Sebastian Bubner über seine Heimat: „Das Leben hier ist geil“
Ein Lausitzer erzählt, warum Eintracht Peitz der erste CO2-neutrale Amateurverein werden will. Und was das für die Braunkohleregion bedeutet.
taz: Herr Bubner, das Kohlekraftwerk Jänschwalde, eines der dreckigsten in Europa, ist ungefähr zehn Fahrradminuten von Ihrem Fußballplatz entfernt. Trainieren Sie manchmal im Kohleruß?
Sebastian Bubner: Schlechte Luft bemerken wir beim Atmen nicht bewusst. Man sieht aber vom Sportplatz aus auf jeden Fall die Schornsteine qualmen.
Sie wollen Eintracht Peitz bis 2023 als ersten Amateurverein CO2-neutral machen. Das heißt: ihren Treibhausgasausstoß möglichst auf null herunterfahren oder durch Klimaschutzprojekte ausgleichen. Wie kam es dazu?
Wir machen jedes Jahr eine Osteraktion. Da sammeln wir Geld von Unternehmen für Ostereier, mit denen wir dann die Kinder glücklich machen. Einen Teil des Gelds stecken wir aber auch immer in ein gutes Projekt. Letztes Jahr haben wir 400 Euro für das Kinderhospiz in Burg im Spreewald zusammenbekommen.
Und dieses Jahr ist die CO2-Neutralität dran?
Wir haben hier den Ruf weg, dass wir eine dreckige Region sind – und liegen ja auch wirklich im Dunstkreis vom Kraftwerk Jänschwalde. Ungefähr jeder Zehnte in unserem Verein arbeitet auch bei der Leag …
… dem großen Kohlekonzern in der Lausitz.
Da ist es natürlich cool, was für den Klimaschutz zu machen. Wir haben sowieso schon seit einigen Jahren eine Solaranlage auf dem Dach. Da habe ich mich gefragt, was sparen wir eigentlich ein dadurch? Es sind offenbar 12,5 Tonnen CO2 pro Jahr, die durch die Verdrängung von fossil erzeugtem Strom zustande kommen.
Wie viel Klimagas stößt der Verein denn insgesamt aus?
Das kann man unterschiedlich rechnen. Wir beziehen alles ein, was auf unserem Gelände passiert, sowie die Wege hin und zurück. Auswärtsfahrten auch. Man könnte es natürlich noch auf die Spitze treiben: Was hat jedes Kind am Spieltag zum Frühstück gegessen? Nutella, ah, da ist viel Palmöl drin, das ist jetzt so und so schlecht. Das beziehen wir nicht ein. Und so kommen wir auf 25 Tonnen CO2 im Jahr.
31, ist überzeugter Lausitzer: Der Peitzer hat in Cottbus Wirtschaftswissenschaften studiert und lebt auch jetzt noch in seiner Heimatstadt. Er arbeitet als Manager des dort ansässigen Bürowarenherstellers Falken, will aber bald sein eigenes Beratungsunternehmen für die regionale Wirtschaft aufbauen. Eintracht Peitz bekam für das Klimaengagement den Stern des Sports in Brandenburg. Am 18.1.2021 sollte der Stern des Sports auf Bundesebene folgen.
Das entspricht ungefähr dem, was zweieinhalb Menschen in Deutschland mit allem Drum und Dran verursachen, ist also von vornherein nicht sehr viel.
Wenn man so ein Projekt irgendwo anschieben würde, wo schon alles grün ist, würde das nicht ins Gewicht fallen. Bei uns in der Kohleregion hat das aber einen anderen Stellenwert.
Wissen Sie denn schon, wie Sie das mit der CO2-Neutralität hinbekommen?
Erst mal wollen wir die Solaranlage ausbauen. Für uns als kleiner, gemeinnütziger Verein ist das schwer zu stemmen. Wenn wir nächste Woche den Wettbewerb „Großer Stern des Sports“ gewinnen, dann können wir mit dem Preisgeld von 10.000 Euro vielleicht eine Anzahlung machen oder einen Kredit aufnehmen, um die neue Solaranlage zu bauen. Oder wir finden einen Investor. Und wir prüfen jetzt auch, ob sich nicht sogar ein kleines Windrad auf unserem Gelände lohnen würde.
Ihre Strategie ist es also, die Energiewende vor Ort voranzutreiben und dadurch rechnerisch auszugleichen, dass Sie als Verein selbst CO2 ausstoßen. Wollen Sie auch an die 25 Tonnen ran?
Wir stellen zum Beispiel unsere Flutlichter und alle Lampen im Haus auf LEDs um. Wir schlagen Fahrgemeinschaften vor und geben Tipps und Ratschläge, wo man noch das eine oder andere Kilo CO2 einsparen kann. Mit den Kleinsten haben wir schon Bäume gepflanzt. Es geht auch darum, die Mitglieder zu schulen.
Sie wollen nicht nur Ihren Verein, sondern gleich die ganze Stadt verbessern?
Wir wollen ein Zeichen setzen hier in der Region. Hier gibt es viele Kohlearbeiter, die wissen, dass wir einen Strukturwandel brauchen. Die wissen, dass sie es mit der Kohle nicht mehr bis zur Rente schaffen. Das ist natürlich für die Einzelnen der Worst Case. Aber wir wollen ja auch das Silicon Valley Deutschlands werden, wir wollen Innovationsregion werden, wir wollen kreativ sein.
Eine von Greenpeace beauftragte Studie hatte 2018 ergeben, dass 43 Prozent der Lausitzer:innen den Kohleausstieg befürworten, 36 Prozent ihn aber auch ablehnen – eine ganz schöne Spaltung. Erleben Sie auch Widerstand?
Eigentlich nicht. Das liegt vielleicht auch daran, dass unser Verein eine relativ junge Altersstruktur hat. So ungefähr 60 Prozent sind Kinder. 30 bis 35 Prozent sind erwachsene Spieler zwischen 18 und 40 Jahren, es gibt nur wenig ältere Jahrgänge. Die finden das eigentlich alle gut, selbst die Industriemechaniker aus der Kohle.
Die Lausitz hat Erfahrung mit Strukturbruch. Nach der Wende klappte die Wirtschaft zusammen, ein Fünftel der Leute wanderte ab, vor allem die jungen. Wollen Sie verhindern, dass sich das mit dem Kohleausstieg wiederholt?
Es ist eins unserer großen Ziele, Leute in der Region zu halten. Dazu gehört das Klimaprojekt, aber auch unser eigentlicher Vereinszweck. Unsere Sportanlage ist immer offen, man kann nach der Arbeit alleine Sport machen oder zu unseren Trainingszeiten mit anderen zusammenkommen. Ich will zeigen: Es lohnt sich, hier eine Ausbildung zu machen, zu studieren, zu arbeiten, zu bleiben. Das Leben ist hier auch außerhalb des Berufsalltags geil. Es ist auch eine sehr schöne Region, wir haben zum Beispiel den Spreewald und bald eine Seenlandschaft.
Etliche alte Kohletagebaue sind schon zu Baggerseen geworden, mehr sollen folgen, genau wie Badestrände, Wasserskianlagen, Gastronomie.
Es wurde lange verschlafen, mal zu fragen: Was machen denn die Leute hier außer arbeiten, sind die zufrieden, haben sie Perspektiven? Als ich in Cottbus studiert habe, habe ich von all meinen Kommilitonen immer gehört: Ich bleib eh nicht hier, ich geh zu Siemens nach Stuttgart. Klar, es gibt auch immer noch das Gehaltsgefälle zwischen Ost und West. Aber den meisten Menschen geht es nicht nur um das Geld, sondern um das Ganze.
Sie sind auch abseits von Eintracht Peitz lokal engagiert – Sie sind im Vorstand des Wirtschaftsrats Peitz, haben ein Quartettspiel mit Bildern regionaler Fußballvereine auf den Weg gebracht, zeigen auf Youtube örtliche Persönlichkeiten mit Visionen für die Zeit nach Corona. Woher die Aufbruchstimmung?
Ich mache das ja nicht alles allein, das Quartettspiel war zum Beispiel ein Traum von einem Vereinskollegen. In alldem steckt ganz viel Wir drin. Persönlich bin ich ein bisschen durch meinen Vater geprägt, der Unternehmer war. Aber ich habe auch einfach Lust, was zu bewegen. Und zwar nicht nur Kapital, Kapital, Kapital, sondern zwischenmenschlich. Das macht Megaspaß. Ich habe einfach Bock auf Veränderung, Bock auf die Region.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pro und Contra zum Ampel-Streit
Sollen wir jetzt auch wählen?
US-Präsidentschaftswahlen
Die neue Epoche
US-Präsidentschaftswahlen
Warum wählen sie Trump?
Harris-Niederlage bei den US-Wahlen
Die Lady muss warten
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“