeuten. Die Jahreszahl ist für sich genommen also nicht sehr aussagekräftig.

In der Europäischen Union ist diese Diskussion angekommen. Dort verhandeln das Parlament und der Rat der EU-Regierungen gerade über ein neues Klimagesetz. Das soll die Klimaneutralität im Jahr 2050 in die Umsetzung bringen – also genau von dem vagen Versprechen wegbringen, das Singh kritisiert.

Das EU-Parlament drängt darauf, zumindest ab dem Zwischen-Klimaziel für 2040 einen Budget-Ansatz zu verfolgen. Der Ministerrat sperrt sich in der Frage bisher.

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8 Kommentare

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  • "dass eine solche Anforderung für Entwicklungsländer unangemessen sei, weil sie zur Klimakrise weniger beitragen."

    Doch es ist angemessen:



    * a.) hat jeder die gleiche Verantwortung



    * b.) auch wenn der pro Kopf Verbrauch in Indien niedriger sein sollte, dürfte dort mindestens 1/4 der wachsenden Weltbevölkerung leben - alleine das ist ein großer Teil des Problems: zu viele Menschen, die alle Wohlstand und somit Energie wollen

  • Pro Kopf hat China einen 60% höheren CO2 Ausstoß als Frankreich, bietet seinen Bürgern aber gerade mal ein Drittel des französischen BIP pro Kopf kaufkraftbereinigt.

    Der tschechische CO2 Ausstoß pro Kopf ist höher als der deutsche, und mehr als doppelt so hoch wie der französische.

    Dass Wohlstand = CO2 ist zu simpel gedacht. Es liegt viel daran, wie man es macht.

    • @Descartes:

      Ich kann jetzt die genau gegenteiligen Beispiele finden: die Niederlande liegen 20% und Kanada 100% über China und Tschechien hat nur 2/3 des Ausstoß von Luxemburg.



      Mit Frankreich haben sie sich einen der wenigen Sonderfälle unter den westlichen Staaten gezogen der aufgrund seiner hohen Kernenergiequote bei dem CO2 Ausstoß vergleichsweise gut dastehen. Aber die Gefahren und Umweltrisiken dieser Energiegewinnung fliesen nicht ein.



      Bei den Zahlen für China muss man berücksichtigen, dass ca. 1/3 der Emissionen der Erzeugung von Konsumgütern für die Industrieländer anfallen und damit eigentlich diesen zugerechnet werden müssen.



      Des weiteren bildet der CO2 Ausstoß nur ca. 75-80% der Klimagase ab.



      Zum Schluss: alle genannten Länder liegen massiv über den Werten die für ein Einhalten des 2 Grad Ziels erforderlich sind, da müssen wir global auf ca 2 t pro Kopf und Jahr CO2 Äquivalente (also alle Klimagase eingerechnet). Da muss auch Frankreich noch auf 1/3 seines jetzigen Wertes abspecken.

      • @Ressourci:

        werden in Deutschland auch die Exporte abgezogen oder bloss China?



        Zählt bei Tourismus das Ursprungsland oder das Zielland ?

  • Indien und auch andere Länder mit weniger pro Kopf Verbrauch sind oft Länder mit struktureller Armut. Die Gesamtemmision des Landes bildet daher kein ausreichendes Bild. Die dünne Mittelschicht und die Oberschicht, eben die, die konsumieren und verbrauchen sollten herangezogen werden. Denn es geht letztlich um einen als Wohlstand bezeichneten Lebensstil, der sich ändern muss. Und das überall auf der Welt.

    • @llorenzo:

      Nun aber dieser Lebensstiel bringt halt auch moderne Medizin, Hochtechnologie, das erweitern unseres Wissens,...erforschen des Alls

      Wenn wir dies erhalten wollen - und ich will das - geht das nur wenn wir die Bevölkerung des Planeten auf deutlich unter 3 Milliarden drücken.

      • @danny schneider:

        Bei aktuell fast 7,9 Mrd. Menschen dauert des ungefähr und noch ein paar Jahrzehnte mehr, selbst wenn wir weltweit ab morgen mit unter 1 Kind/Frau anfangen würden.



        "Moderne Medizin, Hochtechnologie, das erweitern unseres Wissens,...erforschen des Alls" machen den Kohl ned fett, da muß mensch an anderen Schrauben drehen; Kreislaufwirtschaft, Energieeffizienz/, weniger Fleisch/Fisch, generell keine Verschwendung und sinnloses Verballern der Umwelt usw. usf. . Und so vernachlässigte Bereiche wie sparsames Programmieren und Speichern; das I-Net gibts schon 25+ Jahre, seitdem sind die Rechner mindestens um den Fakton 20 schneller und speichertechnisch größer geworden. Sooo viiel mehr als um 2000 rum kann mensch aber auch ned machen, Windows 98 hatte ca. 200 Mbyte Speicherbedarf, Windows 10 ist bei mindestens 16 Gbyte.

      • @danny schneider:

        Wer ist "wir"? Und wie soll gedrückt werden? Militärisch? Oder ökonomisch (aushungern)? Unrealistische Wünsche helfen leider niemanden weiter. Den UN-Projektionen zufolge wird die Weltbevölkerung zumindest noch eine Weile ansteigen und erst dann (den weniger pessimistischen Szenarien nach) langsam abfallen.