piwik no script img

Die Verantwortung von WutAlle sind wütend, niemand räumt auf

Wut ist ein wichtiges politisches Instrument und verbreitet sich oft sehr schnell. Warum Freundlichkeit aber genauso wichtig ist.

Wir werfen Wut in digitale Räume, und dann räumt niemand auf Foto: Jan Tepass/imago

U m mich herum sind alle wütend. Natürlich gehöre ich auch dazu. Zu diesem Zeitpunkt, in diesem Land, in allen Situationen, in denen wir uns befinden, wabert eine konstante Grundwut durch meinen Körper. Sowieso haben sich der Rhythmus und die Intensität verändert, mit der mich Gefühle ausfüllen. Ich bin wütend, dankbar, entsetzt, glücklich, müde, zuversichtlich und hoffnungslos. Alles legt sich übereinander und wechselt sich so schnell ab, dass ich kaum hinterherkomme.

Als Kind habe ich gelernt, dass Wut ein Problem ist, dass sie runtergeschluckt werden muss. Dabei ist Wut ein valides Gefühl und ein wichtiges politisches Werkzeug. Sie bricht mit der Choreografie der Höflichkeit und ist als strategisches Mittel besonders da nötig, wo sich die vermeintlich Anständigen hinter ihren Umgangsformen verstecken, um Mangel an Haltung zu kaschieren. Aber die Sache mit der Wut ist, dass sie immer auch Dreck macht. Auch da, wo sie keinen machen sollte.

Wir werfen Wut in alle Räume, die digitalen und die analogen, und dann räumt niemand auf. In der Welt, die ich kenne, fehlen vielen die Ressourcen, die eigene Wut zu sortieren und in die richtige Richtung zu lenken. Das ist keine Schwäche, sondern ein Resultat von Ungerechtigkeit. Aber diejenigen, die von der Wut getroffen werden, stehen oft alleine da.

Es gibt Leute, die werfen auf das erstbeste Ziel, ohne Rücksicht auf Verletzungen. Es gibt Leute, die sich nicht mehr verantwortlich fühlen für ihre Wut, wenn sie sie losgeworden sind. Neu ist das nicht, seit Jahren fahren wir diese Straße, gucken aus dem Fenster und zählen den Roadkill.

Freundin der Freundlichkeit

Wut ist selten das erste Mittel. Sie wächst über Jahrzehnte und speist sich aus vergeblichen Kämpfen, die viele vor uns austragen mussten. Wut wächst, wenn das Bitten, das Fordern und das Diskutieren zu keiner Veränderung führen – oder wenn nicht einmal Raum für diese Formen der Teilhabe gegeben wird. Wut türmt sich vor verschlossenen Türen, manchmal drückt sie sie auf. Wut ist nötig, aber sie ist nie allein, und ich frage mich, warum wir so tun, als wäre sie es.

Ich war immer eine Freundin der Freundlichkeit, ich habe mich oft gefragt, warum. Will ich freundlich sein, weil ich gefallen will, weil ich eine Frau bin, weil ich eine nichtweiße Frau bin? Oder will ich freundlich sein, weil es mir und der Welt gut tut? Das sind legitime Fragen und in allen finde ich etwas Wahrheit.

Ich finde, wir müssen uns nicht entscheiden. Wir sind beides, wütend und freundlich, wir können lernen, was in welche Richtung gehört, und uns fragen, wann Wut eine Person meint und wann einen Systemfehler. Ich sage können, niemand muss. Das ist keine Scheindebatte des Sollens, sondern ein Lob des Wollens. Ich bezweifele, dass wir Wohlwollen verlernt haben.

Wir breiten nur eben die Wut aus, in allen Räumen, in denen sie ein Anliegen hat, und vergessen oft, das auch mit Freundlichkeit zu tun.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag.
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Es ist schwierig, die Wut über Ungerechtigkeit an der richtigen Stelle der Verursacher bzw Schaltstellen des Systems auszulassen, da kommt Mensch meistens nicht heran. Daher trifft sie oft den/die nächst Erreichbare/n mit Vorwürfen und Zuweisung der TäterInnenrolle.



    Besonders problematisch wird es, wenn diese Art des Umgehens als Mittel des persönlichen Nutzens oder als Spaß am Heruntermachen Anderer verwendet wird. So mancher Rückzug ins Private weg von politischer Organisierung ist dadurch entstanden.

  • Zitat: „Will ich freundlich sein, weil ich gefallen will, weil ich eine Frau bin, weil ich eine nichtweiße Frau bin?“

    Womöglich gibt es von hier eine Verbindung zur Frage, “warum wir so tun, als wäre sie [allein]“, die Wut. Offenbar gehört zu unserer Kultur eine Art emotionale Arbeitsteilung. Frauen (nicht-weiße und überhaupt alle nicht dominierenden Menschen) haben freundlich zu sein und zu gefallen, während Männer (und überhaupt alle, die was auf sich halten) wütend sein dürfen. Und bitte keine Unklarheiten! Wo kämen wir sonst hin?

    Nein, die Freundlichkeit hat keine sonderlich gute Presse derzeit. Was auch kein großes Wunder ist. In dieser Gesellschaft bestimmt ja nicht der Gebrauchswert den Wert einer Sache, sondern der Markt bzw. das Marketing. Und wieso? Weil alle den Scheiß mitmachen.

    Freundlichkeit wird sehr gern als Zeichen von Schwäche fehlinterpretiert. Und wer kann sich schon eine Schwäche leisten, wo die als Einladung zur Selbstbedienung angesehen wird? Dann lieber Wut, oder? Wer wütend ist, zeigt, dass er niemandem gefallen muss, dass er stark ist und unabhängig, frei. Auch von Moralgrenzen. Was, eigentlich, zählt mehr heute und hier? Sch... Ideologie!