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Diskussion über Ampelkoalition im BundSpiel mit Risiko

Die Diskussion über mögliche Koalitionen ist eröffnet. Die SPD wittert Morgenluft, die FDP stellt klar, dass es mit ihr keinen Linksruck geben wird.

Es geht auch ohne schwarze Serviette Foto: Andreas Arnold/dpa

Berlin/Mainz taz | Strahlende Gesichter im Willy-Brandt-Haus nach einem Wahltag, das gab es schon lange nicht mehr. Bester Laune präsentierten sich die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans gemeinsam mit ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz am Montagmittag in der Berliner Parteizentrale. „Das ist wirklich ein ganz, ganz großer Tag für die Sozialdemokratie“, schwärmte Esken. Der Wahlsonntag sei „für uns gemeinsam ein richtig guter Tag“ gewesen, befand Walter-Borjans. Und Scholz jubilierte, das Wahlergebnis verleihe der gesamten SPD Flügel.

Nach den beiden Landtagswahlen im Südwesten wittert die SPD auch auf Bundesebene wieder Morgenluft. Olaf Scholz sieht bereits „die Möglichkeit, eine sozialdemokratisch geführte Regierung zu bilden“. Sein demonstrativer Optimismus verdankt sich vor allem dem Wahlerfolg Malu Dreyers, die in Rheinland-Pfalz trotz leichter Verluste für ihre Partei weiter gemeinsam mit den Grünen und der FDP regieren kann. Doch selbst aus dem historisch schlechten Abschneiden der SPD in Baden-Württemberg schöpft er noch Hoffnung, schließlich sei auch im Ländle eine Ampelkoalition möglich. „Sichtbar geworden ist, dass es Mehrheiten gibt ohne die Union“, sagte er. Dafür gebe es mehrere Optionen. „Eine ist jetzt sehr stark geworden.“

Auch Grünen-Chef Robert Habeck sieht die Ampel im Bund als eine „denkbare Konstellation“ – neben anderen. „Alles ist möglich in diesem Jahr“, sagte er am Montag in der Bundespressekonferenz. Trotz dieser vorsichtigen Einschätzung kommt ihm die Debatte sehr gelegen. Denn damit bekommen die Grünen die für sie unangenehme Schwarz-Grün-Diskussion vom Hals, ohne sich zu einem rot-rot-grünen Bündnis als mögliche Alternative bekennen zu müssen. Mit allen Mitteln wollen sie einen Lagerwahlkampf verhindern.

Die Grünen ziehen mit dem großmäuligen Versprechen in den Wahlkampf, der Union das Kanzleramt streitig machen zu wollen. Dass sie trotz ihrer starken Zugewinne sowohl in Baden-Württemberg als auch in Rheinland-Pfalz aber tatsächlich CDU und CSU im Bund überholen, ist unwahrscheinlich. Die Ampel bietet den Grünen nun die Chance, ihr Narrativ vom Kanzleramt aufrechtzuerhalten.

Was passieren würde, wenn sowohl Schwarz-Grün als auch die Ampel im Bund rechnerisch eine Mehrheit hätte? Dann, schwören gut vernetzte Grüne, würde man sich selbstverständlich für die Ampel entscheiden. „Wir wären ja verrückt, wenn wir uns nicht fürs Kanzleramt entscheiden würden.“

Unüberbrückbare Vorstellungen

Wobei die Euphorie über die Ampel verkennt, dass zwischen Grünen und FDP Welten liegen, wenn man ihre Programme ernst nimmt – selbst in Baden-Württemberg. Der dortige FDP-Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke preist unablässig und ausgiebig den Verbrennungsmotor, während der Grüne Winfried Kretschmann die Eindämmung der Klimakrise als zentrales Ziel benennt. Im Bund wären die Unterschiede noch größer.

Grünen-Chef Robert Habeck sieht die Ampel im Bund als eine denkbare Konstellation

Nicht nur in ökologischen, sondern auch in sozialen, wirtschafts- und steuerpolitischen Fragen sind Grüne und FDP Antipoden. Die einen wollen die Vermögensteuer, den Abschied von Hartz IV oder härtere Auflagen für Unternehmen, die anderen stemmen sich dagegen. Die Ampel ist in der Theorie eine interessante Idee, in der Praxis krankt sie an vielen Widersprüchen. Das ist auch das Problem für die SPD, die ohnehin mit dem einstigen Agenda-2010-Propagandisten Scholz als Kanzlerkandidaten ein sozialpolitisches Glaubwürdigkeitsproblem haben.

Aber auch für die FDP sind Spekulationen über eine Ampel nach der Bundestagswahl nicht risikolos. Auf der einen Seite steigert es ihre Relevanz, umworben zu werden. Auf der anderen Seite muss sie aufpassen, dass sie bei ihrer Wäh­le­r:i­n­nen­schaft nicht in Verdacht gerät, bloße Mehrheitsbeschafferin für Rot-Grün zu sein – zumal die Grünen mit ihrem Stigma als vermeintliche Verbotspartei eigentlich der Lieblingsgegner der Liberalen sind.

Welche Gefahr der FDP droht, zeigen die bisherigen Ampelkoalitionen in den 1990er Jahren in Brandenburg und Bremen. FDP-Chef Christian Lindner erinnerte am Wahlabend an diese Desaster: „Bei allen historischen Ampelkonstellationen hat die FDP danach verloren und den Landtag verlassen.“ Mit der Wahl in Rheinland-Pfalz sei nun zum ersten Mal in der Geschichte der Liberalen eine Ampelkoalition bestätigt worden, betonte er. Allerdings büßte die FDP auch hier Stimmen ein und schaffte mit 5,5 Prozent nur knapp den Wiedereinzug in den Landtag.

So wollte Lindner in der Bundespressekonferenz am Montag auch keine allzu großen Hoffnungen auf eine Ampel im Bund machen. „Der Kurs der Eigenständigkeit der FDP hat sich bewährt“, sagte er da. Die Worte „Eigenständigkeit“, „Unabhängigkeit“ und „auf Inhalte setzen“ nahm er oft in den Mund. Die FDP will keine zu frühen Farbenspiele – das ist seine Message.

Lindner weiß genau: Die Diskussion um die Ampel nutzt der FDP, aber kann ihr eben auch schaden. Also sendet er ambivalente Botschaften: Einerseits lässt er ein Hintertürchen offen für Gespräche und Inhalte. Anderseits verkündet er, SPD und Grüne hätten „eine Nähe zur Linken“ und fänden „nur Spurenelemente der FDP-Politik gut“. Lindner will keinen Zweifel daran lassen, dass seine Präferenz weiter klar bei der Union liegt – trotz deren „Ambitionslosigkeit“.

Doch in der FDP gibt es eine Rollenverteilung. Für das Blinzeln in Richtung Ampel ist bei ihr Generalsekretär Volker Wissing zuständig, derzeit noch stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister im Ampelland Rheinland-Pfalz. „Wir sehen unseren eigenständigen Kurs bestätigt, haben eines der besten Ergebnisse der letzten Jahrzehnte in Baden-Württemberg erreicht und zum ersten Mal eine Ampelkoalition erfolgreich verteidigt“, sagte Wissing der taz. „Die Ampel haben wir uns in Rheinland-Pfalz erarbeitet durch diszipliniertes und konstruktives Regieren.“

Tatsächlich hat die ungewohnte Koalition nach einigen Anlaufschwierigkeiten ganz ordentlich geklappt. Wie diese Ampel blinkt, war bei der großen TV-Debatte zwei Tage vor der Wahl zu sehen. Die SPDlerin Dreyer, die Grüne Anne Spiegel und FDP-Frontfrau Daniela Schmitt wirkten wie eine Einheit. Sie spielten sich die Bälle zu.

„Malu“ hatte ihr Markenzeichen, den knallroten Hosenanzug, gegen einen blauen Zweiteiler getauscht. Auch ihre Regierungskolleginnen traten blau in blau auf. Auch sonst demonstrierten sie Geschlossenheit: Die geplante Rheinbrücke im Mittelrheintal, lange von den Grünen bekämpft? „Die Brücke wird gebaut“, versicherten unisono Dreyer und Schmitt, ohne dass Spiegel widersprach.

Dafür vermied Schmitt jede Festlegung gegen das Versprechen von Grünen und SPD, in der nächsten Legislatur in Sachen Klimaschutz einen Zahn zuzulegen. Schmitt wird wohl als Nachfolgerin Wissings neue Wirtschaftsministerin. In fünf Jahren habe die Koalition bewiesen, „ökologische und ökonomische Ziele müssen kein Gegensatz sein“, sagte sie und nannte als Beispiel, dass sowohl neue Radwege als auch neue Straßen gebaut worden seien.

Auch im Bund hält Volker Wissing eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen grundsätzlich für denkbar – wenn auch nur unter klaren Bedingungen: „Aber wenn sie eine Vermögensteuer einführen möchten und eine Bürgerversicherung – das wird mit der FDP nicht gehen.“ Für seine Partei seien „Inhalte entscheidend, keine Farbenspiele“.

Wissing versucht, die FDP als ausgleichenden Pol zwischen Union und Rot-Grün zu positionieren: „Es gibt in der Wählerschaft eine Skepsis gegenüber linken Parteien, weil sie zu Kollektivierung neigen, aber der Konservatismus der CDU ist unsere Sache auch nicht“, erklärt er.

Die Christ­de­mo­kra­t:in­nen seien immer ein „Schutzwall gegen einen zu starken Linksruck“ und eine „Überlast der Kollektivierungssehnsüchte linker Parteien“ – das sei den Liberalen sympathisch. „Aber gleichzeitig ist dieser Tanker CDU für Liberale auch anstrengend.“ Die Union sei „sehr behäbig und hat das Land in eine gewisse Rückständigkeit geführt“. Es fehlten Wandel, Reformen und Modernisierung, „weil wir seit 16 Jahren eine konservative Regierungschefin haben“, so Wissing. Gleichzeitig warnt Wissing aber vor falschen Erwartungen: „Wer allerdings glaubt, die Ampel sei nun automatisch auch im Bund möglich, dem sagen wir ganz deutlich: Mit der FDP wird es keinen Linksruck geben.“

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7 Kommentare

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  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Das neue Führungsduo der Linken hat eigentlich die größte Niederlage erfahren. Das wurde bisher unter den Tisch gekehrt. Ein neuer Trainer im Fußball muss erst einmal gewinnen. In der Politik ist das erste Spiel nach einer Änderung der Parteiführung die erste Wahl danach. Und die ging für das weibliche Führungsduo der Linken komplett in die Hose.

  • Die Ampel bringt nur Ärger. Eine halbstarke, rumkrakelende, sich profilieren müssende SPD und eine fundamentalistische FDP bedeuten ein Scheitern mit Ansage. Vor allem inhaltlich wäre keinesfalls sicher, dass eine solche Koalition bessere Ergebnisse bringen würde, als Schwarz- Grün. Mit der Union hätte man nur einen, wahrscheinlich auch eher bescheideneren, Partner, der zudem auch reichlich mit der eigenen Modernisierung beschäftigt wäre. Mit der CSU hätten die Grünen auch einen Verbündeten darin, die CDU in Bewegung zu bringen und eine Partei mit im Boot, die auch ihr eigenes grünes Profil verbessern möchte. Es spricht einfach vieles für Schwarz- Grün und fast nichts für eine Ampel. Die wäre nur scheinbar linker und natürlich droht auch wie auch schon vor vier Jahren in den Koalitionsverhandlungen das vorzeitige Ende durch die FDP. Dann stände man schlechter da als vorher und selbst wenn die Koalition halten sollte, es wäre ein sehr mühsames Amt, dass die erste grüne Kanzlerin da hätte. Man muss sich einfach klar machen, dass die FDP sowohl umweltpolitisch wie auch sozialpolitisch einfach eine viel schlimmere CDU ist und die SPD veränderungsfeindlich und dazu noch neidisch auf Veränderungen, die nicht von ihr kommen. Schwarz- Grün ist aber auch nicht nur eher besser für die Grünen und ihre Inhalte, sondern auch für die Entwicklung der ganzen Parteienlandschaft:



    - die SPD muss dringend in die Opposition, nur dort kann aus ihr wieder eine soziale sozialdemokratische Partei werden.



    - die CDU hingegen kann sich offensichtlich nur in der Regierung modernisieren, sie muss die Schuld ein bisschen einem Koalitionspartner zuschieben können. In der Opposition würde sie zudem wieder stärker unter Druck von rechts geraten, in der Regierung muss sie sich stärker davon abgrenzen.



    - die FDP als radikal- liberale Lobby- Partei, die sie jetzt ist, darf keine Macht und keinen Einfluss bekommen.

  • Da Demokratie beim Verstand keine Option erkennt, geht es wie oft um die Stimmungslage. Die Stimmungslage ist positiv für Grüne und für FDP. Die Zeichen für Union und AfD stehen auf Sturm, Linke scheitert an sich selbst.



    Die SPD mit ihrem Agenda-2010-Aktivisten Scholz kann sich umsehen. Wer fair ist und an Menschen denkt, wird diese Partei nicht wählen. In der SPD muß man einsehen, daß ein System sich selbst nicht überwinden kann. Dazu benötigt es andere Möglichkeiten und andere Leute.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    "Wissing versucht, die FDP als ausgleichenden Pol zwischen Union und Rot-Grün zu positionieren: „Es gibt in der Wählerschaft eine Skepsis gegenüber linken Parteien, weil sie zu Kollektivierung neigen, aber der Konservatismus der CDU ist unsere Sache auch nicht“, erklärt er."



    Neoliberale wollen nur die Kosten und Risiken der kapitalistischen Produktionsweise kollektivieren und die Gewinne privatisieren. Wie bei der Agenda 2010, der privaten Krankenversicherung, dem Zugrunderichten der Rente, den "Rettungsschirmen" für Banken und Unternehmen. Wer bezahlt denn für die coronabedingten Unternehmenshilfen, die der Bund und die Länder gezahlt haben, auch für marode und ökologisch äußerst fragwürdige Unternehmen wie die Lufthansa? Die Unternehmer:innen und Kapitaleigner:innen werden es wohl eher nicht sein. Jedenfalls nicht mit der FDP.



    Der "Arbeitgeber"-Verband hat jedenfalls schon verlauten lassen, die entgangenen Profite müssten von den Arbeiter:innen wieder hereingearbeitet werden.

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Es dürfte nach der Wahl keine 5 rechnerische Mehrheitskoalitionen geben, wenn man einmal davon ausgeht, dass immer noch die Regel gilt "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern", was ganz früher mal die Grünen waren, später die Linke und derzeit die AfD ist. Spekulationen über Koalitionen sind deshalb aktuell reines Entertainment. Ich gehe davon aus, dass die Mehrheitsverhältnisse entscheiden werden, welche Parteien in die Regierung kommen.

    • @05838 (Profil gelöscht):

      Exakt dieses, und daher ist es für die Progressiven entscheidend wichtig, Nicht- und Wechselwähler*innen zu mobilisieren. Das wird eine wesentlich größere Rolle spielen als die herkömmliche Parteibindung.

      Das "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern" gilt im Übrigen nur auf Bundesebene. Von Kommunen bis in die ersten Landtage sind CDU und AfD ein Herz und eine Seele. Und da die Option "Merkel verkündet, dass sie schweren Herzens und in Anbetracht der Krise noch einmal antritt, um das Land zu retten" durch die Corona-Katastrophe vermutlich endgültig Makulatur ist, ist damit die plakative Forderung "Merkel muss weg!" erfüllt, und aus Sicht der AfD damit alles getan, um die Liebesheirat zwischen Konservativen und Neofaschisten, die über das Verbindungsglied "Werte"union bislang nur klandestin stattfand, öffentlich zu machen.

    • @05838 (Profil gelöscht):

      "Ich gehe davon aus, dass die Mehrheitsverhältnisse entscheiden werden, welche Parteien in die Regierung kommen."



      Welch denkwürdige Erkenntnis. ;)