Nachruf auf Regisseur Kim Ki-duk: Im Labor des Verhaltensbiologen
Der Regisseur Kim Ki-duk war ein Vertreter des neuen Kinos in Südkorea. Jetzt ist er an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben.
Eine Gruppe Obdachloser, die am Ufer des Hangang in der Nähe einer Brücke kampieren. Einer der Männer lebt davon, Selbstmördern, die von der Brücke springen, Geld und Wertsachen abzunehmen. Wegen seines Lauerns am Flussufer hat der Mann den Spitznamen „Krokodil“ bekommen. Ein alter Mann und ein Junge sind die Einzigen, die es in der Nähe von Krokodil aushalten, der brutal und aufbrausend ist.
Eines Abends springt eine junge Frau von der Brücke. Krokodil zieht sie aus dem Wasser und vergewaltigt sie. Am nächsten Tag flieht die junge Frau, kehrt jedoch zurück, wird für eine Zeit Teil der zusammengewürfelten Gruppe von Außenseitern. Am Ende von Kim Ki-duks Regiedebüt „Crocodile“ sind die junge Frau und der Protagonist ein Paar, dann bringt erst sie sich um, dann er. Der Erstlingsfilm von Kim Ki-duk sollte den Ton setzen für sein weiteres Werk.
Der Autodidakt Kim begann seine Filmkarriere 1995 nach einem Europaaufenthalt mit einem Drehbuch. Das nie realisierte Projekt handelte von der Beziehung zwischen einem krebskranken Maler und einer Sexarbeiterin, deren beider Leben in einer Schießerei mit der Polizei enden. Ein Jahr später dreht er kurz hintereinander „Crocodile“ und „Wild Animals“. Letzterer schildert das Zusammentreffen einer südkoreanischen Straßenkünstlerin und eines nordkoreanischen Deserteurs in Paris, das der Film zu einem Trip durch die Pariser Unterwelt nutzt.
Schmuddeligkeit, Synthesizerklänge, Prügelszenen
Kims erste Filme sind raue Porträts gesellschaftlicher Außenseiter. Mit großer Aufmerksamkeit inszeniert er Orte, die ein düsteres Bild der südkoreanischen Gesellschaft zeichnen. In beiden Filmen knüpft Kim an Thriller der späten 1980er und 1990er Jahre an. Schmuddeligkeit, Synthesizerklänge, Prügelszenen.
Die stilisierte Gewalt der späteren Filme Kims findet sich nur in Ansätzen, stattdessen wird die Gewalt als Teil eines urbanen, brutalen Kapitalismus gezeigt. Die Filme verbinden Kims avanciertes Bildverständnis mit dem Können von Bildgestaltern wie Lee Dong-sam oder dem Kameraveteranen Seo Jeong-min.
Ein Jahr nach diesen ersten beiden Filmen inmitten des fragilen Übergangs Südkoreas von einem autoritären System zu einer Demokratie erschütterte eine Wirtschaftskrise das Land, die auch eine ganze Reihe weiterer Länder Asiens hart traf. Die Krise führte zu Umwälzungen in der konservativen südkoreanischen Filmproduktion, die zu jener neuen Welle von Filmemachern führten, die man heute mit dem Kino des Landes verbindet. Neben Kim Ki-duk gehören dazu Regisseure wie Hong Sang-soo und Park Chan-wook.
Dieses neue Kino Südkoreas fand schnell Aufmerksamkeit im Ausland. 1999 läuft Kims dritter Film „Birdcage Inn“ über ein familiengeführtes Minibordell im Panorama der Berlinale. Die Familie beutet eine junge Sexarbeiterin aus. „Birdcage Inn“ ist der erste Film Kim Ki-duks, der eines jener Settings nutzte, die einem Labor von Verhaltensbiologen zu entstammen scheinen. Solche Settings tauchten seither wiederholt in seinen Filmen auf.
Anschuldigungen wegen der Misshandlung
Während Kims Arbeiten in Südkorea zunächst auf wenig Gegenliebe stießen und regelmäßig beim Publikum durchfielen, zog er die 2000er Jahre hindurch im Ausland von Erfolg zu Erfolg. Sein vierter Film „The Isle“ war 2000 im Wettbewerb des Filmfestivals von Venedig, ein Jahr später folgte „Bad Guy“ im Wettbewerb der Berlinale, wo 2004 gleich der nächste Film von ihm lief. Mit „Samaria“ gewann Kim den Silbernen Bären für die beste Regie. Es folgten Vorführungen seiner Filme in aller Welt, unter anderem im New Yorker Anthology Film Archive.
Im Jahr 2007 lief Kims „Breath“ im Wettbewerb in Cannes, 2012 gewann er mit „Pietà“ als erster südkoreanischer Regisseur den goldenen Löwen der Filmfestspiele von Venedig. Kim ist bis heute der einzige südkoreanische Regisseur, dessen Filme in den Wettbewerben aller drei großen europäischen Festivals zu sehen waren. Kims brillante Bildsprache und seine oft misogyne Gewalt machten ihn zu einem Kultregisseur.
Im Jahr 2017, inmitten der weltweiten #MeToo-Bewegung, wurden Anschuldigungen gegen Kim bekannt wegen der Misshandlung einer Schauspielerin beim Dreh von „Moebius“ 2013. Später kam es zu weiteren Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe bei späteren Drehs. Für die Misshandlung wurde Kim rechtskräftig verurteilt, für die sexuellen Übergriffe sah das Gericht keine ausreichenden Beweise. Eine Gegenklage Kims gegen die Schauspielerinnen, die die Vorwürfe erhoben hatten, hatte keinen Erfolg.
Trotz der Anschuldigungen lief Kims „Human, Space, Time and Human“ 2018 im Wettbewerb der Berlinale. Letztes Jahr drehte Kim in Kasachstan seinen letzten Film „Dissolve“. Er führte bei 23 Spielfilmen und einem Dokumentarfilm Regie. Am Freitag ist Kim Ki-duk im Alter von 59 Jahren in Lettland an den Folgen einer Coronavirus-Infektion gestorben.
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