Streit um den Jahn-Sportpark: Lieber nicht quick and dirty
Der schnelle Abriss des Jahn-Stadions ist vom Tisch. Stattdessen gibt es nun ein Werkstattverfahren. Wer sind die Gewinner und Verlierer?
Noch im Frühsommer sah alles danach aus, dass zum Jahresende die Bagger anrollen, um das Stadion im Jahn-Sportpark abzureißen. 14 Millionen Euro standen dafür im Haushalt schon bereit. Eine Bürgerinitiative, die dagegen protestierte, drang kaum nach außen durch. Eine lokale Posse, irgendwas mit Sport und Inklusion. Wen interessiert das schon?
Ein halbes Jahr später ist alles anders. Bevor die Abrissbagger in den Prenzlauer Berg kommen, wird bei einem Werkstattverfahren nicht nur über das Stadion, sondern das ganze Areal debattiert, und zwar auch mit den Anwohnerinnen und Anwohnern. Parallel dazu wird ein Bebauungsplan erstellt, der 2022 fertig werden soll. Mit ihm, so teilte es die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen am Montag mit, solle eine „geordnete städtebauliche Entwicklung“ gewährleistet werden.
Was ist in diesem halben Jahr passiert? Wer hat sich gegen wen durchgesetzt? Wer sind die Verlierer und wer die Gewinner?
„Wir hatten immer die Hoffnung, einen schnellen Abriss zu verhindern“, sagt Philipp Dittrich von der Bürgerinitiative Jahn-Sportpark. Rückblickend glaubt er, dass Innen- und Sportsenator Andreas Geisel (SPD), dessen Verwaltung die Abrisspläne vorangetrieben hat, von einer falschen Annahme ausgegangen sei. „Manche dachten, dass sie das Ganze voranbringen, wenn sie als Erstes das Stadion abreißen“, sagt Dittrich. „Aber das hätte bedeutet, man macht etwas kaputt, ohne etwas Neues in der Hand zu haben.“ Dittrich spricht in diesem Zusammenhang von einem Lernprozess. „Am Ende hätte es nämlich nur hässliche Bilder von einem abgerissenen Stadion im Wahlkampf gegeben.“
Tatsächlich war die Sportverwaltung von Andreas Geisel die treibende Kraft hinter den Abrissplänen. Noch vor Corona träumte er davon, 2023 in einem Stadionneubau die Special Olympics World Summer Games für Sportler mit Behinderungen ausrichten zu können. Um das Ganze voranzutreiben, sollte das Stadiongelände aus dem Bebauungsplanverfahren herausgenommen und ein „Ersatzneubau“ nach Paragraf 34 des Baugesetzbuches errichtet werden. Damit ist eine Baugenehmigung auch ohne B-Plan möglich, wenn sich der Neubau in Art und Nutzung nicht vom Vorgängerbau unterscheidet oder er sich „in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist“.
Das aber haben nicht nur Philipp Dittrich und seine Bürgerinitiative infrage gestellt, die von Anfang an ein Gesamtkonzept für den Sportpark forderte. Auch die grünen und linken Bauexperten im Abgeordnetenhaus, Andreas Otto und Michail Nelken, machten nun öffentlich Druck gegen das Vorhaben. „Hier geht es nicht nur um Sport, sondern auch um Stadtentwicklung“, sagt Otto. Michail Nelken meint: „Ein zweitligataugliches Stadtion, wie es geplant ist, strahlt weit über den Kiez hinaus.“ Also müsse man auch über Verkehr und Erschließung sprechen, bevor Fakten geschaffen werden.
Der Hebel, den beide in der Hand hatten, waren die 14 Millionen an Abrissmitteln, die der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses erst noch freigeben musste. Otto und Nelken verlangten eine Überarbeitung der Machbarkeitsstudie durch den Senat. Gleichzeitig versuchten sie, Senatsbaudirektorin Regula Lüscher davon zu überzeugen, dass ein Stadionneubau ohne B-Plan rechtlich schwierig sei. Zwar ist die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen in diesem Falle nur die ausführende Behörde für den Sportsenator. Aber quick and dirty geht auch nur, wenn hinterher keine Scherben zusammengekehrt werden müssen.
Bei einer Beratung von Sportsenator Geisel und Bausenator Sebastian Scheel (Linke) mit den Fachpolitikern der Koalitionsfraktionen wurden Abriss und Neubau dann abgeblasen. Dass dabei auch der Wechsel von Bausenatorin Katrin Lompscher zu Sebastian Scheel eine Rolle gespielt haben könnte, bestreitet die Bauverwaltung. In der Sportverwaltung ist man sich da nicht so sicher.
Geisels Sprecher, Martin Pallgen, gab sich dennoch als guter Verlierer. „Wir tragen den Kompromiss mit“, sagt er der taz. Gleichwohl habe man sich eine „schnellere Lösung“ gewünscht.
Nach außen tragen aber wollte den Kompromiss weder seine Verwaltung noch die von Bausenator Scheel. Denn das Treffen, auf dem der Abriss abgeblasen wurde, fand bereits am 2. Oktober statt. Öffentlich wurde alles aber erst vergangene Woche. Und die Bauverwaltung verkündete am Montag mit dem B-Plan-Verfahren einen Beschluss vom 13. November.
Gut möglich, dass bei Geisel und Scheel die Angst umgeht, sich die Hände an der Sache verbrennen zu können. Denn nicht jeder teilt die Meinung von Grünen und Linken. Sport- und Behindertenverbände befürchten zum Beispiel, dass mit der Verschiebung des Neubaus auf 2026 auch die Finanzierung auf dem Spiel stehen könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Merz stellt Reform in Aussicht
Zarte Bewegung bei der Schuldenbremse
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“