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Deutschland und die EnergiewendeDen Anschluss verpasst

Gastkommentar von Viviane Raddatz

Das Geburtsland der Energiewende tut sich zu schwer, sauberen Strom voranzutreiben. So lassen sich die Klimaziele kaum erreichen.

So müsste es eigentlich an mehr Orten in Deutschland aussehen: Windkraftanlagen in Feldheim Foto: Paul Langrock

M it Deutschland und der Energiewende ist es ein bisschen so wie mit der Erfindung des Fahrrads. Es wurde viel getüftelt und ausprobiert und am Anfang war alles noch sehr teuer. Aber irgendwann stimmte die Technik – die Energiewende kam ins Laufen; sie hatte quasi endlich zwei gleich große Räder und alle wollten Fahrrad fahren.

Mittlerweile aber hat Deutschland vergessen, wie man Fahrrad fährt, während andere Länder schon auf E-Bikes umsatteln. Deutschland, Geburtsland der Energiewende, hat den Anschluss verloren. Das ist nicht nur für unsere Wirtschaft gefährlich: Als eine der größten Industrienationen stehen wir in besonderer Verantwortung, was den Klimaschutz angeht. Ohne eine umfassende Energiewende hin zu sauberem Strom heizen wir aber die Klimakrise weiter an.

Damit steigt das Risiko für extremes Wetter auch bei uns. Hitzetage nehmen zu, mit teils schweren Folgen für unseren Kreislauf. Tropische Krankheiten können sich ausbreiten. Dürren auf der einen, Überflutungen auf der anderen Seite gefährden Ernährungssicherheit und Wohlstand. Ein steigender Meeresspiegel vertreibt Millionen Menschen. Leider folgt auf die Dringlichkeit aber noch kein entschlossenes Handeln. So gibt es anlässlich des Tags der erneuerbaren Energien am 24. April nichts zu feiern.

Im Gegenteil: Der Ausbau sauberer Energie aus Wind und Sonne ist drastisch eingebrochen. Im vergangenen Jahr wurden gerade einmal 6,3 GW zusätzlich geschaffen. Nötig wären 15 bis 20 GW pro Jahr, wenn Deutschland seine eigenen, ohnehin zu niedrigen Klimaziele erreichen möchte. Bei Wind waren es in der Vergangenheit auch schon einmal vier- bis fünfmal so viel in vergleichbarem Zeitraum, bis die Energiewende ins Stocken kam. Jetzt wurde sogar noch die Ausschreibungsmenge zurückgefahren.

Viviane Raddatz

ist Leiterin des Fachbereichs Klimaschutz und Energie-politik beim World Wide Fund For Nature (WWF) Deutschland. Ihr zentrales Anliegen ist, die Energie-wende entschlossen umzusetzen. Dabei geht es vor allem darum, die erneuerbaren Energien für ausreichend sauberen Strom auszubauen.

Bei der Kohlekraft hält Deutschland den Rekord

Stattdessen sind noch immer sechs der zehn größten CO2-Schleudern Europas deutsche Kohlekraftwerke – trotz Kohleausstiegsgesetz. Und das Klimaziel 2020 hat Deutschland nur erreicht, weil es unschöne Schützenhilfe von der Coronapandemie bekommen hat. Langfristig sorgt aber auch in der Politik wie in der Mathematik eine Krise (Minus) mal die andere (Minus) für ein Plus: an Emissionen. Denn der Emissionsrückgang im Zuge der Coronapandemie ist nicht nachhaltig.

Unser gesamtes zukunftsfähiges System hängt davon ab, dass uns ausreichend Strom aus Wind und Sonne zur Verfügung steht. Einmal für den unmittelbaren Stromkonsum. Aber auch für den Verkehr: Wenn etwa Tesla aus dem brandenburgischen Grünheide den deutschen Automarkt mit Elektroautos versorgt, brauchen diese Strom aus erneuerbaren Energien, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.

Und auch die Industrie braucht einen schnellen Ausbau: Kommen jetzt nicht die richtigen Signale aus der Politik, kann es passieren, dass in klimaschädliche Produktionsanlagen reinvestiert wird. Neben direkter Elektrifizierung ist für die Industrie auch die Förderung grünen Wasserstoffs wichtig – also solcher, der mithilfe erneuerbarer Energien hergestellt wird. Im großen Hype um Wasserstoff als Allheilmittel darf nicht unberücksichtigt bleiben:

Es benötigt viel Energie, um ihn herzustellen. Nur grüner Wasserstoff ist langfristig sinnvoll. Das Wirtschaftsministerium unter Peter Altmaier hat lange den tatsächlichen künftigen Strombedarf heruntergespielt. Abgesehen davon, dass es im Interesse alter Wirtschaftszweige wie der Kohle lange Strukturveränderungen verzögert hat.

Was leider im Sinne keines Wirtschaftszweiges ist – weder dem der Kohle, deren Arbeitnehmenden mit Verzögerungstaktiken nur Strukturbrüche drohen, noch dem der erneuerbaren Energien, in dem mittlerweile viel mehr Menschen beschäftigt sind – nämlich mehr als 300.000, verglichen mit weniger als 20.000 in der Kohle. Es ist also Zeit, die Augen zu öffnen und die Realitäten anzuerkennen. Wind und Sonne gehören die Zukunft.

Wind und Sonne gehören die Zukunft

Deutschland möchte nicht in einer Flaute stecken bleiben, wenn nun auch die USA wieder Wind aufnehmen. Wenn sich die Groko zeitnah einem der wichtigsten noch offenen Punkte zur Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) widmet – den neuen Ausbauzielen –, braucht es Verstand und Herz. 2030 sollten 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs aus erneuerbaren Energien stammen.

Nur so kommen wir den Zielen des Pariser Klimaabkommens und der Klimaneutralität bis spätestens 2050 nahe. Daneben gilt der Blick der Fläche: Erneuerbare Energien benötigen Platz. Berechnungen zeigen, dass rund zwei Prozent der Landesfläche und die Dachflächen reichen, um Deutschlands Energieversorgung zum größten Teil mit Wind- und Solaranlagen zu decken. Damit diese Flächen aber sozial- und naturverträglich erschlossen werden, ist eine bessere Planung und Steuerung auf regionaler Ebene nötig.

Dafür braucht es unter anderem mehr personelle und finanzielle Ressourcen auch für die Fachbehörden. Und es braucht einheitliche, wissenschaftliche Kriterien und Methoden, nach denen Standorte ausgewählt werden. Ein Einbeziehen der Menschen vor Ort ist dabei eine selbstverständliche Notwendigkeit. Es ist unsere Energiewende, unsere Zukunft, die wir mitgestalten wollen und sollen. Dabei geht es auch um die finanzielle Beteiligung etwa an Windparks.

Die großen Vorteile, die Wind- und Solarparks mit sich bringen, müssen endlich auch die Standortkommunen unmittelbar spüren. Wind- und Sonnenenergie entschlossen auszubauen, ist eine Chance auf nachhaltigen Wohlstand – für uns und andere Länder. Der Innovationsgeist hierzulande hat einst dazu geführt, die Energiewende zum Exportschlager zu machen. Diesen Geist gilt es, wiederzubeleben. Sonst hat Deutschland am Ende nicht nur sein Gelbes Trikot verloren, sondern stürzt und reißt andere mit.

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8 Kommentare

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  • Wenn man diesen Beitrag liest, könnte man denken, er wäre von der Windkraftlobby verfasst und nicht von einer Naturschutzorga. Insbesondere Windkraft und Naturschutz sind nicht vereinbar. Für Windräder werden die letzten Naturräume geopfert. Die Herstellung der Anlagen verbraucht Ressourcen, für die Aufstellung und Wartung müssen Flächen geopfert und Zufahrtswege gebaut werden, was ein massiver Eingriff in die Natur- und Erholungsräume darstellt. Dass die Windräder Vögel und andere Flugtiere töten, ist längst bekannt, auch wenn dies von manchen Zeitgenossen verharmlost und bestritten wird. Ausser dass Windräder optisch und akustisch extreme Störfaktoren sind, ist schliesslich dann noch das vielerorts ungeklärte Entsorgungsproblem ausgedienter Anlagen. Es gibt Waldstücke, in denen Müll, wie z. B. ausgediente Rotoren, seit Monaten herumliegen. Auch für Solaranlagen werden wertvolle Ressourcen, wie z. B. seltene Erden verwendet, die nicht einfach so vom Himmel fallen und für Wasserkraft werden ganze Landstriche unter Wasser gesetzt. Laut Beitrag werden "nur" 2% der Landesfläche Deutschlands für "saubere" Energie benötigt; das wäre die dreifache Fläche des Saarlandes. Deutschland ist eines der am dichtesten besiedelten Länder der Erde, hat unzählige grossflächige Industriegebiete und das dichteste Strassen- und Schienennetz weltweit. Wo sollen diese "nur" 2% denn noch herkommen? Der Fokus sollte auf Strom sparen gesetzt werden. Wenn wir hier im deutschen Land nur 10% des heutigen Stromverbrauches hätten, ginge es uns wahrscheinlich immer noch zu gut. Windräder sollten nicht in Naturräume, sondern in Siedlungen gebaut werden, am Besten mitten auf den Dorfplatz oder den Marktplatz in Städten. Dort wird der Strom ja auch gebraucht. Es wäre sicherlich interessant zu wissen, wie gross die Akzeptanz dann noch wäre.

    Es ist wirklich schockierend, dass der WWF und gewisse andere Naturschutzverbände die ganzen Nachteile der "grünen" und "sauberen" Energie nach wie vor ausblenden

  • Wieder ein sehr einseitiger und euphorischer Artikel in der taz, der dem Motto folgt "wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass"!

    Was ist "sauberer" Strom? Derartige Formulierungen täuschen etwas vor. Ebenso gut könnte man Biozigaretten mit sauberem Nikotin bewerben, oder Biowhisky mit frischem und gesundem Alkohol.

    Auch das Wirtschaftswachstum, welches im Kontext der Energiewende gern als "grünes" Wachstum verkauft wird, repräsentiert das gleiche Täuschungsprinzip.



    Wachstum sichert und erhöht den Wohlstand. Ja, das ist das Verlockende, aber dieser wachsende Wohlstand, der zudem aufgrund der Verteilung immer mehr Unwuchten in der Gesellschaft erzeugt, hat seinen Preis, denn er frisst nicht nur Energie, sondern auch Ressourcen: Rohstoffe, Fläche, Boden, sauberes Wasser, Fischbestände, Biodiversität, etc., etc. Gleichzeitig erhöht/vermehrt er Müllberge, verunreinigtes Wasser, Stickstoffeinträge, Schadstoffemissionen, die Wahrscheinlichkeit von Pandemien, etc., etc.

    In dem Artikel fehlt der Aspekt vom Innehalten, von Bewusstwerdung und der Notwendigkeit der Konsumreduktion, was hier mit der deutlichen Reduktion des Energieverbrauchs ansprechbar wäre.

    Stattdessen wird nur die eine Energiequelle durch eine andere getauscht. Die CO2-Emissionen sinken (rechnerisch für Deutschland), Flächen und Erholungsräume werden zunehmend weiter verbraucht, unsere Nachbarländer importieren uns ihren Kohlestrom und Atomstrom, gleichzeitig verlagern energieintensive Industrien ihre Produktion in andere Länder (z.B. asiatische).

  • @HELIUMATMER



    "Ärmel hochkrempeln, in die Hände spucken und los gehts".



    Ärmel hochkrempeln reicht nicht. Man muss auch das Richtige tun. DAS Problem der Photvoltaik ist, dass man Strom vom Sommer für den Winter "einmachen" muss. Und dass dieses Problem um so drängender wird, je höher der Anteil der Erneuerbaren wird. Und dass Wärmepumpenheizungen und E-Autos das Speicherproblem noch verschärfen. Und dass hier praktikable Lösungen noch weitgehend in den Sternen stehen.



    BTW: "je nach Anbieter ist die Anlage in 4 bis 8 Jahren amortisiert".



    Können Sie mir bitte den Anbieter nennen? Mein Nachbar ist an sowas interessiert. Bisher scheitert das trotz unverschattetem, perfekt nach Süden ausgerichtetem Dach an der Wirtschaftlichkeit. (Ich selbst habe keinen Bedarf. Seit Tschernobyl habe ich keinen Stromanschluss mehr, hänge voll an autarker Photovoltaik).

  • Sauberer Strom ??, das ist sowas wie ein schwarzer Schimmel ! weniger schädlich erzeugt, über dass könnte man noch reden ...

  • @aldi wolf: ist hinreichend bekannt und Merkel pur. Mit dieser Meinung wären wir noch vor dem finstersten Mittelalter. Vor 25 Jahren hieß es: Alternative max 5%, und wie viel sind es jetzt? Union und FDP sind die Bremser, die SPD hat sich auch nicht mit Ruhm bekleckert. Ärmel hochkrempeln, in die Hände spucken und los gehts. 8760 Stunden hat das Jahr, 1000 Stunden reichen, je nach Anbieter ist die Anlage in 4 bis 8 Jahren amortisiert. Dann verbrauchen Sie halt mehr Strom, wenn die Sonne scheint und weniger, wenn sie nicht scheint.

    • @Sarg Kuss Möder:

      Dummerweise ist die Flexibilität des Stromverbrauchs begrenzt. Es ist nicht gut, wenn im Krankenhaus mitten in einer OP alle Geräte ausfallen, weil sich Wolken vor die Sonne schieben und der Wind abflaut. Ebenso kann die produzierende Industrie nicht einfach so mal ihre Maschinen ausschalten, weil das Wetter gerade nicht mitmacht. Über Züge, die mangels Strom auf freier Strecke regelmäßig steckenbleiben, freut sich nur die Autoindustrie. Was uns betrifft: Die Haushaltsgeräte werden angeschmissen, bevor wir das Haus verlassen, damit sie fertig sind, wenn wir zurückkommen. Und der digitale Rechenknecht hat seine Betriebszeiten, die sich aus den Umständen seiner Bediener ergeben, da ist nicht viel Spielraum. Der Strom muss da sein, wenn er gebraucht wird. Und eine großserienreife, bezahlbare Speichertechnik mit akzeptablem Wirkungsgrad, die hierfür notwendig ist, ist in naher Zukunft selbst bei intensiver Forschung & Entwicklung nicht abzusehen. Stand jetzt retten uns unsere fossilen Kraftwerke, die polnischen Kohlekraftwerke und die französischen Kernkraftwerke vor einem katastrophalen Stromausfall.

  • Wichtige dezentrale Standorte für Solaranlagen könnten die Dächer von Privathäusern sein. Das einfachste Unterstützungsprogramm wäre die Streichung der Einkommen- und Umsatzsteuer. Momentan führt dies zu einem so hohen Aufwand, dass ich meinen überschüssigen Strom lieber im wahrsten Sinne des Wortes verheitze (Wärmestrab) anstatt diesen einzuspeisen.

  • Leider scheint die Sonne nur Tags und in Deutschland auch eher wenig. Der Platz für Windräder ist auch begrenzt, dauernd Wind ist auch nicht. Und wo soll er dann herkommen ? Aus französischen Atomkraftwerken kommt er teuer jetzt zum Glück.