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Streit um Rechtsstaatlichkeit in EUPatt in Brüssel

Der Budgetstreit geht weiter, Ungarn und Polen bestehen auf ihrem Veto. Das Europaparlament ist in Rage, Merkel scheut bislang vor einem Bruch zurück.

Die beiden rechtspopulistischen Regierungschefs Mateusz Morawiecki (l.) und Viktor Orbán (r.) Foto: Czarek Sokolowski

Brüssel taz | Im Streit mit Ungarn und Polen über das neue EU-Finanzpaket und die Coronahilfen haben sich die Fronten bedrohlich verhärtet. Ungarn und Polen wollen an ihrem umstrittenen Veto gegen den 1,8 Billionen Euro schweren Budgetplan festhalten, hieß es am Donnerstag vor einem Treffen der beiden rechtspopulistischen Regierungschefs Viktor Orbán und Mateusz Morawiecki in Budapest.

„Wir haben kein Angebot erhalten, auf dessen Grundlage das Budget der EU und der Rettungsfonds annehmbar wären“, erklärte Kanzleramtsminister Gergely Gulyás. „Die Dinge stehen weiterhin so, dass Ungarn ein Veto einlegen wird“, fügte er hinzu. Ungarn und Polen fordern, die sogenannte Konditionalität zu streichen, die die Zahlung von EU-Geldern an die Rechtsstaatlichkeit bindet.

Dies bringt das Europaparlament in Brüssel in Rage. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse ihre Politik des „Appeasements“ gegenüber Orbán aufgeben und mit dem Entzug von Finanzhilfen drohen, heißt es quer durch die Fraktionen. Merkel hat derzeit den halbjährlichen EU-Vorsitz inne. Seit Beginn des Streits vor zehn Tagen hat sie versucht, hinter den Kulissen zu schlichten – vergeblich.

„Für Angela Merkel und die deutsche Ratspräsidentschaft ist jetzt die Stunde der Wahrheit gekommen“, erklärt die grüne Europaabgeordnete Terry Reintke. „Bleibt es bei warmen Worten – oder zeigt sie klare Kante für die Werte der EU?“ Die EU sei nicht machtlos, erklärt ihr Parteifreund Sven Giegold. Die anderen 25 Länder könnten mittels der „verstärkten Zusammenarbeit“ vorangehen und den Corona-Aufbaufonds ohne Ungarn und Polen vorantreiben.

Merkel scheut bisher vor einem Bruch zurück

Ähnlich äußerte sich der liberale Abgeordnete Guy Verhofstadt: Falls Budapest und Warschau an ihrem Veto festhalten, sollten sie keine Mittel aus dem Coronarettungspaket erhalten. Sogar in der konservativen EVP-Fraktion, der auch CDU und CSU angehören, rumort es. Der österreichische Europapolitiker Othmar Karas äußerte sich empört über einen ungarischen Abgeordneten, der EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) mit der Gestapo verglichen hatte. Dieser müsse sich entweder entschuldigen oder aus der EVP-Fraktion austreten.

Andere Mitglieder fordern sogar den Rauswurf aller ungarischen Parlamentarier aus der Fraktion. Doch dagegen sträuben sich CDU und CSU. Auch Merkel scheut bisher vor einem Bruch zurück. Der Ball liege in Budapest, heißt es beim deutschen EU-Vorsitz. Die Konditionalitätsverordnung werde auf gar keinen Fall geändert.

Am Freitag wollen sich die EU-Botschafter in Brüssel mit dem Streit befassen. Wenn Ungarn und Polen bei ihrer harten Haltung bleiben, könnte die EU eine härtere Gangart einlegen, hieß es in Diplomatenkreisen.

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8 Kommentare

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  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Vielleicht ist der eigentliche Grund, dass Leute wie Trump, Netanjahu, Kaczinski, Orban, Farrage in den letzten Jahren so erfolgreich aufschlagen konnten, der, dass das demokr. Lager so schrecklich mittelmäßig ist.""

    ==

    Super Kommentar - der leider, wie ich finde, etwas ""nebelig"" endet. In der Auseinandersetzung mit Polen und Ungarn sollten sie die Geschichte mitdenken - beiden Ländern verdankt die Bundesrepublik eine Menge - Polen die vorbildliche Aufstandsbewegung ab den 80ziger Jahren, die sich dann in der DDR weiter fortpflanzte - und die Grenzöffnung in Ungarn 1989, welches den letzten Tropfen beinhaltete, der die Möchtegern - sozialistischen - Diktaturen unter sowjetischer Führung hinwegfegte.

    Westliche Handlungsschwäche ergibt sich einerseits aus dem Kredit der beiden Staaten eingeräumt wird - aber auch aus geopolitischen Überlegungen. Wie könnte z.B. die Bundesrepublik den Polen die kalte Schulter zeigen, da sie der Nachfolgestaat des deutschen Reiches ist - welcher mit dem Hitler Stalin Pakt Polen geteilt, zerrieben und auf brutalst mögliche Weise zerstört hat?

    Hinzu kommt der Punkt - und diese Frage ist nicht mittelmässig - wie es denn sein kann, das beide Staaten wie kaum andere unter Diktaturen gelitten haben - sich aber derzeit mal wieder für diktatorische (rechtspopulistische) Strukturen entscheiden?

    Merkel denkt das mit - deswegen das unsouveräne und unschlüssige Bild europäischer Reaktionen auf beide sich entwickelnde Diktaturen.

    Die Lösung und Antworten können sich nur aus einer moderaten, aber treffsicheren Antwort der EU, der Kommision und des europäischen Parlamentes entwickeln.

    Und was die derzeit ""treiben""können sie sehr schön an Michel Barniers Verhandlungsführung gegenüber den Brexiteers in England beobachten.

    Das ist alles andere als mittelmässig.

    Was fehlte war die Bereitschaft Europas, gegen Trumps Außenpolitik den Konflikt mit Polen und Ungarn aktiv weiter zu treiben. Aber das ändert sich ja gerade.

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @06438 (Profil gelöscht):

      Antwort auf den Kommentar von Ingrid Werner.

  • So richtig blicke ich nicht durch. So wie ich es verstanden habe, blockieren Ungarn u. Polen den gesamten Haushalt. Der Coronafond kann vielleicht über die "verstärkte Zusammenarbeit" an Ungarn und Polen vorbei verteilt werden, der Haushalt an sich aber nicht. Es gäbe wenn keine Einigung zustande kommt einen Nothaushalt, über den würden Landwirtschaftshilfen und die Gehälter der EU- Beamten (?) weiterhin fließen können, auch an Ungarn und Polen. Weiterhin sieht es wohl so aus, dass, wie andere Zeitungen schreiben, beide noch einige Milliarden aus dem Vorgängerhaushalt nicht abgerufen haben, diese Gelder aber nach geltendem Recht noch bis 2023 abrufen können. Sie haben also Rücklagen mit denen Sie den Streit locker aussitzen könnten, heißt es, während Länder wie Italien, Griechenland u Spanien ohne den Haushalt auf dem Zahnfleisch laufen müssten. @Redaktion: Erbitte um Aufklärung, ob dies tatsächlich so ist.

    Es gibt ja auch Mutmaßungen, der polnischen Opposition , dass die beiden insgeheim einen Ausstieg aus der EU anstreben, sie warten jetzt vllcht nur darauf, dass die EU den Bruch vollzieht, um ihre Hände in Unschuld zu waschen. Vor eins, zwei Jahren gab es auch schon mal Spekulationen im Spiegel, dass Orban eine Art Ost- EU plant, dazu auch noch Länder wie Serbien und Montenegro einladen möchte, die zwar bislang offiziell in die EU wollen, aber von Rechtsstaatlichkeit auch nicht so begeistert sind...

    Die EU sollte sich überlegen, ob sie sich nicht so langsam Strategien zurechtlegt, die etwas ausgefuchster sind um Systemgegner, und Diktaturen in ihrer Nachbarschaft zu Fall zu bringen, bzw deren Opposition zu unterstützen. Dialog, zahnlose Sanktionen und Appelle sind zu wenig. Da machen die Gegner schon seit längerem einen gewiefteren Eindruck. Vielleicht ist der eigentliche Grund, dass Leute wie Trump, Netanjahu, Kaczinski, Orban, Farrage in den letzten Jahren so erfolgreich aufschlagen konnten, der, dass das demokr. Lager so schrecklich mittelmäßig ist.

  • Die Tiger in Brüssel und Straßburg brüllen von der Galerie, aber ob sie auch springen?! Orban hat in einem Interview der "Zeit" seine Strategie deutlich gemacht: Wir stimmen dem Etat zu, die Rechtsstaats-Fragen sollen dagegen getrennt neu diskuiert werden. Durchschaubarer Trick des Rechstauslegers und Antisemiten aus Budapest. So entginge er dem Druck durch die EU-Staaten, die auf Hilfen angewiesen sind. Und ich fürchte, das kann funktionieren. Orban warnt vor Eingriffen der EU in die Politik der Einzelstaaten - damit könnte er sich propagandistisch durchsetzen. In vielen EU-Ländern gibt es Vorbehalte gegen die 'Aufgabe' von vermeintlichen Souveränitätsrechten der Einzelstaaten. Da dürfte er hinter vorgehaltener Hand durchaus auf Zustimmung nicht nur bei den Visegrad-Staaten treffen. Ich halte die Wette: Orban und Co kommen mit ihrer Strategie durch.

  • "Merkel scheut bisher vor einem Bruch zurück"

    Das ist ihre Masche - damit entzieht sie sich jeglicher Konfrontation (genau so wie gegenüber der Türkei).

    Aussitzen und aussitzen, manchmal schöne Worte und dann aussitzen und verhindern (z.B. Amazon-Besteuerung).

    Und damit ist sie durch die ganzen Regierungsjahre gekommen und es gibt tatsächlich Leute, die bedauern, dass sie bald weg ist 😡

    • @Rossignol:

      "...es gibt tatsächlich Leute, die bedauern, dass sie bald weg ist."

      Das dürfte allerdings hauptsächlich der Sorge vor ihren potentiellen Nachfolgern geschuldet sein...

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Patt in Brüssel""



    ==



    Kann man so sehen - allerdings kann auch davon ausgegangen werden das die EU - in diesem Fall das Europäische Parlament - endlich den richtigen Hebel gefunden hat auf den Rechtsradikalpopulisten empfindlich reagieren.

    Um das Patt - oder was auch immer - weiter konsequent auf die Spitze zu treiben ist jetzt die Ratspräsidenschaft und die viel gelobte Kreativität der Kommision gefragt, wie Notgelder rechtssicher an notleidende Staaten über einzelstaatliche Initiativen ausgezahlt werden können, die dann nach Beendigung des Konfliktes durch die EU ausgeglichen werden.

    Das Polen und Ungarn dabei leer ausgehen - dafür setzen sich Orban und Morawiecki gegenwärtig mit Ihrer ganzen Energie ein. Beide haben die Schraube überdreht indem sie die Auszahlung der Hilfsgelder an notleidende Staaten blockieren.

  • "Der Ball liege in Budapest", hört man von der deutschen Ratspräsidentschaft.



    Eine noch lächerlichere Begründunng für die eigene Untätigkeit und Unfähigkeit hätte Deutschland gar nicht finden können.

    Wieso eigentlich kann die CSU und Teile der CDU die EU-Ratspräsidentin Merkel so stark beeinflussen, dass sie den ausdrücklichen Willen des EU-Parlaments nach Rechtsstaatlichkeit ignoriert und dass sie auch die Mehrheit der EU-Staaten vor den Kopf stößt ?



    Von der deutschen Kanzlerin hatte Europa eine andere Führung erwartet.

    Reicht es eigentlich nicht, dass seit drei Jahren GroKo-Berlin nach der CSU-Pfeife der Seehofer, Dobrindt, Scheuer tanzen muss ?



    Wird jetzt auch die EU von München aus regiert, Frau Merkel ?