Katrin Seddig Fremd und befremdlich: Mit roten Wangen vergnügt im frostharten Sand
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Sicherheitszone“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
Meine erste Kolumne für die taz nord habe ich im Juli 2013 geschrieben, dies ist nun meine dreihundertfünfundsechzigste. Es wird meine letzte sein, vorübergehend oder auch für immer. Denn ich bin müde geworden.
Diese Kolumnen-Müdigkeit fällt zusammen mit einer umfassenderen: Ich bin müde, mit Leuten zu diskutieren, die nur an Glaubenssätzen festhalten; müde, die absurde Fratze der immer lauter schreienden, hasserfüllten Dummheit zu ertragen. Weil uns das Kissen unter unserem Arsch wichtiger ist als die Zukunft unserer Enkel, wird diese Welt untergehen. Diese fröhlichen Worte zum Anfang und zum Ende. Nun zu den Enkeln. Wie ich am Freitag las, sollen die betreuten Spielplätze in Hamburg nicht mehr von der Sozialbehörde unterstützt werden. Weil das Interesse abnehme, heißt es, und es andere Betreuungsangebote gebe. Für ihren Erhalt werden Unterschriften gesammelt (mehr dazu: http://aktion-kinderparadies.de).
Als mein Sohn ungefähr zwei Jahre alt war, beobachtete ich, wie er am Fenster seines Kinderzimmers stand, aufgeregt winkte und schrie: „Kinder! Kinder!“, weil eine Gruppe Kinder vorbei lief. Es brach mir das Herz. In diesem Moment wurde mir klar, wie sehr er andere Kinder brauchte. Ich war zu dieser Zeit zu Hause, ich hatte gerade ein zweites Kind bekommen und versuchte, ein Buch zu schreiben. Einen Anspruch auf einen Krippenplatz hätte ich nicht gehabt. Und mit dem Baby, das wenig schlief und viel schrie, war ich nicht sehr mobil.
Da erzählte mir eine Freundin von diesen betreuten Spielplätzen. Ich brauchte mehr als eine halbe Stunde mit dem Kinderwagen und dem Zweijährigen zu Fuß, um zu diesem Spielplatz zu kommen, aber ab diesem Tag brachte ich ihn täglich für drei Stunden dorthin. Es war eine ungeheure Erleichterung für mich. Jeden Tag spielte der Junge drei Stunden draußen an der frischen Luft mit anderen Kindern. Wenn es regnete, bekam er seine Regensachen an, im Winter fand ich ihn, wenn ich ihn abholen wollte, im frostharten Sand spielend, vergnügt und mit roten Wangen. Später, als er schon im Kindergarten war, brachte ich auch seine Schwester auf den Spielplatz.
Ich glaube nicht, dass Kinder, auch sehr kleine, nur ihre Eltern brauchen. Ich glaube auch nicht, dass Eltern immer und unter allen Umständen – und auch, wenn sie das Beste für ihre Kinder wollen und sich sehr bemühen – in der Lage sind, genau das zu sein und zu geben, was die Kinder brauchen. Manchmal sind Eltern überfordert, traurig, krank, sie können in Schwierigkeiten stecken, persönlichen Krisen, Partnerschaftskonflikten, sie können einfach müde sein. Und dann kann ihnen eine Pause gut tun.
Es braucht mehr als Eltern, um Kinder zu erziehen. Kinder brauchen andere Kinder und andere Erwachsene. Sie brauchen die Freiheit, im Schneeregen im Sand spielen zu können.
Ich konnte in diesen drei Stunden, und wenn das Baby ruhig war, meine ersten Schreibversuche machen. Ich werde nie vergessen, wie froh ich jeden Mittag mit dem Baby zum Spielplatz ging, um meinen kleinen Sohn abzuholen, der gar nicht mit nach Hause kommen wollte, sondern am liebsten noch weiterspielen. Wie stolz ich war, wenn ich ihn da sitzen sah, zwischen all den anderen Kindern, wie er mich überhaupt nicht vermisste, wie es ihm gut ging und er dazu lernte. Die auf unserem Spielplatz zuständige Betreuerin kümmerte sich gut um die Kinder, ich vertraute ihr, auch wenn sie einiges anders handhabte, als ich das getan hätte. Aber das eben ist ja das Prinzip: andere Menschen, andere Regeln.
Ich weiß, dass es Kindergärten und Kinderkrippen gibt, die ausgebildetes Personal haben. Aber ich halte auch so ein niederschwellige Angebot wie diese betreuten Spielplätze für wichtig: für Mütter, wie ich es war, die gar keinen Anspruch auf einen Krippenplatz gehabt hätten; für die, denen es nicht gut geht, die es nicht schaffen, jeden Tag selbst auf dem Spielplatz zu sitzen; für Kinder, deren Eltern manchmal überfordert mit der Betreuung sind – oder für Kinder, denen es gut tut, einige Zeit von ihren Eltern befreit zu sein.
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