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Allein im Lockdown: morgens in der Innenstadt von Frankfurt Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

Die Psyche in der PandemieDer Corona­blues spielt lauter

Bei vielen Menschen führen die Angst vor Krankheit und Existenzsorgen derzeit zu psychischen Belastungen. Mehrere Ex­per­t*in­nen berichten.

D ass eine Pandemie auch der psychischen Gesundheit nicht unbedingt dienlich ist, belegten Studien schon im Coronajahr 2020. In der zweiten Welle sind die Prognosen nun eher noch düsterer. Laut einer im Februar veröffentlichten Studie der Pronova BKK beobachten Psych­ia­te­r*in­nen und Psy­cho­the­ra­peu­t*in­nen aktuell eine Verschärfung der Probleme. Die Befragten diagnostizierten deutlich häufiger Angststörungen, Depressionen und Anpassungsstörungen. Mehr als 60 Prozent beobachteten eine Zunahme von Alkoholproblemen unter den Patient*innen.

Weniger krank in der Krise, hieß es dagegen jüngst von der Techniker Krankenkasse: Die Fehltage von Ar­beit­­neh­me­r*in­nen gingen 2020 zurück – etwa weil Erkältungen ausblieben. Allerdings gilt dieser Trend eben nicht für psychische Erkrankungen: Hier steigen die Krankschreibungen weiter deutlich.

Dass auch Kinder vermehrt unter den Auswirkungen der Pandemie leiden, zeigt die vor wenigen Tagen veröffentlichte Copsy-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Bereits bei einer ersten Befragung im Juni gaben 71 Prozent der Kinder und Jugendlichen an, seelische Belastungen zu spüren. In der zweiten Befragung von Dezember und Januar sind es 85 Prozent. Fast jedes dritte Kind zeigt laut Studie ein knappes Jahr nach Beginn der Pandemie psychische Auffälligkeiten, vor der Krise nur jedes fünfte.

„Mit der zweiten Welle haben wir eine ganz andere Qualität“, sagt Dietrich Munz, Vorstand der Bundes­psy­cho­therapeutenkammer. Die andauern­de unterschwellige Angst vor Ansteckung und Erkrankung, existenzielle Sorgen, die Enge im Zuhause, massive Einschränkung von Beziehungen und Routinen führten bei einigen zu Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Ängsten und Suchtmittelgebrauch. „Wenn diese über Wochen anhalten, sollte man sich dringend Hilfe suchen.“

Allerdings zeigt sich auch hier der Mangel in der Krise. Laut einer Umfrage des Berufsverbandes der Psy­cho­­the­ra­peu­t*in­nen nahmen Patientenan­fra­gen im Vergleich zum Januar 2020 um durchschnittlich 40 Prozent zu. Die Hälfte müsse länger als einen Monat auf ein Erstgespräch warten. Ein Drittel der Behandlungsbedürftigen habe erst nach über sechs Monaten Aussicht auf einen Therapieplatz.

Die Fehltage von Ar­beit­neh­me­r*in­nen gingen 2020 zurück. Allerdings gilt dieser Trend nicht für psychische Erkrankungen

Die Überforderung zehrt offenbar auch an den Psy­cho­the­ra­peu­t*in­nen selbst: In einer Umfrage des Psychotherapeuten-Netzwerks gab über die Hälfte an, wegen der Mehrbelastung unter körperlichen bzw. psychischen Symptomen zu leiden.

In Lockdownzeiten beschränkt sich die Abendgestaltung zumeist auf die eigenen vier Wände Foto: Jan Woitas/ dpa

„Corona wirkt wie ein Brandbeschleuniger“

Dr. Thomas Herzog, Offene Tür Berlin e. V.:

„Der erste Lockdown war wie ein Schock, in dem sich aber viele Menschen einrichten konnten. Dieser Lockdown war zeitlich begrenzt, die meisten haben an einem Strang gezogen. Es gab eine Art Konsens: Jetzt machen wir mal alle ein bisschen ruhiger und ziehen uns zurück, damit wir dieses Virus wieder loswerden. Ich habe auch oft gehört: ‚Ach, das ist gar nicht so schlecht, weil ich habe mir ohnehin vorgenommen ein bisschen weniger zu arbeiten.‘

Im zweiten Lockdown ist das nun anders. Man merkt im Grunde, dass die aushaltbare Perspektive weggebrochen ist. Es gibt einen Ausspruch des Wiener Psychiaters und Existenzanalytikers Viktor Frankl: Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie. Dieses ‚Warum‘ bzw. ‚Wozu‘ ist gerade nicht mehr so klar definiert. Natürlich will man die Infek­tions­zahlen runter kriegen, aber niemand weiß aktuell, wo das hinführt. Es herrscht also auch ein Stück Hoffnungslosigkeit und das Gefühl des Ausgeliefertseins.

Wir haben wenig Menschen in der Beratung, die direkt sagen, dass sie Angst vor dem Virus oder einer Ansteckung hätten. Corona wirkt vielmehr wie ein Brandbeschleuniger für Probleme, die latent auch vorher schon da waren. In unsere Beratung ‚Offene Tür‘ kommen viele Paare. Letzte Woche meldete sich ein Ehepaar, das beschlossen hatte, sich scheiden zu lassen. Das war ohnehin bereits eine sehr belastete Beziehung, der Lockdown aber lässt die Lage eskalieren. Der Mann mit cholerischer Neigung arbeitet im Homeoffice. Die Frau ist kurz davor, ihre Arbeit zu verlieren. Es gibt kleine Kinder, die nicht in die Kita und Schule können, denen es mit der angespannten Situation zu Hause sehr schlecht geht. Eine rasch vollzogene Trennung brächte eine dringend notwendige Entschärfung des Konflikts mit sich. Nun gibt es durch Corona aber nicht ohne Weiteres einen Termin beim Anwalt oder Gericht. Auch eine Wohnung zu finden ist momentan schwieriger als sonst. Der enorme Druck, der auf dieser Familie lastet, findet durch den Lockdown gerade keine Möglichkeit, zu entweichen.“

„Viele sind mit Homeschooling überfordert“

Auch der Kinobesuch scheint gerade unerreichbar Foto: Daniel Biskup

Dr. Manuela Richter-Werling, Irrsinnig Menschlich e. V., Leipzig:

„Unser Verein wendet sich an Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in Schule, Ausbildung und Studium und konzentriert sich auf die Prävention von psychischen Krankheiten oder Krisen. Ungefähr 75 Prozent aller psychischen Erkrankungen entstehen vor dem 25. Lebensjahr. Vor Corona haben wir viele Workshops in Schulen angeboten, einfach weil wir da alle Kinder erreichen können.

Aktuell ist das sehr schwierig. Einzelne Schulen machen das ganz gut, die haben die Technik, da funktioniert so ein Workshop auch digital. Aber viele sind ja schon mit dem Homeschooling überfordert. Was wir aktuell verstärkt machen, sind Lehrerfortbildungen. Das darf man auch nicht unterschätzen. Wenn es den Lehrern gut geht, geht es oft auch den Schülern besser.

Ein anderes großes Thema, dem wir uns neben der Prävention widmen, ist die Entstigmatisierung. Ich nehme schon wahr, dass aktuell stärker auf die psychische Gesundheit geachtet wird. Es gibt ja auch Forderungen, mehr Psychologen, mehr Soziologen an den Corona-Entscheidungen zu beteiligen. Allerdings bin ich skeptisch, ob das wirklich von Dauer ist. Solche Perioden gab es immer wieder. Für die Betroffenen hat sich meist nicht viel geändert. Ich hoffe sehr, dass das durch Corona anders werden könnte. Aber ich bin nicht sehr optimistisch.“

„Gerade ist nicht die Zeit für Perfektionismus“

Bianca Beiderbeck, Psychotherapeutische und Psychosoziale Beratung des Studentenwerks München:

„Wir sehen nach wie vor die ganze Bandbreite an psychischen Herausforderungen. Schon während des ersten Lockdowns hörten wir vermehrt von Konflikten in Partnerschaften oder auch in den Familien. Studierende, die ja schon im Ablösungsprozess vom Elternhaus sind und sich ein eigenständiges Leben am Hochschulort aufgebaut haben, sind während des Onlinesemesters wieder zu den Eltern gezogen, was nicht selten alte Konflikte zutage fördert. Wir haben auch beobachtet, dass sich besonders für Studierende mit weniger privilegiertem Hintergrund die Situation oft verschlechterte. Zum Beispiel weil Nebenjobs nicht mehr wie gewohnt ausgeführt werden können.

Der zweite Lockdown ist für viele Studierende psychisch noch herausfordernder als der erste, da gerade kein richtiges Ende in Sicht scheint. Das macht hilflos und demotiviert. Es zeichnet sich ab, dass manche Studierende den gesamten Studiengang online erleben werden und viel verpassen, was zur Erfahrung eines Studierendenlebens dazugehört – neue Freundschaften, gemeinsames Lernen und Feiern.

Viele der Ratschläge, die wir geben, klingen im Prinzip recht einfach, fallen aber doch manchmal schwer in der Umsetzung. Antriebslosigkeit, Freudlosigkeit und Einsamkeit sollte man entgegenwirken. Besonders wichtig ist ein strukturierter Tag. Es kann helfen, einen Plan zu schreiben und darin Vorlesungszeiten, Freizeitaktivitäten, Lernphasen und Mahlzeiten festzuhalten. Auf gedanklicher Ebene sollte man sich klarmachen, dass gerade nicht die Zeit für Perfektionismus ist und dass es okay ist, keine Bestnoten abzuliefern und länger fürs Studium zu brauchen. Milde mit sich selbst ist gefragt. Man muss seine Zeit auch nicht immer produktiv nutzen. Es ist in Ordnung, wenn man sich während einer weltweiten Pandemie eine Pause gönnt und keine neue Fremdsprache oder Sportart lernt.“

„Es gibt auch seelische Risikopatienten“

Heidi Graf, Die Arche – Suizidprävention und Hilfe in Lebenskrisen e. V., München:

„Wir haben durch Corona nicht mehr Anfragen als sonst – zum Glück, denn wir arbeiten ohnehin am oberen Limit. Bei den Beratungen merken wir, dass diejenigen, die ohnehin schon etwas angeschlagen sind, etwa weil sie eine Trennung noch nicht verarbeitet, Schwierigkeiten in der Arbeit oder mit Finanzen haben, jetzt noch mehr kämpfen müssen. Es gab bislang keinen Ratsuchenden, der ausschließlich wegen Corona da war. Corona verschärft, Corona katalysiert das, was schon da war.

Es gibt auch seelische Risikopatienten. So wie bei körperlichen Vorerkrankungen stellt Corona ein enormes Risiko in Bezug auf psychosoziale Folgen für Menschen mit seelischen Vorbelastungen und Vorerkrankungen dar. Die Menschen geraten rascher in eine Krise. Krisen sind grundsätzlich subjektiv, scheinbar kleine Auslöser können eine große Wirkung haben.

Eine Krise entsteht dann, wenn Belastung und Bewältigungsstrategien im Missverhältnis stehen. Deshalb wiegen momentan Belastungen schwerer, da die Möglichkeiten, diese zu bewältigen, kleiner geworden sind.

Selbst Menschen mit bisher hoher Resilienz müssen jetzt mehr Selbstfürsorge und Selbstkontrolle aufbringen, um einigermaßen durchzukommen.

Das macht die Beratung nicht leichter. Zum einen sind die Berater den allgemeinen Belastungen ebenso unterworfen und müssen mehr für ihre innere Balance tun, um arbeitsfähig zu bleiben, zum anderen sind viele Möglichkeiten, die früher für die Hilfesuchenden als Bewältigungsstrategie im Umgang mit ihren Nöten entwickelbar waren, unerreichbar – wie z. B. einem Chor oder einer Sportgruppe beizutreten.“

Bei vielen Kindern geht das Unbeschwerte verloren

Claudia Radermacher-Lamberty, Caritas Familienberatung Aachen:

„Wir haben eine unglaublich hohe Zahl an Anmeldungen von Alleinerziehenden. Das war 2020 so und das reißt auch jetzt nicht ab. Mein Eindruck ist, dass die, die vorher schon belastet waren, diese Krise noch einmal doppelt trifft. Der erste Lockdown war für Familien sehr belastend. Vieles war ungewiss. Die wussten nicht, wie gehen wir mit den Kindern um? Was machen wir, wenn die den ganzen Tag zu Hause sind und wir uns als Eltern auch noch um das Homeschooling kümmern müssen?

Das Bedürfnis war groß, den Kindern die Situation zu erklären. Warum darf man nicht mehr Opa und Oma besuchen? Da gab es eine große Unsicherheit, wie man Kindern eine solche Krise vermitteln kann. Mittlerweile habe ich den Eindruck, dass Kinder das ganz gut verstehen und sich eine Art Alltag eingestellt hat. Natürlich werden die Belastungen nicht kleiner. Man kann aber nicht pauschal sagen, dass alle Eltern Coronamüde sind und alles immer schlimmer wird. Bei vielen klappt das Homeschooling besser, viele Schulen sind besser ausgerüstet. Es gibt engagierte Lehrer.

Auf der anderen Seite beraten wir auch viele Pflegeeltern und Adoptiveltern. In den Familien leben oft traumatisierte Kinder. Für die ist eine Kita- oder Schulschließung enorm belastend. Ich hatte schon sehr verzweifelte Eltern am Telefon, die meinten, sie halten das nicht mehr aus. Insgesamt geht bei vielen Kindern und Jugendlichen etwas das Unbeschwerte verloren. Die meisten haben das sehr stark verinnerlicht: Abstand halten, Maske aufsetzen.

Hier erlebe ich aber auch viele kreative Eltern, die auch kleinen Kindern virtuelle Treffen ermöglichen. Die älteren schreiben sich ohnehin über WhatsApp die Finger wund und sind technisch oft eh viel versierter als die Elterngeneration. Viele trägt die Hoffnung, dass es im Sommer wieder etwas normaler wird.“

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2 Kommentare

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  • Gut, dass dieses Thema Aufmerksamkeit bekommt.



    Zum vollständigen Bild gehört aber auch die Tatsache, dass die psychotherapeutische Versorgung auch vor Corona schon desolat und Wartezeiten auf einen Therapieplatz von mehr als sechs Monaten (auf dem Land teils auch mehr als zwölf) 'normal' waren. Als eine Bekannte vor einigen Jahren mit schwerer Depression nach einer Therapie suchte, musste sie dafür über 80(!) Praxen kontaktieren um dann nach über sieben Monaten eine Behandlung zu erhalten und das in einer Metropole mit überdurchschnittlich guter Versorgung. Für jemanden für den es bereits eine Anstrengung vom Ausmaß einer alpinen Bergtour bedeutet überhaupt aus dem Bett zu kommen, kann man derartige Zustände sehr berechtigt eine Zumutung nennen, die so auch in keinem anderen Bereich der medizinischen Versorgung auch nur annähernd akzeptiert würde. Und es ist ja auch nicht so, dass so eine Erkrankung Pause machen würde nur weil sie noch nicht behandelt werden kann. All das ist aber seit Jahren bekannt und akzeptiert, aber nicht etwa Anlass zu wirksamen Handeln wie etwa einem massiven Ausbau der Kassensitze.



    So begrüßenswert die derzeit im Kontext von Pandemie und Lockdown um sich greifende Besorgnis nicht nur um psychisch Erkrankte, sondern auch um andere Gruppen wie sozial benachteiligte Kinder, Menschen in prekarisierten Jobs, ... auch ist, so gespannt darf man sein wieviel von diesem neu entdeckten Mitgefühl erhalten bleiben wird wenn die eigene Betroffenheit der Mahnenden von den Seuchenschutzmaßnahmen irgendwann nicht mehr gegeben ist.

  • Wir haben vor kurzem einen Beitrag über die Situation von jungen Leuten im Lockdown gedreht. Dabei wurde deutlich, dass auch diese oft schlecht drauf sind wegen mangelnder Kontaktmöglichkeiten. Ein Leiter einer Einrichtung für Jugendpsychotherapie sagte aber, dass es normal ist unter den Umständen schlecht drauf zu sein, eine psychische Erkrankung ist das jedenfalls nicht. Man merkte auch bei den Interviewten, dass sie durch das Interview direkt wieder gut drauf waren. Der Leiter der Einrichtung für Jugendpsychotherapie sagte auch, bei ihnen hätte es nicht mehr Fälle gegeben und die Klienten wären auch nicht durch die Corona Situation belasteter. Das könnte daran liegen, dass sie ohnehin vom sozialen Umfeld ausgegrenzt werden und daher die Kontaktbeschränkungen durch Corona ihre Situation nicht weiter verschlimmert.