Joe Biden wird nächster US-Präsident: Eine Chance, mehr nicht
Es ist erleichternd, dass Donald Trump nach nur einer Amtszeit abgewählt ist. Aber für eine erfolgreiche Präsidentschaft Biden reicht das nicht.
J oe Biden wird der nächste Präsident der USA, und 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts in den Vereinigten Staaten wird Kamala Harris die erste weibliche Vizepräsidentin. Donald Trump seinerseits ist seit George H.W. Bush vor 28 Jahren der erste Präsident, der es nicht schafft, eine zweite Amtszeit zu gewinnen, sondern nach vier Jahren das Weiße Haus wieder verlassen muss.
Das klingt alles besser und fortschrittlicher, als es eigentlich ist. Denn auch nach einer ganzen Amtszeit des Lügens, der ständigen Beleidigungen, des offenkundigen Fehlens jeglichen politischen und persönlichen Anstands und jeder charakterlichen Klassen und Tiraden des offenen Rassismus aus dem Weißen Haus hat Donald Trump doch keine Stimmen verloren. Im Gegenteil: Noch mehr US-Amerikaner*innen als 2016 haben ihn gewählt, und viele begeisterter und überzeugter als vor vier Jahren.
Der Satz, er wolle der Präsident aller US-Amerikaner*innen sein und das Land nach einem hart geführten Wahlkampf zusammenführen, gehört zum Standardrepertoire siegreicher Kandidaten. Normalerweise bedeutet er nicht viel. Im Fall Joe Bidens ist er ein nicht einlösbares Vorhaben. Und das liegt nicht zuletzt daran, dass es auf der Gegenseite nicht die geringste Bereitschaft gibt, daran mitzuwirken.
Donald Trump wird niemals eine Rede halten, in der er seine Niederlage eingesteht, sich bei seinen Wähler*innen bedankt und im Namen des Landeswohls dem Nachfolger seine Zusammenarbeit anbietet. Die Klasse hat Trump einfach nicht – und so, wie er seine Fans über Jahre aufgeputscht hat, würden sie ihm das vermutlich sogar richtig übelnehmen.
Entgiftung wird lange dauern
Stattdessen wird er solange es geht versuchen, die Wahl, die er an den Urnen verloren hat, vor Gericht für sich zu entscheiden. Und wenn das – was so sein wird – nicht gelingt, wird er weiter auf Medien, Justiz und den Deep State schimpfen, der ihm den Wahlsieg gestohlen habe. Trumps Abwahl mag gelungen sein, die Entgiftung aber wird viel länger dauern.
Für die Tausenden, die jetzt in den Städten der USA begeistert auf die Straße gehen, ist zunächst einmal ein Albtraum vorbei. Das Fremdschämen für den eigenen Präsidenten, der Horror vor dem nächsten irrsinnigen Tweet direkt aus dem Weißen Haus, das wird am 20. Januar ein Ende finden.
Es ist dieser Impuls, der eine historische Rekordanzahl an Wähler*innen für Joe Biden hat wählen lassen. Trump hat beide Seiten elektrisiert, die einen in Zustimmung, die anderen in Abscheu und Ablehnung. Der Moment der Freude von Trumps Gegner*innen ist ehrlich – aber er trägt keine erfolgreiche Präsidentschaft Biden.
Die verschiedenen Flügel der Demokrat*innen beschimpfen sich schon jetzt – ob ihre kleiner gewordene Mehrheit im Repräsentantenhaus wirklich zusammenhält, ist unsicher. Und wenn bei den Stichwahlen in Georgia am 5. Januar kein Wunder geschieht, wird der Senat republikanisch kontrolliert bleiben.
Ohne Mehrheiten in beiden Häusern des Kongresses aber kann kein Präsident große Sprünge machen – die Zeit überparteilicher Zusammenarbeit war schon lange vor Trump vorbei, obwohl sich die USA diese Reformunfähigkeit und Blockade eigentlich schon lange nicht mehr leisten können.
Trump ist abgewählt, es zieht wieder ein bisschen Verstand und Realitätssinn ins Weiße Haus. Das ist eine große Erleichterung und eine Chance. Mehr aber auch nicht.
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