Zukunft Berlin und Brandenburg: Vom Siedlungsstern zum Netz
Berlin und Brandenburg wachsen. Bislang gilt, dass dieses Wachstum entlang der Siedlungsachsen ins Umland stattfinden soll. Doch wird das reichen?
Beckendorfs Wortmeldung ist eine von vielen beim Themengespräch „Siedlungsentwicklung und Mobilität“, das die Stiftung Zukunft Berlin vergangenen Donnerstag veranstaltet hat. Bürgermeisterinnen und Bürgermeister waren dabei, die Gemeinsame Landesplanung Berlin-Brandenburg, regionale Planungsgemeinschaften, Verwaltungsfachleute. Vor dem Treffen hat die Stiftung Zukunft Berlin ein Thesenpapier an die Staatskanzlei in Potsdam und die Berliner Senatskanzlei übergeben. Die Botschaft ist klar: Jetzt, wo so vieles in Bewegung gerät, überlassen wir das Feld nicht nur der Politik und der Verwaltung, sondern mischen uns auch als Betroffene vor Ort ein.
Was da so alles in Bewegung gerät, zeigt nicht nur das Beispiel Wiesenburg. Auch andernorts ist der Wachstumsdruck längst über den Speckgürtel hinausgegangen und hat die so genannten Städte der zweiten Reihe erreicht, Eberswalde etwa, Fürstenwalde oder Luckenwalde. „Die Zahl der Pendler ist seit 2000 um 60 Prozent gestiegen“, sagt Ex-DGB-Chefin Susanne Stumpenhusen. „Im Umland berichten die Städte und Gemeinden schon von Wachstumsschmerzen.“ Man brauche deshalb integrierte Regionalentwicklungs- und Verkehrskonzepte auch für die strukturschwachen Regionen, forderte Stumpenhusen, die die Arbeitsgruppe „Zukunftsforum Berlin-Brandenburg“ der Stiftung leitet.
Bislang regelt der Landesentwicklungsplan Hauptstadtregion (LEP HR) die Siedlungsentwicklung in beiden Ländern. Der Plan legt fest, dass sich das Wachstum im Umland, aber auch darüber hinaus, entlang der gewachsenen Siedlungsachsen konzentrieren soll. Siedlungsstern heißt das Bild, das dieser Planung zugrunde liegt. Die Finger des Sterns entsprechen den Wachstumskorridoren, die sich schon mit der Gründung Groß-Berlins 1920 entlang der S-Bahn-Trassen abgezeichnet hatten: nach Bernau, Werneuchen, Strausberg, Erkner, Königs Wusterhausen, Blankenfelde, Ludwigsfelde, Potsdam, Falkensee, Hennigsdorf, Oranienburg, Wandlitz. Die Flächen zwischen den Achsen sollen von Bebauung frei bleiben, so dass die Grünkeile bis in die Stadt hereinreichen. Das Ziel: Der Großraum Berlins soll so von einem Siedlungsbrei, wie er andere Metropolen umgibt, verschont werden.
2020 wurde das Jubiläum 100 Jahre Groß-Berlin begangen. Aus diesem Anlass lobte der Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg einen städtebaulichen Ideenwettbewerb aus, der einen Blick auf die Zukunft der Hauptstadtregion beider Bundesländer im Jahr 2070 werfen soll. Platz eins bekamen Bernd Albers und Silvia Malcovati. Im Gegensatz zu vielen anderen konzentrierten sie sich nicht nur auf den Speckgürtel, sondern planten mit Schwedt auch in der Peripherie. (wera)
Doch ist das überhaupt noch zeitgemäß angesichts der neuen Stadtflucht, die die Coronapandemie ausgelöst haben könnte? Der Ökonom Malte Behrmann jedenfalls spricht davon, dass sich der Bedarf nach einer Zweitwohnung auch außerhalb des Umlandes „massiv verstärkt“ habe. Eine „Zeitenwende“ nennt gar der ehemalige Leiter der Potsdamer Staatskanzlei, Thomas Kralinski, die Entwicklung.
Allerdings gibt es für diese Zeitenwende noch keine belastbaren Zahlen. Darauf weist Maren Kern vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen hin. So zeige die Leerstandsstatistik noch immer eine Zweiteilung der Region. Während der Leerstand in Berlin und im Umland drastisch zurückgehe, steige er in zehn der 18 Brandenburger Landkreise und kreisfreien Städte sogar an. Kern weist allerdings darauf hin, dass die Zahlen aus dem Jahre 2019 stammen, also noch aus der Zeit vor der Pandemie.
Gleichwohl plädiert Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert für eine vorausschauende Planung. „Wir müssen vor allem die Zugverbindungen neu denken“, fordert er. „Während in München auf manchen Strecken schon das dritte Gleis geplant wird, tun wir uns schwer, überhaupt ein zweites Gleis zu planen.“ Schubert verweist auf die vollen Züge von Neuruppin nach Berlin. Auch das zweite Gleis von Lübbenau nach Cottbus lässt noch viele Jahre auf sich warten, so dass die Anbindung der Lausitz an die Hauptstadt nach wie vor ein Nadelöhr ist.
Ein gefundenes Fressen ist das natürlich für den ADAC. „Das Planen neuer Schienenwege dauert in Deutschland im Schnitt 20 Jahre“, betont Volker Krane, Vorstand Verkehr beim ADAC Berlin-Brandenburg. „Das ist eine unzumutbar lange Zeit.“ Weil das ein Problem des bundesdeutschen Rechts sei, könnten daran auch die beiden Länder Berlin und Brandenburg wenig ändern. Krane plädiert daher für eine „vernetzte Mobilität“, bei dem auch das Auto eine Rolle spielt. Außerdem sollen die Kapazitäten der Park and Ride-Angeboten verdoppelt werden.
Allerdings mehren sich auch die Stimmen derer, die der Meinung sind, dass der Siedlungsstern den Wachstumsdruck nicht alleine aufnehmen könne. „Wenn das Homeoffice nach der Pandemie bleibt und man jenseits des Umlandes in Brandenburg für eine Berliner Firma arbeiten kann“, so der ehemalige Senatssprecher Richard Meng, „dann reicht die Diskussion um den Siedlungsstern nicht mehr.“ Der an der Humboldt-Universität lehrende Ethnologe Wolfgang Kaschuba argumentiert: „Der Siedlungsstern birgt auch die Frage, ob die Konzentration der Entwicklung auf Berlin noch zeitgemäß ist.“ Kaschuba plädiert deshalb für eine „Ausweitung des Sterns zum Netz“. Auch der Stadtplaner Harald Bodenschaftz plädiert für ein Umdenken. „Stern und Netz müssen kein Widerspruch sein“, sagt er. „Der Stern kann an bestimmten Punkten auch korrigiert werden.“
Den Landesentwicklungsplan hat am Donnerstag dennoch keiner infrage gestellt. Dabei war die Kritik vor der Wahl in Brandenburg im September 2019 groß gewesen. Der damalige CDU-Spitzenkandidat Ingo Senftleben hatte den LEP im Falle einer Regierungsübernahme kassieren wollen. Die Kritik damals lautete, dass die berlinfernen Regionen wegen der Konzentration auf die Siedlungsachsen im Umland die Verlierer der Planung seien.
Mit der Bildung der Kenia-Koalition hat auch die CDU die Planung akzeptiert. Vielleicht auch deshalb, weil Beispiele wie Wiesenburg zeigen, dass auch die Peripherie auf einem guten Weg ist. Die Impulse dazu stammen oft von Berliner Initiativen. In Wiesenburg ist es das „KoDorf“, das neues Leben in die Gemeinde bringt, eine Initiative für neues Leben und Arbeiten auf dem Land, bei der Coworking und Coliving verbunden werden. Wiesenburgs Bürgermeister findet das auch nachhaltig. „Gerade in den kleinen Städten gibt es viele Brachen im Zentrum. Um alte Sägewerke oder Brauereien umzunutzen, muss es aber auch die entsprechenden Förderinstrumente geben.“
Und eine neue Idee der Mobilität. Wenn in Wiesenburg neues Leben einkehrt und die Lausitz nach dem Strukturwandel brummt, braucht es auch Bahnverbindungen. Derzeit dauert die Fahrt vom Fläming nach Cottbus dreieinhalb Stunden – sie führt über Berlin. Im Siegerentwurf des städtebaulichen Ideenwettbewerbs Berlin Brandenburg 2070, den Harald Bodenschatz mitinitiiert hat, wird deshalb ein dritter Eisenbahnring gefordert. Das wäre eine nachhaltige Wachstumsplanung. Nicht Stern oder Netz, sondern eine schienengebundene Verbindung der Netzknoten ohne den Umweg über Berlin.
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