Streitgespräch über Mieteninitiative: „Die Stadt müsste sich bewegen“
Andreas Breitner, Vertreter der Wohnungswirtschaft, und Initiativensprecher Bernd Vetter streiten darüber, wie die Mieten in Hamburg zu bremsen wären.
taz: Herr Breitner, was geschieht aus Sicht der Wohnungswirtschaft, wenn sich die beiden Hamburger Volksinitiativen „Keine Profite mit Boden und Miete“ durchsetzen?
Andreas Breitner: Die einzelnen Elemente – Vergabe städtischer Grundstücke nur noch als Erbbaurecht und Sozialmieten auf städtischen Grundstücken – hätten eine negative Wirkung auf den Hamburger Wohnungsmarkt. Sie können dazu führen, dass weniger bezahlbarer Wohnraum entsteht. Außerdem glaube ich nicht, dass größere Einheiten von gefördertem Wohnungsbau auf einem Fleck der Stadt gut tun.
Herr Vetter, der Mietenanstieg verlangsamt sich – wozu braucht es jetzt noch Initiativen wie „Keine Profite mit Boden und Miete“?
Bernd Vetter: Die angebliche Verlangsamung geht auf Untersuchungen zurück, die ich nicht überprüfen kann. Das Problem ist, dass die Mieten rasant gestiegen sind – um 30 Prozent in den vergangenen zehn Jahren. Die Mieten sind auf einem extrem hohen Stand, das kann jeder sehen, der in Hamburg eine Wohnung sucht.
Allerdings sind auch die Instrumente schärfer geworden, mit denen diese Entwicklung gedämpft werden soll, etwa die Mietpreisbremse.
Bernd Vetter: Das ist doch eine Volkstäuschung gewesen. Ich habe schon vor der Bundestagswahl gesagt, dass diese Mietpreisbremse nichts bringen wird. Das hat sich in Untersuchungen auch erwiesen. Der Bundestag hat sie jetzt etwas geschärft, aber sie wird von fast niemandem genutzt. Wenn man etwas hätte machen wollen, hätte man den Paragrafen fünf des Wirtschaftsstrafgesetzes verschärfen müssen. Er beinhaltet, dass die ortsübliche Miete nicht um mehr als 20 Prozent überschritten werden darf. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss jeder einzelne Mieter für sich die Mangellage beim Wohnraum beweisen. Vorher reichte, dass etwa eine Zweckentfremdungsverordnung in diesem Gebiet galt. Damit ist das Instrument tot.
Andreas Breitner: Das war ein gutes Instrument, um Mietwucher einzudämmen, und ich würde mir sehr wünschen, dass es stärkere politische Anstrengungen gibt, diesen Paragrafen im Wirtschaftsstrafrecht wieder zu schärfen. Das würde diese ganze Quälerei mit der Mietpreisbremse, die unsere Mitgliedsunternehmen ja gelassen sehen können, beenden. Die Mietpreisbremse klingt nur sexy, bringt aber nichts. Ohnehin sind die Mieten in Hamburg laut dem Mietenspiegel zuletzt weniger stark gestiegen als die Lebenshaltungskosten.
Bernd Vetter: Zwischen 2005 und 2017 sind sie demnach aber um 29 Prozent gestiegen, die Lebenshaltungskosten nur um 16 Prozent.
Andreas Breitner: Ein Drittel des Hamburger Wohnungsmarktes bestreiten unsere Mitgliedsunternehmen. Die hatten in den vergangen fünf Jahren eine Preissteigerung von 0,1 Prozent. Dass Neuvermietungen in Hamburg einen hohen Preis haben, ist aber auch unbestritten. Selbst eine Genossenschaftswohnung ist in der Neuvermietung teurer als im Bestand.
53, ist Direktor des Verbandes Norddeutscher Wohnungsunternehmen, in dem vor allem Genossenschaften und kommunale Wohnungsunternehmen organisiert sind. Von 2012 bis 2014 war der Sozialdemokrat Innenminister des Landes Schleswig-Holstein.
Bernd Vetter: Tatsächlich werden in Hamburg im Vergleich der sieben größten deutschen Städte die meisten Wohnungen gebaut, seit der damalige Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) seine Offensive gestartet hat. Der entscheidende Punkt ist aber, dass diese Neubauwohnungen teuer vermietet und im Gegenzug Altbauwohnungen abgerissen werden. Das unterstützt die Stadt Hamburg in jeder Form. Die Wohnungsunternehmen werden gepampert, damit die Neubauzahl von 10.000 Wohnungen im Jahr erreicht wird. Hamburg geht nicht gegen Leerstand vor und genehmigt im großen Stil Abrisse – seit 2011 im Schnitt 420 pro Jahr.
Immerhin gibt es ja den Drittelmix, nach dem 30 Prozent der neuen Wohnungen Sozialwohnungen sein müssen.
Bernd Vetter: Der Drittelmix ist ja auch nicht wirklich wahr: Wenn man die Flächen nimmt, sind es nur 20 bis 25 Prozent. Trotzdem sinkt der Bestand an Sozialwohnungen, weil die alten aus der Bindung laufen. Das Grundübel des Systems ist, dass es in Hamburg noch 79.000 Sozialwohnungen gibt, aber 368.000 anspruchsberechtigte Haushalte. Das ist doch der Grund, warum wir das machen. Es geht nicht darum, ob die Bestandsmieten steigen – die sind ja schon hoch. Und die Neubaumieten sind für die meisten Menschen nicht bezahlbar.
Andreas Breitner: Wenn Wohnungen aus der Belegungsbindung fallen, heißt das nicht automatisch, dass sie teurer werden. Unsere Mitgliedsunternehmen fahren dann kein Mieterhöhungsprogramm. Die sind sehr vorsichtig in ihrer Mietenstrategie. Deshalb ist das Auslaufen der Bindung für mich kein Schreckgespenst.
72, ist Rechtsanwalt und hat den Verein „Mieter helfen Mietern“ mitgegründet. Für sein Hausprojekt in der Eppendorfer Haynstraße hat er vor Jahrzehnten einen Mietvertrag ausgetüftelt, der allen Kündigungsversuchen widerstand.
Herr Vetter, was wollen die Volksinitiativen?
Bernd Vetter: Der Senat soll nichts mehr veräußern an Grundstücken und Wohnungen, sondern Grundstücke allenfalls noch als Erbbaurecht vergeben. Das bezieht sich einerseits auf Wohnungen, andererseits auf Infrastruktur, also Grundstücke für Kitas, Schulen, Parks. In der Vergangenheit hat Hamburg sehr viel nach Höchstgebot verscherbelt. Das ist in den letzten Jahren durch den SPD-Senat nicht mehr geschehen. Aber der Senat kann ja auch wieder wechseln und erneut Tafelsilber veräußern, um den Haushalt zu sanieren. Ausnahmen vom Verkaufsverbot soll es geben, etwa wenn der Senat Grundstücke tauschen will. Dazu soll es aber einen öffentlich nachvollziehbaren Bürgerschaftsbeschluss geben.
Andreas Breitner: Vor 15 Jahren hätte es Anlass zu den Initiativen gegeben. Heute fährt der Zug in die richtige Richtung – auch im Sinne der Initiativen. Das liegt daran, dass der Senat das tut, was er tun kann, nämlich möglichst viele Grundstücke dem Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen. Seit 2011 sind rund 66.000 Wohnungen entstanden – und davon sind alleine mehr als 18.000 Sozialwohnungen. Wir haben bei unseren Mitgliedsunternehmen Erbbaurechtsverträge, die nach 70 oder 80 Jahren auslaufen und jetzt verlängert werden müssten. Jetzt spielt plötzlich der Bodenwert eine Rolle und der ist in den letzten zehn Jahren in den Himmel geschossen. Wenn in den neu abzuschließenden Erbbaurechtsverträgen die aktuellen Bodenwerte zugrunde gelegt werden, führt das dazu, dass die Mieten steigen müssen. Dazu kommen die Konditionen: Man pachtet das Grundstück und erwirbt es nicht. Unsere Mitgliedsunternehmen arbeiten mit 20 bis 30 Prozent Eigenkapital und nehmen den Rest auf. Mit diesem Eigenkapital kommen sie nicht aus, wenn ihnen die Grundstücke nicht gehören. Wenn unsere Unternehmen 20 Prozent Eigenkapital in fünf Neubauprojekte stecken wollen und müssen stattdessen 25 Prozent aufbringen – dann fällt ein Neubauprojekt weg. Das alles führt dazu, dass bei meinen Mitgliedsunternehmen das Erbbaurecht beliebt ist wie Fußpilz.
Hätten sich die Genossenschaften nicht darauf einstellen müssen, dass ihre Erbbaurechtsverträge auslaufen?
Andreas Breitner: Wenn die Konditionen sich nicht bessern, geben die das Grundstück schlichtweg zurück an die Stadt. Nur: Wer kümmert sich dann darum? Die Genossenschaften haben über Jahrzehnte bewiesen, dass sie verantwortungsvoll mit ihren Wohnungsbeständen umgehen.
Herr Vetter, sollten die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen vom Erbbaurecht ausgenommen werden?
Bernd Vetter: Die Stadt soll die Grundstücke an die Genossenschaften im Erbbaurecht vergeben und dann über die Höhe des Erbbauzinses die Kosten steuern. Das hieße, dass die Stadt eine andere Art der Förderung betriebe, indem sie einen niedrigen oder gar keinen Erbbauzins nähme. Insofern stimmt auch das Argument mit dem Eigenkapital nicht. Der Grundstückspreis macht ja 40 bis 50 Prozent der Kosten aus. Der fällt ja weg. Wenn du von einem geringeren Betrag ausgehst, brauchst du auch weniger Kapital. So kann die Stadt das steuern und dann ist auch eine Miete von 6,70 Euro – wie bei einer Sozialwohnung – möglich. Wir wollen also keinesfalls, dass nur Sozialwohnungen gebaut werden, sondern dass Wohnungen gebaut werden, die zu einem Preis wie Sozialwohnungen im ersten Förderweg vermietet werden – und zwar anders als Sozialwohnungen dauerhaft preisgebunden. Die Miete soll nur entsprechend dem Index der Lebenshaltungskosten gesteigert werden können, maximal zwei Prozent im Jahr.
Andreas Breitner: Und das würde für alle gelten – auch für den Chefarzt?
Bernd Vetter: Von uns ausgesehen soll es keine Belegungsbindung geben. Natürlich kann der Chefarzt dann auch für 6,70 Euro wohnen. Aber die Genossenschaften können ja steuern, wen sie nehmen, und der Senat könnte Vorgaben machen in dem Erbbaurechtsvertrag. Wir wollen keine Belegungsbindung, weil die ja nach zehn, zwanzig Jahren ausläuft. Deshalb lehnen wir den sozialen Wohnungsbau als Fördermodell ab. Unsere Initiativen zielen auf ein neues Fördermodell im Sinne einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit. Deshalb müssen die Genossenschaften vor unseren Initiativen keine Angst haben. Im Gegenteil: Sie werden möglicherweise eine höhere Förderung erhalten.
Andreas Breitner: Aber Förderung bedeutet, Steuergelder dafür einzusetzen, dass ein Chefarzt eine subventionierte Wohnung hat – das möchte ich nicht.
Bernd Vetter: Eine Neubauwohnung für 6,70 Euro wird nicht nach einem super Standard gebaut werden können. Dass sich ein Chefarzt dafür interessiert, ist wenig wahrscheinlich. Die Acht-Euro-Wohnungen, die der Senat im zweiten Förderweg anbietet, sind ja auch nicht belegungsgebunden.
Andreas Breitner: Beim Erbbaurecht sind wir, glaube ich, der gleichen Auffassung: Wenn die Konditionen so günstig sind und so gut, dass es wirtschaftlich attraktiv ist, mit einem Erbbaurecht zu investieren, dann bin ich bei Ihnen. Dann muss nur die Stadt ihre Gewinnabsicht zurückstellen.
Bernd Vetter: Das sagen wir ja.
Andreas Breitner: Im Moment bekommt der Senat im Haushalt 200 Millionen Euro aufgrund der Veräußerung von Grundstücken. Da müsste sich die Stadt zugunsten dieses Modells extrem bewegen. Das versuchen wir ja gerade bei den zehn Altverträgen hin zu bekommen und quälen uns. Die Stadt hat immer den Konflikt zwischen Gewinnabsicht – weil sie etwa auch Kitas und Schulen zu finanzieren hat – und dem bezahlbaren Wohnen. Wenn das stärker zugunsten des bezahlbaren Wohnen gelöst würde, könnten wir uns schon eher einigen.
Bernd Vetter: Das ist für uns die Voraussetzung. Wir wollen ja gerade, dass die Genossenschaften und die Baugemeinschaften mehr zum Zuge kommen.
Würde eine billige Miete nicht einfach dazu führen, dass die Hamburger mehr Fläche bewohnen?
Bernd Vetter: Ob das diese Auswirkungen hat, darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht.
Andreas Breitner: Aber bei Ihnen hat es diese Auswirkungen. In Ihrem Wohnprojekt sind die Wohnungen riesig und die Leute zahlen 3,30 Euro pro Quadratmeter. Wenn die mehr zahlen müssten, würden die Wohnungen kleiner werden – wollen wir wetten?
Bernd Vetter: Die Gruppe, die das Haus als Ganzes gemietet hat, investiert auch in die Instandsetzung. Letztendlich haben wir eine Miete von 6,40 Euro netto kalt.
Wären die 6,70 Euro auch attraktiv für profitorientierte Wohnungsunternehmen?
Andreas Breitner: Da gäbe es bestimmt auch Private, die in dieser Nische aktiv würden. Das wären ja 6,70 plus Förderung, am Ende also an die elf Euro.
Hätte die Stadt überhaupt genügend Grundstücke, um das Modell der Volksinitiativen durchzuziehen?
Andreas Breitner: Wir erleben, dass zurzeit wenige Grundstücke vergeben werden. Die reifen Früchte wurden in den vergangenen Bündnissen für das Wohnen gepflückt. Jetzt kommen komplizierte Grundstücke mit hohen Erschließungskosten, mit schwierigen Gründungen und Nachbarschaften, die sich an der Verdichtung stören.
Sie sind sich also einig, dass es den Wohnungsbau nicht abwürgen würde, wenn sich die beiden Initiativen durchsetzten?
Andreas Breitner: Sie sind geeignet, einen Teil des bezahlbaren Wohnens zu gefährden, zumindest wenn mit dem Bauen noch ehrgeizige Auflagen zum Klimaschutz oder der Stadtentwicklung finanziert werden sollen. Nach wie vor sind wir uneins in der Frage der 6,70 Euro Miete für jedermann – obwohl sie doch in Hamburg eher zwölf Euro betragen müsste. Das finde ich sozial unausgewogen.
Bernd Vetter: Das Sozialwohnungssystem war ja früher für breite Schichten der Bevölkerung gedacht und nicht nur für die Ärmsten der Armen. Das hat man offiziell geändert. Heute gibt es nur noch ein Fünftel dieser Sozialwohnungen und zumindest in den Ballungsgebieten ist auch die Mittelschicht bedroht. 29 Prozent der Hamburger geben nach einer Umfrage der Hamburger Sparkasse ungefähr die Hälfte ihres Nettoeinkommens für die Miete aus, weitere 16 Prozent noch mehr.
Andreas Breitner: Man versucht dem zu begegnen, indem man weitere Förderwege geschaffen und die Einkommensgrenzen angepasst hat, sodass Menschen mit mittlerem Einkommen eine Chance haben. Deshalb versucht der Senat ja auch, möglichst viel davon zu bauen – aber zu wenig aus Ihrer Sicht.
Bernd Vetter: Jeder Hamburger, der eine Wohnung sucht, merkt doch, was los ist.
Andreas Breitner: Aber es wird besser: Wo sich früher 80 Leute für eine Wohnung interessiert haben, sind es jetzt noch 40.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene