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Vertauschte Rollenim Bundestag

Gab es Pannen bei der Impfstoff-Bestellung? Gesundheitsminister Jens Spahn verteidigt sich im Parlament gegen Vorwürfe. Die SPD attackiert ihn, die Grünen vermeiden Kritik

Maske auf – und durch? Spahn muss sich erklären: Hat er genug getan im Kampf gegen die Pandemie? Foto: Michele Tantussi/reuters

Von Ulrich Schulte

Jens Spahn nimmt am Rednerpult seine FFP2-Maske ab und legt sich Notizen zurecht. Für ihn geht es jetzt um viel. Der Gesundheitsminister will sich gegen den Vorwurf verteidigen, schwere Fehler im Kampf gegen die Coronapandemie gemacht zu haben. Sein wichtigster Gegner ist Carsten Schneider, der SPD-Fraktionsgeschäftsführer. Der sitzt in der ersten Reihe seiner Fraktion, schaut auf ein Blatt Papier und macht sich ein paar Stichpunkte.

Im Bundestag kommt es am Mittwoch zu einem denkwürdigen Showdown: Spahn, der CDU-Gesundheitsminister, verteidigt seine Politik gegen den eigenen Koalitionspartner, die SPD. Er spricht ruhig, präzise, seine Rede ist dramaturgisch gut aufgebaut und sorgfältig vorbereitet. Ein wichtiger Schachzug: Spahn betont erstens die Größe der Aufgabe und weist zweitens geschickt darauf hin, dass die Verantwortung nicht allein bei ihm liegt.

„Diese größte Impfaktion unserer Geschichte ist eine Gemeinschaftsaufgabe“, sagt der CDU-Politiker. „Kein Land, keine Partei, keine Regierung kann allein dieses Virus besiegen, es geht nur gemeinsam.“ 27 EU-Staaten hätten den Impfstoff gemeinsam beschafft, 16 Bundesländer würden ihn nun ver­imp­fen. Dies könne auch nur gelingen, wenn über das Jahr hinweg die allermeisten BürgerInnen bereit seien, sich impfen zu lassen.

Spahn bekennt sich einmal mehr zum gemeinsamen europäischen Vorgehen. Alle EU-Staaten hatten zusammen bei verschiedenen Firmen Impfstoff bestellt. Er stellt rhetorische Fragen: Hätte uns ein Alleingang wirklich weitergebracht? Was nütze es, wenn einige Staaten mehr Menschen impfen könnten, andere aber von der Pandemie voll betroffen seien? Und gibt die Antwort selbst: „In dieser Jahrhundertpandemie den europäischen Weg zu gehen, wird Europa stärken.“

Spahn bemüht sich, den BürgerInnen Hoffnung zu machen. Die Impfung bringe Licht ans Ende des Tunnels, sagt er. Vorsichtig deutet er Fehler an, aber so vage, dass daraus keine Schuldzuweisung abzuleiten ist. „Natürlich ruckelt es“, sagt er. Gleich danach hängt er wieder eine positive Botschaft an. Aber es sei eine Struktur aufgebaut worden, „die hochfahren kann und wird“, sagt er. Jetzt komme es vor allem auf die Impfbereitschaft der Bevölkerung an.

Spahn erneuert seien Prognose, dass man im Sommer allen ein Impfangebot machen könne. Allerdings fügt er ein „Stand heute“ und ein „voraussichtlich“ ein. Auch das ist geschickt. So wird man ihm später nicht vorwerfen können, etwas Falsches versprochen zu haben, falls der Plan nicht klappt.

Dann ist SPD-Mann Carsten Schneider dran. Normalerweise unterstützt der Koalitionspartner MinisterInnen der eigenen Regierung, doch die SPD ist von diesem Komment vor einer guten Woche abgewichen. Vizekanzler Olaf Scholz hatte Spahn einen vierseitigen Fragenkatalog zu möglichen Pannen bei der Impfstoffbeschaffung übergeben. Schneider betont am Rednerpult, dass die SPD „ein klares Bekenntnis“ zur europäischen Beschaffung abgebe.

Die Grünen bereiten sich aufs Regieren mit der CDU vor, die Sozialdemokraten auf die Opposition

Der entscheidende Punkt sei aber, ob die Entscheidungen, die in der EU-Kommission und in Spahns Ressorverantwortung getroffen wurden, korrekt gewesen seien. Schneiders zentraler Punkt ist: Das Unternehmen Biontech habe angeboten, 200 Millionen zusätzliche Dosen zur Verfügung zu stellen. Das Angebot sei nicht angenommen worden, obwohl die Kosten im Vergleich zu den Kosten für den Lockdown „eine Lappalie“ gewesen seien, sagt Schneider. Sein Fazit: „Wir hätten es machen müssen.“

Falls das stimmt, wäre dies tatsächlich ein relevanter Fehler Spahns. Der Gesundheitsminister habe das Coronakabinett im November nicht über dieses Angebot informiert, heißt es in der SPD-Fraktion. Spahn habe es aber kennen müssen, zumal er Vorsitzender des EU-Gesundheitsministerrats gewesen sei. Die SPD habe bisher keine Antworten auf ihre Fragen erhalten.

Interessant ist auch die Rede von Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Sie vermeidet es, Spahn direkt zu kritisieren. Weite Teile der Debatte, in denen es um „Wir gegen die“ ging, entsprächen nicht dem Ernst der Lage, sagt sie stattdessen. Die Grünen bereiten sich aufs Regieren mit der CDU vor, die Sozialdemokraten auf die Opposition.

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