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150 Jahre Metropolitan Museum of ArtDie Wurmlochtheorie in der Mode

Zum Jubiläum zeigt das New Yorker Met die Ausstellung „About Time: Fashion & Duration“. Anzusehen im Costume Institute und online.

Einblick in die Ausstellung „About Time: Fashion and Duration“ im Metropolitan Museum of Art Foto: Mike Segar/reuters

1927 kreierte Coco Chanel das berühmte „Kleine Schwarze“, das es längst in den allgemeinen Sprachgebrauch geschafft hat, weshalb fast jede oder jeder gleich versteht, worauf sich der weiße Schriftzug bezieht, den der amerikanische Designer Virgil Abloh rund 100 Jahre später auf ein schlichtes, schwarzes A-Linien-Kleid drucken ließ: „Little Black Dress“, Anführungszeichen inklusive.

Querverbindungen wie diese präsentiert seit Herbst „About Time: Fashion & Duration“, eine Ausstellung des zum New Yorker Metropolitan Museum of Art gehörenden The Costume Institute, das einer breiteren Öffentlichkeit durch seine alljährliche Mode-Gala bekannt wurde, zu denen die prominenten Gäste gern mit extravaganten Outfits aufwarten. Rund 33.000 Kleidungsstücke umfasst die hauseigene Sammlung, 120 Exponate wurden für die Schau ausgewählt.

Den Zeitgeistern nachzuspüren, die hier so vielgestaltig durch die Kreationen und Jahrzehnte huschen, das funktioniert dank umfangreicher Online-Dokumentation, Ausstellungskatalog sowie Videorundgang mit Kurator Andrew Bolton auch aus der Ferne ganz passabel (trotz einiger Abzüge, denn Bilder und Erläuterungen sind im Katalog getrennt voneinander präsentiert).

Nun klingt „Duration“ auf den ersten Blick wie der denkbar unpassendste Begriff für eine Ausstellung über Mode, haben wir doch gelernt, dass die Unbeständigkeit ihre einzig beständige oder dauerhafte Eigenschaft darstellt („Fashion is change“, schrieb die Modehistorikerin Elizabeth Wilson einmal). Doch bezieht sich der Titel natürlich vor allem auf gerade diese Kontinuität des Wechsels, die das Wesen der Mode in den letzten anderthalb Jahrhunderten durchzieht.

Von der Gründung des Museums 1870 bis 2020

Vorgeführt werden geradezu Gegenentwürfe zu ästhetischer Zeitlosigkeit: Jedes ausgewählte Stück kennzeichnet einen hochspezifischen Entstehungszeitpunkt, eine präzise Markierung im Raum-Zeit-Kontinuum, an der sie sich aus sehr konkreten Umständen herauskristallisiert hat. Die so abgedeckte Zeitleiste umfasst 150 Jahre, von der Gründung des Museums im Jahr 1870 bis zum Ausstellungsbeginn 2020.

Alle präsentierten Stücke sind ausschließlich schwarz, manchmal weiß oder beides. Diese Auswahl enthebt die Stücke einer allzu starken Verhaftung in einer bestimmten Epoche oder einem konkreten Stil und ermöglicht schnelle Vergleichsziehungen in Schnitt, Silhouette und Gestaltungsidee. 60 Minuten Fashion repräsentiert der zwei Uhren nachempfundene Ausstellungsparcours, je ein Mode-Duo pro Minute.

Nach diesem Prinzip entstehen Paarungen wie die aus einem sogenannten Walking Dress (1885), dessen Übermaß an drapiertem, schwerem Samt seiner Trägerin das namentliche Gehen sicherlich erschwert haben dürfte, mit Yohji Yamamotos Mantelkleid von 1986/1987.

Ersteres war eine modische Antwort auf die Krise der französischen Textilindustrie, die durch die materialintensive Silhouette steigende Nachfrage verzeichnen sollte, Letzteres eine Hommage des Designers, mit einer Turnüre aus üppigen Lagen sehr viel leichteren Tülls.

Originale vs. Neuinterpretationen

An einer anderen Stelle lassen sich Kreationen wie das Minikleid (1968/69) von Rudi Gernreich wiederentdecken, um das der österreichisch-amerikanische Modevisionär rundherum einen Reißverschluss als modernes Ornament wickelte – ihm zur Seite gestellt ein bodenlanges Jerseykleid von Azzedine Alaïa, der spiralförmige Reißverschlüsse nur zwei Jahrzehnte später zu einem seiner Markenzeichen werden ließ.

Während man so historisch verankerte Originale und Neuinterpretationen vergleicht, landet man schnell bei grundsätzlichen Überlegungen, die stärker noch als die hier ausgestellten Kostbarkeiten auf Alltagskleidung und ihre modischen Durchformungen zutreffen mögen.

Wie stark die Wirkung der Mode an ihre Zeit geknüpft ist, lässt sich schließlich am besten erfahren, wenn man sich nicht an ihre Zyklen hält: „Laugh, and the past does not laugh with us; and that, it seems, how we know it is past“, zeichnet Theodore Martin im Katalog einen fast schon ontologischen Modebeweis von Baudelaire nach.

Die Ausstellung

Bis 7. Februar, Metropolitan Museum of Art, Met 5th Avenue, New York. Online via ­metmuseum.org. Katalog ca. 48 Euro

Es gilt eben, dass etwa eine knappe Generation liegen muss zwischen vestimentärem Überdruss und Wiederentdeckung, bis die ehemals abstoßenden, lächerlich geglaubten Formen, Farben und Sentiments wieder mit ihrer ursprünglichen Begehrlichkeit aufgeladen werden können. Manchmal sogar mehr als das.

Nostalgia Marketing

Denn auf die verführerische Kraft einer zeitlichen Dringlichkeit setzen ja inzwischen ganze Branchen – Nostalgia Marketing lautet die Losung. Man denke nur an das Luxuslabel Gucci, wo schon eine ganze Weile lang das hemmungslos retrograde Schwelgen zelebriert wird. Aktuell schauen viele Stücke und die zugehörigen Kampagnen in etwa so aus, wie man sich in den 90ern eine glamourös-gemütliche Büroparty in den 70er Jahren vorstellte.

Nur: besser. „I have nostalgia for things I probably have never known“, ließ der Künstler David Kramer im Frühjahr 2020 auf seine Gastkreationen für das Modelabel Celine drucken, und womöglich ist auch die hier halb ironisch aufgegriffene Rückwärtssentimentalität wiederum gar nichts so Neues.

Der Ausstellungskatalog gibt Lektürevorschläge zum Verhältnis von Mode respektive Ästhetik und Zeitempfinden an die Hand – Michael Cunninghams Kurzgeschichte „Out of Time“ ist abgedruckt und in Auszügen online nachlesbar, zum Weiterlesen werden Texte von Toni Morrison und Theresa Hak ­Kyung Cha empfohlen.

Oder von Virginia Woolf, die bekanntlich immer wieder davon zu erzählen wusste, wie lineares Zeitverständnis – historisch eng an die Etablierung der hier aufgegriffenen Uhr geknüpft – und Zeitempfinden mitnichten identisch sind.

Zeitreise durch die Modegeschichte

Während sich die Zeitleiste in der Schau fortwährend unserer Jetztzeit annähert, drehen sich die Verhältnisse in einem zweiten Uhrwerk um: Jetzt stehen die jüngeren Entwürfe in vorderer Reihe. Dem avantgardistischen Kleid der niederländischen Designerin Iris van Herpen aus schwarzem, lackglänzenden PVC (2012/2013) wird so ein Ballkleid aus weißer Seide von Charles James aus 1951 an die Seite gestellt. Und plötzlich könnte der Rückgriff auch einen Vorgriff oder gar eine Gleichzeitigkeit kennzeichnen.

So arbeiteten beide Modeschöpfer mit Halbmondformen und ausladenden Volumina, die ihren Kreationen eine organische Anmutung verleihen; der ausschlaggebende Unterschied scheint nun vor allem in den technischen Möglichkeiten zu liegen.

Während James’ Kleider ihre extravaganten Silhouetten tollkühnen Raffungen verdanken, konnte sich van Herpen die Möglichkeiten des 3-D-Drucks zunutze machen. Parallel hierzu zersplittert die Ausstellungsarchitektur im zweiten Teil durch unzählige Spiegelungen, die ein Kaleidoskop aus oben, unten, vor und zurück kreieren.

Ende Dezember erschien ein Artikel auf der Seite des National Geographic, der über die Möglichkeiten von Zeitreisen informierte (Tenor: theoretisch denkbar, praktisch schwieriger). „About Time: Fashion and Duration“ liefert schon mal die modische Anschauung zur Wurmlochtheorie, in der Vergangenheit und Zukunft anhand ganz spezifischer Ausformungen immer schon in unsere jeweilige Gegenwart grätschten. Und, das sowieso, aus dieser wieder vor- und zurückweisen.

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