Sarajevos neue Bürgermeisterin: Ein neues Gesicht
Die 30-jährige Sozialdemokratin Benjamina Karić steht für ein junges, weibliches und multiethnisches Sarajevo. Das hilft auch ihrer Partei.
Ausgerechnet an ihrem 30. Geburtstag wurde die bisher kaum in der Öffentlichkeit bekannte Benjamina Karić völlig überraschend zur neuen Bürgermeisterin von Sarajevo gewählt. Das Votum im Stadtrat war einstimmig.
Bemerkenswert ist, dass Benjamina Karić keinem der drei „konstitutiven Nationen“, also der Bosniaken, Kroaten oder Serben angehört, sie hat sich zur Gruppe der „Anderen“ bekannt. Das sind Freigeister, Menschen aus kleineren Minderheiten oder gemischten Ehen, die sich nicht nationalistisch definieren wollen. Und die bisher in dem Bosnien und Herzegowina der Nachkriegszeit keine Chancen hatten, in so ein hohes Amt aufzusteigen, denn die Gremien sind zumeist von den drei Nationalparteien beherrscht.
Sarajevo war noch bis zu den Wahlen im November 2020 von der konservativ-muslimischen Nationalpartei SDA beherrscht. Doch dann siegte das linksliberale Wahlbündnis unter Führung der Sozialdemokraten, deren Vizepräsidentin Benjamina Karić ist.
Damals wollten die Wahlsieger ein Zeichen setzen, sie wollten zeigen, dass die bosnische Hauptstadt Sarajevo nach wie vor eine Stadt ist, die zu ihrer Tradition der multinationalen Identität steht und nominierten – obwohl zu 80 Prozent von Muslimen bewohnt – den orthodoxen Serben und hochangesehenen Sozialdemokraten Bogić Bogićević für das Amt des Bürgermeisters.
Das multiethnische Gesicht der Stadt
Mit dieser Wahl sollte auch allen Bürgern des Landes gezeigt werden, dass das friedliche Zusammenleben der Nationen trotz der Wunden des Krieges noch immer möglich ist. Doch durch Intrigen der muslimischen Nationalpartei wurde die Wahl des Bürgermeisters hintertrieben. Bogić Bogićević lehnte daraufhin eine weitere Kandidatur ab. Tausende Menschen protestierten gegen die Machenschaften des alten Bürgermeisters und seiner Helfer. Dann schlug die SDP Benjamina Karić als Kandidatin vor.
Sie ist als „Andere“ ohne Zweifel ebenfalls ein Symbol für die Multinationalität der Stadt. Sie ist jung, gut ausgebildet und erst die zweite Frau in diesem Amt. Sie studierte in Sarajevo, absolvierte gleichzeitig zwei Fakultäten, die Rechtswissenschaftliche und die Abteilung für Geschichte der Philosophischen Fakultät. Sie spricht mehrere Sprachen, darunter englisch und deutsch. Sie schrieb eine Arbeit über „Die Rechtslage der jüdischen Gemeinde in Bosnien und Herzegowina von 1918 bis 1945“.
Politisch hat die Mutter eines Kindes schon lange Flagge gezeigt, denn sie ist seit ihrem 18. Lebensjahr Mitglied der Sozialdemokratischen Partei (SDP) und seit 2019 Vizepräsidentin dieser Partei. „Wir haben eine Person ausgewählt, die diese Stadt mit ihrer Energie und ihrem Wissen führen wird. Wir zeigen, welche Art von Sarajevo und Bosnien und Herzegowina wir anstreben“, erklärte ein Sprecher der SDP.
Und die vor Jahren noch als verknöchert kritisierte Partei hat gezeigt, dass sie in der Lage ist, sich selbst zu erneuern.
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