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Über das Interesse am Seelenheil andererProbleme des Missionierens

Ist der Ruf des Missionierens zurecht auf den Hund gekommen? Der Ethikrat widmet sich der Frage im Rahmen eines Click&Collect-Treffens.

Von wegen gute Tat – das Missionieren hat einen schlechten Ruf Foto: Matthias Balk/dpa

D ie Zeiten sind zäh, so zäh, dass selbst Briefe aus Behörden mit „Bleiben Sie optimistisch“ enden. Das zeigt eine neue, zugängliche Seite an ihnen, aber leider liegt es außerhalb ihrer Macht, Optimismus oder geringere Corona-Fallzahlen oder eine konsequentere Politik mitzuschicken, sodass die Sache weiterhin mühselig bleibt. Es sind Zeiten, in denen ich den Ethikrat vermisse, dessen strengem Blick auch so etwas wie eine Pandemie nichts anhaben kann.

Der Ethikrat, das sind drei ältere Herren, die mir gelegentlich Handreichungen in Sachen praktischer Ethik geben. Ich schrieb dem Rat einen Brief an seine Postfach-Adresse und fragte, ob es möglich wäre, dass ich im Rahmen eines Click&Collect-Besuchs einen philosophischen Hinweis erhielte.

Es war spät und ich hatte Rotwein getrunken und vielleicht geriet der Brief zu rührselig, jedenfalls dauerte es lange, bis ich eine Antwort erhielt. „Sehr geehrte Frau Gräff“, stand darin, „bitte finden Sie sich am kommenden Donnerstag um 15 Uhr in der ­Martinistraße 24a ein. Um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten, bringen Sie bitte eine vorbereitete Frage mit. Mit freundlichen Grüßen, Ihr Ethikrat“.

Als ich am Donnerstag vor dem Haus in der Martinistraße stand, schneite es. Im Schneegestöber sah ich, wie sich im ersten Stock ein Fenster öffnete und sich der Vorsitzende des Ethikrats hinauslehnte. „Ich bin hier“, schrie ich hinauf. „Schön, dass Sie sich eingefunden haben trotz der Umstände“, sagte der Vorsitzende, während zu seinen Seiten die beiden Ratsmitglieder auftauchten, die in der Regel schweigen. Sie winkten mir zu und ich winkte zurück.

„Haben Sie eine Frage vorbereitet?“, rief der Vorsitzende. „Natürlich“, rief ich und schwenkte einen Zettel wie eine übereifrige Schülerin. Kürzlich hatte mich der Brief einer Zeugin Jehovas erreicht, die mich in Vor-Corona-­Zeiten gelegentlich besuchte. „Passt es?“, fragte sie dann, und es passte nie, weil die Kinder gerade schrieen oder ich an den Schreibtisch musste.

„Vielleicht sollten wir über Hiob sprechen“

„Was interessiert Sie an der Bibel?“, hatte sie mich beim ersten Mal gefragt, eine kleine, ­schmale Person, vielleicht gerade mal Anfang 20. Ich hatte geantwortet, dass ich die Frage, warum Gott Leid zuließe gleichermaßen interessant und schwierig fände. „Vielleicht sollten wir über Hiob sprechen“, hatte sie gesagt und damit recht gehabt, aber in der Tiefe meines Herzens wollte ich nicht über Hiob sprechen. „Meine Frage ist: Warum ist der Ruf des Missionierens so schlecht“, rief ich in Richtung Fenster, „also des Missionierens, bei dem die Menschen nicht zwangsbekehrt werden?“

Mir ist bewusst, dass das Missionieren eine mehr als schwierige Vergangenheit hat, ebenso, dass die Zeugen Jehovas in der Kritik stehen, weil sie ihre Mitglieder unter Druck setzen. Und doch: „Ist es nicht ehrenwert, wenn es einem nicht egal ist, ob die anderen von etwas erfahren, was man selbst für lebenswichtig hält?“, rief ich zum Fenster hoch, um noch etwas argumentativen Unterbau nachzuliefern. „Es wäre doch viel bequemer, nur dem eigenen Seelenheil hinterherzulaufen.“

Hinter der Scheibe bewegten sich Schemen und ich hoffte, dass meine Frage ausnahmsweise dem Ethikrat so etwas wie eine interne Diskussion wert war. „Wenn man es weiter denkt, missioniert jede doofe Modemarke mit ihrer Werbung“, rief ich ermutigt: „Euer Leben wird besser, wenn ihr dieses ­T-Shirt tragt“ – daran nimmt niemand Anstoß, obwohl es die Werbeleute nicht mal selbst glauben. Und wenn sie es glaubten, wäre es nur anders schlimm“.

Das Fenster öffnete sich und der Ratsvorsitzende reckte seinen Kopf heraus. „Wir haben eine schriftliche Antwort für Sie vorbereitet“, sagte er und ließ eine Papierrolle an einem Bindfaden herab. Als ich sie öffnete, war sie vom Schnee durchnässt und es waren nur noch ein paar Worte lesbar: „… wer sich aber der praktischen Philosophie zuwendet …“ „Was heißt das?“, rief ich, aber da hatte sich das Fenster bereits wieder geschlossen.

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Friederike Gräff
Redakteurin taz nord
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