: „Einen Tag später hätte ich das Kind verloren“
Protokolle aus der Pandemie I: Susan Musimbi* kam schwanger und mit zwei Kindern aus Kenia nach Bremen. In der Erstaufnahme in der Lindenstraße erlebte sie allerlei Schikane und vier Wochen Quarantäne unter hygienisch und sozial gefährlichen Bedingungen
Susan Musimbi
39, ist aus Kenia geflohen und kam mit zwei Kindern mit einem Schengen-Visum nach Deutschland. Der Vater ihres jüngsten Kindes lebte schon vorher in Bremen. Das Gespräch wurde auf Englisch geführt.
Protokoll Jan Zier
Ich kam im Januar nach Bremen in die Erstaufnahme in der Lindenstraße. Dort wurden wir alle auf Corona getestet und mussten zehn Tage warten, um zu sehen, ob sich Symptome zeigen. Die Situation in der Einrichtung war aber wirklich schlecht und entmenschlichend für uns. Viele Menschen saßen dicht an dicht zusammen in der Essenshalle, wir hatten erst einmal keine Masken und keine Desinfektionsmittel, wir konnten auch nicht nach draußen. Wir konnten gar nichts machen.
Als diese Tests begannen, lebte ich mit meinen beiden Kindern, neun und elf Jahre alt, zusammen mit zwei weiteren Frauen mit je einem Kind zusammen in einem Zimmer, also zu siebt; zudem war ich schwanger. Ich war dann jeden Tag bei der Arbeiterwohlfahrt, die die Erstaufnahme betreibt, und habe sie nach einem anderen Zimmer gefragt, habe sie angebettelt. Es gibt da ja auch kleinere Zimmer für Familien – aber ich wurde abgewiesen. Obwohl es durchaus noch leere Zimmer gab.
Später wurde ich dann selbst positiv auf Corona getestet und meine beiden Jungs auch. Trotz der folgenden Quarantäne haben wir alle dasselbe Badezimmer, dieselben Toiletten, dieselben Waschbecken benutzt. Was ist das für eine Quarantäne, in der man kein eigenes Zimmer, keine eigene Toilette hat? Und die Fenster waren auch die ganze Zeit geschlossen, also kam nicht mal frische Luft herein.
Für Schwangere war es während der Quarantäne sehr schwer, ihre Termine beim Arzt einzuhalten. Die wurden abgesagt, solange sie nicht als dringend galten. Ich war damals ja selbst hochschwanger und meine Schwangerschaft war stressig, trotzdem durfte ich nicht zur Frauenärztin gehen. Das sei nicht wichtig, hieß es in der Erstaufnahme. Am nächsten Tag musste ich dann aber als Notfall mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden. Dort hieß es: Wenn ich einen Tag später gekommen wäre, hätte ich das Kind vielleicht verloren. Es kam dann per Kaiserschnitt zur Welt, es geht ihm gut. Positiv auf Corona getestet wurde es nicht.
Als ich in der Klinik ankam, durfte ich aber nicht mal das Badezimmer benutzen und wurde stattdessen auf den Toilettenstuhl verwiesen. Später wurde ich dann in meinem Zimmer eingesperrt. Ich fühlte mich stigmatisiert – zum einen, weil ich schwarz bin, zum anderen wegen Covid-19. Nach einiger Zeit behandelten sie mich dann aber besser. Insgesamt war ich sieben Tage im Krankenhaus untergebracht.
Derweil lebten meine beiden Jungs weiter allein in der Lindenstraße, das war eine schlimme Erfahrung für sie. Sie waren ängstlich und traumatisiert und wussten nicht, was hier passiert. So behandelt man Kinder nicht! Selbst nach der Quarantäne konnten sie erst einmal mit niemandem reden, sie hatten dieses Stigma. Ich war zweimal 14 Tage in Folge in Quarantäne, insgesamt also einen ganzen Monat. Das war verheerend.
Die Security der Arbeiterwohlfahrt in der Lindenstraße hat uns wirklich schlecht behandelt, da gab es viel Missbrauch und Rassismus, ich möchte das gar nicht alles erzählen. Sie haben uns angeschrien und wie Kinder behandelt. Sie haben uns erzählt, wir müssten Masken tragen – selbst trugen sie aber keine. Und auch als ich hochschwanger war, durfte ich den Lift nicht benutzen, selbst wenn ich schwer mit Wasser oder anderem bepackt war. Ich musste immer Treppen steigen, und sie haben es abgelehnt, uns zu helfen.
Meine Kinder haben sich immer vor dieser Security in der Lindenstraße gefürchtet, und sie sind auch deshalb traumatisiert. Sie haben nicht verstanden, warum ich so behandelt werde, warum ich danach dasaß und weinte. Ich sagte ihnen, da kann man nichts machen, da kann man nur abwarten und hoffen, dass es besser wird.
Jene, die für bessere Lebensbedingungen in der Lindenstraße demonstriert haben, wurden dann nachher alle in andere Übergangswohnheime verbracht. Ich war auch bei den Demonstrationen dabei, war aber etwas zurückhaltend, wegen meiner Kinder, und um nicht in Schwierigkeiten zu geraten. Denn jene, die da protestierten, wurden anschließend deswegen schikaniert.
Jetzt lebe ich in der Ermlandstraße, dort geht es uns viel besser und die beiden Jungen gehen nun hier auch in die Schule. Die Security in diesem Übergangswohnheim ist gut und die Sozialarbeiter geben auch ihr Bestes, um uns zu helfen. 2021 will ich dann selbst in die Schule gehen und einen Sprachkurs machen, um Deutsch zu lernen.
* Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen