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Proteste für Nawalny in RusslandKatz und Maus mit dem Kreml

Landesweit sind die An­hän­ge­r*in­nen Alexej Nawalnys in Russland auf die Straße gegangen. Die Polizei reagiert sehr nervös – mit über 5.000 Festnahmen.

Willkürliche Festnahmen von Nawalny-Anhänger*innen im ganzen Land Foto: Evgenia Novozhenina/reuters

MOSKAU taz | Das Team um den inhaftierten Kreml-Kritiker Alexei Nawalny hatte sich einen symbolträchtigen Ort ausgewählt: Die Moskauer sollten direkt zur Geheimdienstzentrale FSB an der Lubjanka kommen, nicht weit vom Kreml – und genau hier die Freilassung ihres Idols fordern, das seit seiner Rückkehr nach Moskau in Haft ist.

Es sollte ein Test sein: Wir, die Angstlosen, gegen euch, die Ängstlichen. „Die Ängstlichen“ aber, wie die Re­gime­kri­ti­ke­r*in­nen die Machthaber bezeichnen, reagierten prompt. Noch am Abend vor der Protestaktion hatten sie die zentralen Straßen mit Metallgittern absperren lassen, hatten auf allen Kanälen mitgeteilt, das Zentrum sei zu, für Fußgänger*innen, für Auto­fah­rer*innen, für Café­besu­cher*in­nen.

Und so fängt an diesem Moskauer Sonntagmittag ein kräftemessendes und kräftezehrendes Katz-und-Maus-Spiel an: Die Lubjanka ist umstellt, mit Polizeiwagen, mit Linienbussen, mit Schneeräumfahrzeugen. Hunderte von Polizisten stehen in einigen Metern Abstand zueinander hinter den Metallzäunen.

„Neuer Treffpunkt: Metro Sucharewskaja“, schreibt das Nawalny-Team auf dem Messengerdienst Telegram. Es sind 20 Minuten zu Fuß in Richtung Norden. 20 Minuten, die auch der Polizei reichen, um sich neu zu formieren. An der Sucharewskaja stehen mehrere Trupps aus jeweils fünf Polizisten vor den Gefangenentransportern, schauen suchend in die Menge der Umherstehenden, laufen los und führen kurz später jemanden in den Transporter.

Kaum ist ein Platz umstellt, zieht der Protest weiter

Eine bizarre Atmosphäre herrscht im Moskauer Zentrum. Kaum ist die eine Metrostation geschlossen, kaum ein Platz von der Polizei umstellt, ziehen die Protestierenden zum nächsten größeren Platz. Ist auch dieser umstellt, geht es zum nächsten, bis hin zur „Matrosenstille“, dem Untersuchungsgefängnis, in dem Nawalny einsitzt. Die Polizeiwagen mit Sirenen hinterher.

„Ich habe nichts gemacht, ich stand hier nur mit meiner Freundin herum“, versucht sich ein Mann an der Metro Sucharewskaja zu erklären. Die Frau neben ihm bettelt: „Ich lasse ihn nicht gehen, nirgendwohin.“ Die Polizisten in Vollmontur zerren auch sie in den Transporter. Ein Polizist schreit: „Wir müssen den Platz hier säubern.“

Georgi Paramsin geht zwei Schritte nach hinten. „Ich habe Angst, dass die mich auch festnehmen. Überhaupt habe ich Angst davor, geschlagen und getreten zu werden und im Gefängnis zu landen. Aber was bleibt uns denn noch, außer auf die Straße zu gehen, außer immer wiederzukommen und zu zeigen: Hallo, ihr da im Kreml, uns gibt es wirklich, wir sind nicht so glücklich mit der Herrschaft, die ihr euch da aufgebaut habt?“ Der 25-jährige Designer nimmt immer wieder an Straßenprotesten teil.

Genauso wie das Ehepaar Birjukow, das nicht weit vor der Kolonne der Nationalgarde am Moskauer Gartenring steht. „In den 90ern gingen wir schon raus. Da dachten wir, unser Land wird ein besseres, freieres. Die Kinder waren da gerade auf die Welt gekommen. Nun sind sie 30, und wo leben sie? In einem Polizeistaat. Wir brauchen ein politisches System, in dem Machtwechsel möglich sind, darum gehen wir hier,spazieren'“, sagt die 57-jährige Schanna Bir­ju­kowa, ihr Mann Andrei nickt.

„Sanitär-epidemiologischer Regelverstoß“

Doch „Spazierengehen“ ist nicht erlaubt in Moskau, wie auch in anderen Städten quer durchs Land nicht. In Sankt Petersburg schlagen Polizisten in Vollmontur im Takt auf ihre Metallschilder, ein dröhnender Tanz an Machtdemonstration. Die Protestierenden antworten mit Klatschen im selben Takt.

In Wladiwostok fassen sich Protestierende zu einem Reigen auf dem Eis der Amurbucht an den Händen. Schon am Nachmittag sind russlandweit mehr als 5.000 Menschen festgenommen, meldet das unabhängige Portal OWD-Info, allein in Moskau sind es mindestens 900.

Der Staat wertet bereits den reinen Aufenthalt auf der Straße als „illegal“ und spricht von „Massenunruhen“. Etliche Verfahren laufen: gegen Or­ga­ni­sa­­to­r*in­nen der Proteste quer durchs Land genauso wie gegen deren Teilnehmer*innen. Das kurioseste: der „sanitär-epidemiologische Regelverstoß“. Der Straftatbestand war im Frühjahr 2020 unter dem Eindruck der Coronapandemie verschärft worden und sollte die Disziplin bei Quarantänemaßnahmen erhöhen. Der Verstoß dürfte zu einem politischen Großprozess werden.

Nawalnys wichtigste Mit­ar­bei­­te­r*in­nen und auch sein Bruder Oleg sitzen deswegen in Haft oder Hausarrest. Jour­na­lis­t*in­nen werden eingeschüchtert, indem sie auf offener Straße festgenommen werden, wie der Chefredakteur Sergei Smirnow vom unabhängigen Medienprojekt Mediazona.

Stu­den­t*in­nen fliegen von der Universität, weil sie sich „illegal an politischen Aktionen“ beteiligten, wie ein Rektor aus Astrachan mitteilte. In manchen Schulen müssen Eltern an die Di­rek­to­r*in­nen Bericht erstatten, womit sich ihre Kinder am Wochenende beschäftigen. Dennoch weichen die ­Rus­s*in­­­nen nicht. Sie laufen durch die Straßen, sie schreien: „Freiheit für Nawalny“, sie stellen sich der Spezialpolizei Omon in den Weg. Sie sind oft hilflos, aber nicht machtlos.

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