piwik no script img

Corona und Tansania-TourismusAbseits der Herden

Nur wenige Touristen kommen. Doch ohne Gäste faszinieren Serengeti und Sansibar umso mehr. Darf man deshalb dorthin reisen?

Eine große Herde Gnus überquert einen Fluss Foto: imago images

Lange ereignet sich gar nichts. Doch als niemand mehr damit rechnet, geht alles ganz schnell: „Es fängt an! Es hat schon angefangen!“, schreit eine Stimme aus dem Funkgerät. Fahrer Robert dreht den Zündschlüssel, legt den Gang ein und brettert los. Das Ziel ist nur wenige Hundert Meter entfernt, doch es gilt, keine Zeit zu verlieren. Auf das, was wir gleich zu sehen hoffen, haben wir mehr als drei Stunden gewartet. Als der Jeep das Ufer erreicht und den Blick auf den Fluss freigibt, ist das Spektakel in vollem Gang.

Ein Gnu nach dem anderen stürzt mit lautem Blöken von der Uferböschung in das schlammige Wasser des Mara River und versucht im Gefolge seiner Artgenossen die andere Seite zu erreichen. Etwa hundert Tiere haben die gegenüber liegende Böschung schon erklommen, doch einige Tausend drängen nach. Das Wasser schäumt, die Tiere brüllen, doch es gibt kein Zurück.

Das Ereignis trägt Züge einer Massenpanik, doch es ist nichts weniger als das. Das Phänomen des river crossing, das sich in der Serengeti von Juni bis September im Norden des Nationalparks nahe der kenianischen Grenze ereignet, bedeutet Evolution in Echtzeit, ein gewaltiges Uhrwerk aus Arterhalt und Herdentrieb. Wer sich nicht anpasst, geht verloren.

Ausgelöst wird das Drama durch die Wanderbewegungen von etwa zwei Millionen Tieren, darunter vor allem Gnus, aber auch Zebras und Gazellen, die auf der Suche nach frischen Weideflächen Regenzeiten und Wetterperioden folgen und dabei im Jahreszyklus mehrere Tausend Kilometer zurücklegen. Auf einem Planeten, auf dem sich frei lebende Tiere überall auf dem Rückzug befinden, steht die great migration für die größte und letzte Massenwanderung von Wildtieren.

Dramatisches Geschehen

Privilegiert, wer das Ereignis aus nächster Nähe beobachten darf. Während in normalen Zeiten fünfzig und mehr Touristen-Jeeps an der Uferzone des Mara River in zweiter und dritter Reihe parken, stehen hier heute nur ein halbes Dutzend Fahrzeuge. Corona hat den Tourismus in der Serengeti ausgebremst, die Lodges haben kaum Gäste. Wer dennoch gekommen ist, genießt einen unverstellten Blick auf ein zunehmend dramatisches Geschehen.

Etwa auf jenes Krokodil, das an der schlammigen Wasseroberfläche aufgetaucht ist und die vorbeistampfenden Kuhantilopen aufmerksam beobachtet. Was hier jederzeit passieren kann, ist nicht unbedingt kindgerecht, sondern ein blutiges Gemetzel, das sich allzu sensible Menschen besser nicht anschauen sollten. Zumal auch jene Gnus, die den hungrigen Reptilien entkommen, noch nicht gerettet sind.

Manch schwächeres Tier verendet entkräftet im Schlamm der Uferzonen, bricht sich die Beine an den Felsen oder ertrinkt panisch im strudelnden Wasser – ein extremes wie grausames Auswahlverfahren, das bereits beim Anblick entsprechender Youtube-Videos einigermaßen schockierend wirken kann. An diesem heißen Nachmittag immerhin geht alles gut aus. Die Uferzonen sind relativ flach und trocken, die Tiere können ungehindert überwechseln. Auch das Krokodil hat offenbar keine Lust, in Aktion zu treten und ist ohne Attacke wieder ins schlammige Nichts abgetaucht.

Für Tansanias von Corona gebeutelter Tourismusbranche könnte die Szenerie kaum symbolischer sein: Ein Virus, das reptiliengleich im Unsichtbaren lauert und kaum einzuschätzen ist, und ein Heer meist informell beschäftigter Menschen, für die das Ausbleiben der Touristen eine böse Dürreperiode darstellt. Auch für Jeep-Fahrer Robert wird die heutige Tour der vermutlich einzige Job des Monats bleiben: „Es kommt einfach niemand mehr. Wann ich wieder Arbeit haben werde? Ich weiß es nicht“, sagt der 58-Jährige, der Touristen seit über dreißig Jahren durch die Serengeti fährt.

Keine Coronastrategie

Die Coronapolitik des im März überraschend verstorbenen Präsidenten John Magufuli hat in den vergangenen Monaten wenig dazu beigetragen, die Reputation des ostafrikanischen Landes zu stärken. Nachdem der Staatschef im Sommer vergangenen Jahres die Kooperation mit der WHO aufkündigte und keine Coronazahlen mehr an die Organisation übermitteln ließ, war die internationale Empörung groß. Westliche Medien kritisierten den seit 2015 regierenden Politiker als unverantwortlichen, selbstherrlich agierenden Coronaleugner, dem populistischer Machterhalt wichtiger sei als Pandemiebekämpfung und Prävention. Tansania galt fortan als Land der „Covidverweigerer“.

Als der 61-Jährige auch noch die Glaubwürdigkeit von Impfstoffen und Tests in Frage stellte, Dampfbäder und Teeaufgüsse gegen das Virus empfahl und die Bevölkerung zum kollektiven Kirchen- oder Moscheegebet gegen die Krankheit aufforderte, schien das im Westen beliebte Feindbild des weltfremden afrikanischen Autokraten ein weiteres Mal perfekt.

Für die Tansanier selbst stellte sich die Coronastrategie des verstorbenen Präsidenten weitaus weniger eindeutig dar. Zwar galt der Politiker im Umgang mit der Opposition als rücksichtslos, jedoch verfügte er im Land über eine treue Anhängerschaft, die ihm im November einen letzten, ungeachtet einiger Manipulationen, ziemlich deutlichen Wahlsieg bescherte.

Magufulis Coronastrategie dürfte dazu erheblich beigetragen haben. Der Verzicht auf Lockdown und andere Zwangsmaßnahmen sowie die Fortführung des öffentlichen Lebens haben die wirtschaftliche Großkatastrophe des Landes einigermaßen verhindert. Das staatlich verordnete business as usual greifen Hoteliers, Gastronomen und Reiseveranstalter gern auf.

Tourismus um jeden Preis

Das idyllische Narrativ eines weitgehend coronafreien Landes wird gegenüber ausländischen Gästen gern reproduziert – zum einen weil es beruhigend und bequem klingt, zum anderen aber auch weil es von vielen Tansaniern als wahr erachtet wird. „In den ersten Wochen war alles geschlossen, jetzt ist alles wieder normal. Wir haben hier so gut wie keine Fälle“, berichtet in Sansibars Hauptstadt Stonetown ein Kellner des beliebten Restaurants Luukman, auf dessen Dachterrasse einheimische Gäste und Touristen dicht an dicht sitzen und Maskenschutz unbekannt scheint.

Das gegenüber Tansania teil­autonome Sansibar, eine Inselgruppe vor der Küste Ostafrikas, kann auf regelmäßige Feriengäste noch weniger verzichten als die Nationalparks auf dem Festland, die die touristischen Einnahmen zur Aufrechterhaltung ihrer Infrastruktur benötigen. Die meisten der 1,2 Millionen Einwohner sind arm und fast vollständig vom Tourismus abhängig. Jenseits des Fremdenverkehrs und eines internationalen Drogenhandels, der auch auf Sansibar seit einigen Jahren seine Krallen einschlägt, passiert ökonomisch nicht viel. Nach dem Aufstieg zur Drehscheibe des ostafrikanischen Sklavenhandels, einer ertragreichen Exportperiode als Gewürzinsel und schließlich der Integration in den globalen Tourismus schien Covid-19 im vergangenen Jahr der vorläufige Kontra- und Nullpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung.

„2020 war wirklich schlimm. Über mehrere Monate hatten wir so gut wie keine Gäste“, sagt Simon Beiser, dessen Familie in Jambiani an der Ostküste mit dem Blue Oyster ein kleines Ökohotel betreibt. „Dennoch haben wir keinen unserer dreißig Mitarbeiter entlassen“, so der Hotelier, der daran erinnert, dass in diesem Teil der Welt von einem Gehalt oft fünf oder auch acht Menschen miternährt werden müssen. Bricht der Tourismus zusammen, bleibt für die Entlassenen meist nur die Rückkehr auf die Felder und die Bewirtschaftung von Maniok oder Bananen.

Die Trendumkehr immerhin scheint inzwischen gelungen. Insbesondere mit neuen Charterverbindungen aus Russland hat sich die Ferieninsel innerhalb weniger Monate einigermaßen aus der Krise herausgearbeitet. Täglich mindestens zwei Flugzeuge mit russischen Gästen sorgen dafür, dass diese in den Hotels inzwischen fast die Hälfte der Urlauber ausmachen. Weil die Behörden für die Einreise kein negatives Testergebnis verlangen, tummeln sich auch wieder lockdownmüde Gäste aus Ländern wie Deutschland oder Italien an den Stränden.

Die mediale Empörung aus dem Westen ließ jedoch ebenfalls nicht auf sich warten: Reportagen über ebenso partyselige wie pandemievergessene Urlauber suggerierten das Bild einer Feriendestination, deren Tourismusindustrie ebenso unverantwortlich handelt wie die örtlichen Behörden.

David Heidler, Geschäftsführer des Leipziger Afrika-Veranstalters Akwaba Afrika, hält solche Kritik für wohlfeil. „Die einseitige Berichterstattung in Deutschland über Tansania in der Coronakrise, aber auch die pauschalen Warnungen des Auswärtigen Amtes haben uns wirklich sehr frustriert. Vieles wurde aus dem Zusammenhang gerissen und verzerrt. Dass die Hygienemaßnahmen in den meisten Hotels vorbildlich sind und auch die Airlines sehr gute Sicherheitskonzepte haben, wird häufig verschwiegen. Urlaub in Tansania ist unter diesen Bedingungen nicht gefährlicher als auf Mallorca oder an der Ostsee“, argumentiert der 31-Jährige, der vier Jahre in Tansania gelebt hat und fließend Suaheli spricht.

Für den studierten Afrikanisten zeigt sich in solchen Berichten nicht zuletzt das antiquierte Afrikabild des Westens, für den der Kontinent noch immer vor allem Schauplatz selbst verschuldeter Katastrophen wie Ebola oder Aids sei. Dass Krisen in Afrika oft mit begrenzten Mitteln erfolgreich bewältigt würden und der Kontinent auf vielen Ebenen wirtschaftliche und soziale Fortschritte erziele, werde hingegen gern ignoriert.

Einen Monat nach dem Tod des Staatspräsidenten und rund ein Jahr nach Beginn der globalen Pandemie erscheint die Coronalage in dem ostafrikanischen Land angesichts fehlender Meldedaten diffus und unübersichtlich. Magufulis Nachfolgerin Samia Suluhu Hassan hat angedeutet, im Umgang mit der Pandemie künftig für mehr Transparenz zu sorgen – wobei gegenwärtig unklar bleibt, ob diese Ankündigung einen echten Kurswechsel bedeutet oder eher eine taktische Reaktion auf die anhaltende internationale Kritik darstellt. Einzelne, nicht repräsentative Augenzeugenberichte über sich füllende Krankenhäuser in den großen Städten sowie Meldungen aus Angola über neue, angeblich von Reisenden aus Tansania eingeschleppte Virusmutationen ließen aufhorchen und deuten darauf hin, dass das Land kaum jene virusfreie Zone sein dürfte, als die Magufuli sie im vergangenen Jahr ausrief. Ob das die Warnungen und Horrorszenarien westlicher Medien rechtfertigt, bleibt dahingestellt.

Berichte von massenhaftem Sterben waren bisher weder auf Sansibar noch auf dem Festland zu vernehmen. Organisationen wie die panafrikanische Gesundheitsbehörde CDC kalkulieren, dass in Ländern wie Tansania aufgrund der sehr jungen Bevölkerung bis zu 90 Prozent der Corona-Infektionen symptomfrei verlaufen.

Für manchen, der vom Tourismus lebt, sind die Dinge ganz und gar eindeutig: „Sag euren Leuten zu Hause, dass sie kommen sollen“, wünscht sich Jeep-Chauffeur Robert nach dreistündiger Rückfahrt in unsere Lodge: „Nicht nur weil wir euch brauchen. Auch weil es noch nie eine bessere Zeit gab, um unser Land kennenzulernen.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Persönlich würde ich auch lieber mit einem solarbetriebenen Schiff nach Gambia reisen. Aber es ist schon interessant zu lesen, wie das eigentliche Thema des Textes, der hier kommentiert wird, komplett in den Hintergrund rückt. Allein über Ostern bis zum 5. April waren aus Deutschland nach Mallorca und zurück 532 Flüge angekündigt – trotz Pandemie, weil das politisch gewollt war. Zur Erinnerung: Am 14. Juni 2020 endete das Covid-19 bedingte, weltweise Reiseverbot. Einen Tag später stuften das RKI und das Auswärtige Amt fast komplett Afrika als Risikogebiet mit entsprechender Reisewarnung ein. Im Einzelfall geprüft wurde da wohl nichts. Aus Desinteresse, Ignoranz? Dabei ist es bisher seit heute geblieben. Der Wirtschaftsfaktor “Reisen und Tourismus”, unabhängig davon wie diskussionswürdig der ist, ist für Afrika seitdem komplett kollabiert. Das bereits im Frühjahr 2020 teils prognostizierte Massensterben durch Corona in Afrika ist zum Glück ausgeblieben – bisher und es bleibt hoffentlich so. Doch das Glück ist zugleich mal wieder Afrikas Pech, denn die desaströsen ökononomischen Auswirkungen interessieren kaum.

    • @Cineramarock:

      Mehr Informationen zur Pandemie in verschiedenen afrikanischen Ländern, fände ich auch gut und wichtig. Da ginge es dann u.a. um Impfmöglichkeiten vor Ort, Imfpfstoffzugang für die Länder, globale Impfgerechtigkeit, Kapitalinteressen. Das andere ist allgemein das Thema Tourismus bzw. Flugreisen/Kreuzfahrten und CO2-Emissionen. Das betrifft selbstredend nicht nur Flugreisen nach Afrika sondern sämtliche. Bei kürzeren Flugreisen kommt dazu, dass diese relativ einfach ohne Flugzeug umgesetzt werden können. Ich bin selbst bereits zu Mittelmeerinseln per Bus und Fähre gereist.

  • "Darf man deshalb dorthin reisen?"



    Laut Atmosfair-CO2-Emissionsrechner sind es für eine Person Hin-und Rückflug:



    4.514 kg CO2



    Zum Vergleich:



    Pro-Kopf-Jahresemission (in Äthiopien) 560 kg



    Ein Jahr Autofahren (Mittelklassewagen, 12.000 km) 2.000 kg



    Klimaverträgliches Jahresbudget eines Menschen 1.500 kg



    Eine Flugreise nach Gambia entspricht also 3 (!) berechneten Jahresbudgets. Frage zurück: Wie sollen diese wieder aus der Atmosphäre gelangen? Alternativ: wie kann eine solch große Menge an CO2-Emissionen von den Flugreisenden eingespart werden?

    • @Uranus:

      "4.514 kg CO2"



      Wo kommt denn das Gewicht her?



      Bei 2t pro Richtung sind das bei 211 Passagieren (Boeing 767-300ER) 422t.



      Die Boeing 767-300ER kann aber nur 70t Kerosin tanken.

  • Ich würde mir in der taz mehr Berichte zur Covid19-Lage in Afrika wünschen. Selber war ich im Januar in Gambia. Die Pandemie in Afrika muss viel differenzierter betrachtet werden. Die pauschalisierte Einstufung Afrikas als "Risikogebiet" ist falsch und folgenschwer.

  • Man darf hin, aber nur wenn man sich flugschämt.

  • Darf man deshalb dorthin reisen?

    Per Rad oder zu Fuß gerne.

  • "Darf man deshalb dorthin reisen?"



    Wer ist denn 'man'? Ist das eine andere Person, als "Wir" bei der BILD-Zeitung?